Brandstetter (im Bild), Blümel, Pilnacek und Co werden verdächtigt und nicht mehr.

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Zuerst der Finanzminister, dann ein ehemaliger Justizminister und der mächtigste Beamte im Justizministerium: Angesichts der vielen Ermittlungen gegen Persönlichkeiten aus dem ÖVP-Umfeld könnte man meinen, die türkise Führungskaste versinkt im Korruptionssumpf. Es ist vor allem der Ärger über diesen – inzwischen recht weit verbreiteten – Eindruck, der die ÖVP unter Kanzler Sebastian Kurz zu ihren umstrittenen Angriffen auf die Wirtschafts- und Korruptionsstaatsanwaltschaft anstiftet.

Doch dieser Anschein trügt, oder ist zumindest nicht durch Fakten belegt. Zu beobachten ist eine intensivere Ermittlungstätigkeit der Behörden, die dank des regen Austauschs von Chats unter Politikern und Managern auf immer neue Spuren stoßen und diesen konsequent nachgehen. Dass dabei das Mittel der Hausdurchsuchung recht großzügig eingesetzt wird, ist erklärbar: Ohne Sicherstellung elektronischer Geräte tappen die Staatsanwälte meist im Dunkeln.

Ein Prinzip wird ad absurdum geführt

All das ist nicht ein Symptom einer korrupten Gesellschaft, sondern Beleg für ein funktionierendes Staatswesen. Dabei geraten Menschen ins öffentliche Zwielicht, die sich entweder nichts zuschulden haben kommen lassen oder denen man nichts nachweisen kann. Beides gilt im Rechtsstaat als Unschuld. Doch wenn bei Bekanntwerden von Ermittlungen die Opposition, unabhängige Experten und Medien sofort nach Rücktritt rufen, dann wird das Prinzip der Unschuldsvermutung ad absurdum geführt.

Deshalb war es richtig, dass Wolfgang Brandstetter sein Amt als Verfassungsrichter nicht zurücklegte, und deshalb muss die Entscheidung von Ersatzjustizminister Werner Kogler, Christian Pilnacek als Sektionschef zu suspendieren, zumindest hinterfragt werden. Einige Wochen Zwangsurlaub wären vertretbar, aber diese Ermittlungen könnten sich viele Monate lang hinziehen. Pilnaceks Beamtenkarriere wäre dann praktisch zu Ende, ohne dass es zu einer Verurteilung oder auch nur zu einer Anklage kommen muss.

Auf Kosten der Korruptionsbekämpfung

Die ÖVP möchte dieses Problem bewältigen, indem sie die Staatsanwälte und die Medien bei ihrer Arbeit einbremst. Aber das ginge auf Kosten der Korruptionsbekämpfung. Besser wäre es, die Meinungsmacher in diesem Land würden lernen, gelassener mit Ermittlungen im politischen Umfeld umzugehen und sie als notwendigen Kontrollmechanismus in einer Demokratie aufzufassen. Wir wollen ja, dass die Staatsanwaltschaft jedem Verdacht nachgeht und nicht aus Rücksichtnahme auf die Reputation der Betroffenen eine Beißhemmung entwickelt. Doch dann dürfen andere auch nicht mit Verweis auf das beschädigte Vertrauen Konsequenzen fordern, die sachlich nicht gerechtfertigt sind.

Es würde helfen, wenn der Begriff "Beschuldigter" aus der Strafprozessordnung verschwindet; er steht schon semantisch im Widerspruch zur Unschuldsvermutung. Gernot Blümel, Brandstetter, Pilnacek und Co werden verdächtigt und nicht mehr.

Es gibt auch andere politische Biotope, in denen sich die Staatsanwaltschaften umschauen könnten, etwa in manchen Bundesländern und Kommunen. Aber zumindest bis zu einer rechtskräftigen Anklage muss für alle Politiker die Unschuldsvermutung nicht nur gelten, sondern auch gelebt werden. (Eric Frey, 28.2.2021)