1999 nahm das Impulsprogramm Biotechnologie unter Polizeischutz die Arbeit auf. Heute ist die Initiative des Wirtschaftsministeriums unter der Marke Life Science Austria, LISA, institutionalisiert, und es steht kein Polizist mehr dabei. Eine "sich positiv entwickelnde gesellschaftliche Einstellung" konstatierte auch die Boston Consulting Group in ihrer Studie "Biotechnologie in Österreich".Parallel zu Biotech-Aktienboom - der in der Zwischenzeit allerdings wieder abgeflaut ist - und Genom-Entschlüsselung hat die Öffentlichkeit gelernt, zwischen den unterschiedlichen Biotech-Anwendungen zu differenzieren. Zwar lehnen Österreicher die "grüne" Biotechnik für Landwirtschaft und Lebensmittel und die "graue" im Umweltbereich weiterhin ab, doch sind sie für die "rote", medizinische, aufgeschlossen. Entsprechend hat sich in der "roten" Biotech-Forschung und -Industrie eine Stärke herausgebildet. 80 Prozent davon konzentrieren sich auf Wien; der Rest verteilt sich auf Graz und Innsbruck, wo um die Kliniken hochwertige Cluster entstanden sind. Krems etabliert sich gerade als weiteres Zentrum. In den nächsten fünf Jahren wird erwartet, dass 60 Prozent aller Innovationen auf dem Hightechsektor mit Biotechnologie und molekularer Medizin zu tun haben werden. Allein für Wien rechnet Finanzstadtrat Sepp Rieder bis 2010 mit einem Potenzial von 10.000 neuen Jobs. "Damit sich Biotech-Industrien ansiedeln, braucht es an dem Standort gute Grundlagenforschung", sagt Karl Kuchler, Professor für Molekulare Genetik und bis vor kurzem Manager des Wiener Biotechclusters. Tatsächlich haben Fördereinrichtungen, Industrie, Wirtschaftskammer, Universitäten, Bund und Stadt Wien ohne viel Aufhebens einen Institutsgründungsboom eingeleitet. Bis 2005 könnte es damit eine kritische Forschungsmasse mit starken Synergieeffekten geben. So entsteht im Wiener Biozentrum in der Bohrgasse das Institut für Molekulare Biotechnologie der Akademie der Wissenschaften (IMBA) und das Gregor Mendel Institut für Pflanzenbiologie (GMI). Rund um das AKH versammelt sich ein Life-Science-Cluster mit dem Centrum für Molekulare Medizin (CeMM) und zwei Kompetenzzentren, in denen universitäre und industrielle Forschung zusammengeführt werden. Industriegiganten haben ganze Forschungszweige nach Österreich verlagert. Boehringer Ingelheim betreibt im Biozentrum das Weltrang-Institut für Molekulare Pathologie und plant nun, alle Krebstherapieprojekte in Wien anzusiedeln. Novartis gründete ein Antibiotika-Forschungsinstitut und Baxter ein Center of Excellence für Erreger-Sicherheit. Ein Schlusslicht Trotzdem rangiert Österreich nur auf Weltranglistenplatz 31 und unter den Biotech-Schlusslichtern Europas. Die Aufholjagd wird hart, schätzt das Wissenschaftsministerium in seinem Forschungsbericht, zumal sich der Entwicklungsrückstand gegenüber den USA auf 20 Jahre beläuft. Hoffnung verheißt Wiens 13. Platz in der EU-Regionen-Rangliste für Biotech-Patente. Diese hohe Innovationsfähigkeit fördern soll LISA. Wegen der mangelnden Risikokapital-Kultur tun sich Start-ups hierzulande allerdings besonders schwer. Dabei bilden gerade in den Life Sciences die kleinen Firmen einen unverzichtbaren Bestandteil des Systems. Als bewegliche Pioniere führen sie Erfindungen an den Punkt, wo das Potenzial erkennbar wird. Die großen Unternehmen übernehmen dann den weiteren Prozess durch die teuren klinischen Studien bis zur Marktreife. Weitere Schwächen nennt Karl Kuchler: "Die Förderlandschaft ist zersplittert und begünstigt die Großen." Die Evaluierungen mancher Förderagenturen seien nicht transparent genug, um Lobbyismus auszuschalten. Ähnliches lässt sich aus den Empfehlungen von Boston Consulting herauslesen. (Johanna Geissler/DER STANDARD, Print-Ausgabe, 27. 6. 2002)