Es reicht nicht, sich demagogischen Populisten entgegenzustellen, wenn sie auf der politischen Bühne erscheinen, sagt Michael Lind von der University of Texas im Gastkommentar.

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Donald Trump, der erste echte Demagoge im US-Präsidentenamt.
Foto: Reuters / Tom Brenner

Im Laufe seiner einzigen Amtszeit als Präsident der Vereinigten Staaten wurde Donald Trump von seinen Gegnern sowohl in der demokratischen als auch in der republikanischen Partei häufig als potenzieller faschistischer Diktator dargestellt. Doch diese Analogie hat sich mit Trumps Auszug aus dem Weißen Haus erledigt. Am stärksten ähnelt Trump nicht dem faschistischen italienischen Diktator Benito Mussolini, sondern dem skandalumwitterten ehemaligen Premierminister Italiens, Silvio Berlusconi.

Figuren wie Trump und Berlusconi – Magnaten oder Medienstars, die als populistische Demagogen gegen das Establishment antraten – sind in den westlichen Demokratien von heute keine Seltenheit. In Europa zählen dazu gewählte Staats- und Regierungschefs wie der tschechische Ministerpräsident Andrej Babiš, einer der reichsten Männer im Land; der frühere ukrainische Präsident Petro Poroschenko, ehemals "Schokoladenkönig" seines Landes; sowie sein Nachfolger Wolodymyr Selenskyj, ein Komiker und Schauspieler, der zuvor im Fernsehen einen ukrainischen Präsidenten gespielt hatte.

Obwohl es sich bei Trump um den ersten echten Demagogen handelt, der in das US-amerikanische Präsidentenamt gewählt wurde, ist die Figur des Entertainers oder Plutokraten, dem es gelingt, ein Amt zu übernehmen, weil er sich als Verfechter des einfachen Volkes ausgibt, seit Generationen fester Bestandteil US-amerikanischer Bürgermeister- und Gouverneurswahlen. Vor allem die Rolle als Medienstar bildete in Amerika häufig die Grundlage für Wahlerfolge.

Gegen die Elite

Populistische Demagogen in demokratischen Ländern haben in aller Regel nicht die Absicht, Polizeistaaten zu etablieren, und selbst wenn sie das gerne würden, so könnten sie es nicht. Während die faschistischen Diktatoren der Zwischenkriegszeit über den Rückhalt der Militär- und Polizeiapparate ihrer Länder sowie der Verwaltung und Wirtschaft verfügten, setzen Populisten auf die Unterstützung entfremdeter Nicht-Elite-Gruppen und werden typischerweise von den meisten anderen Machtzentren der Gesellschaft bekämpft.

So vertraten auch viele schillernde Demagogen im Süden – wie etwa der Gouverneur (und spätere Senator) Louisianas, Huey P. Long, oder das texanische Populisten-Ehepaar James "Pa" and Miriam "Ma" Ferguson – Kleinbauern und die weiße Arbeiterschicht gegen eine reiche Oberschicht, die in ihren jeweiligen Bundesstaaten Wohlstand und politische Ämter für sich monopolisierte.

Manche Demagogen nutzen die Verbitterung ethnischer Gruppen aufgrund ihrer Ausgrenzung von Wohlstand und Macht aus. In der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts kam James Michael Curley, korrupter viermaliger Bürgermeister von Boston und Einmal-Gouverneur von Massachusetts, an die Macht und hielt sich dort auch, weil er irischstämmige US-Amerikaner aus der Arbeiterschicht gegen die protestantische angloamerikanische Elite – die sogenannten Brahmanen von Boston – vertrat.

Gebrochene Versprechen

Doch obwohl es die populistischen Demagogen schaffen, den legitimen Groll ihrer Wähler zu artikulieren, halten sie Versprechen, die sie gegenüber ihren Unterstützern abgeben, fast nie. Manche, wie W. Lee "Pappy" O'Daniel – der Starmoderator eines Country-Musik-Senders wurde in den 1930er-Jahren zunächst Gouverneur von Texas und später US-Senator – agieren als Tarnung der Interessen des Establishments, während andere lediglich persönliche Maschinerien der Vetternwirtschaft aufziehen und ihre Macht nutzen, um Familienmitglieder oder Kumpane zu belohnen. Sehr selten schaffen Demagogen neue institutionelle Strukturen, über die es möglich ist, auch lange nach ihrem Ausscheiden aus dem Amt Reformen durchzuführen.

In Curleys Fall spielte dessen in Harvard ausgebildeter Schwiegersohn, Edward Donnelly, eine ähnliche Rolle wie Jared Kushner, Trumps Schwiegersohn und Harvard-Absolvent. In Louisiana gründete Long eine Familiendynastie, zu der sein Bruder Earl, der ihm als Gouverneur folgte, ebenso gehörte wie Russell Long, langjähriger US-Senator aus Louisiana.

In jedem Fall gestalten sich die politischen Karrieren demagogischer Populisten tendenziell reich an Skandalen und Korruption. Berlusconi feierte seine berüchtigten "Bunga-Bunga-Partys", und Trump hatte seine "Access Hollywood"-Tonaufnahme, auf der er mit sexuellen Übergriffen auf Frauen prahlte.

Bestechung und Verbrechen

Und dann gibt es noch die Fälle von Bestechung und echter Verbrechen. Wie Curley wurde auch Berlusconi zu einer Gefängnisstrafe verurteilt. Als politischer Boss Louisianas in den 1930er-Jahren schloss Long einen Deal mit dem New Yorker Gangster Frank Costello, um die Gewinne aus dem Glücksspiel im Bundesstaat aufzuteilen, selbst als seine Günstlinge Geld von den Gehaltslisten der Bundesstaatsverwaltung abzweigten, die in einem als "Deduct Box" bezeichneten Wahlkampfschmiergeldfonds landeten. In Texas finanzierten Pa und Ma Ferguson ihre politische Maschinerie durch den Verkauf von Begnadigungen an die Familien verurteilter Krimineller. Jüngste Berichte, wonach Trump-Verbündete bezahlt wurden, um sich bei dem scheidenden Präsidenten für Begnadigungen einzusetzen, riechen nach Korruption, aber nicht nach Diktatur.

Natürlich hat die Erstürmung des US-Kapitols durch Trump-Anhänger unweigerlich zu oberflächlichen Vergleichen mit Nazi-Sturmtruppen und faschistischen Schwarzhemden in Italien geführt. Allerdings bietet die US-Geschichte treffendere Analogien, wenn es darum geht, den Maga-Mob zu verstehen. Es ist kein Zufall, dass in Tennessee Williams' Theaterstück "Süßer Vogel Jugend" aus dem Jahr 1959 die Figur des Boss Finley, eines demagogischen Führers in einem Staat des US-amerikanischen Südens, über eine eigene kriminelle Bande ("Jugend für Tom Finley") verfügt, die er gegen seine politischen Gegner einsetzt.

Erfolgsbedingungen verstehen

Zur Klarstellung: Demagogen können in modernen Demokratien viel Schaden anrichten, auch wenn sie nicht in der Lage sind (und nicht beabsichtigen), Wahlen abzuschaffen, Polizeistaaten zu errichten und ihre Gegner in Konzentrationslager zu stecken. Aber es reicht nicht, sich demagogischen Populisten entgegenzustellen, wenn sie auf der politischen Bühne erscheinen. Wir müssen auch die Bedingungen verstehen, die es dieser Spezies von Politikern ermöglichen, überhaupt Erfolg zu haben.

Wenn sich die wichtigsten gesellschaftlichen Gruppen durch Wahlpolitik und Institutionen wie Gewerkschaften, religiöse Organisationen und Gruppen auf Gemeindeebene angemessen vertreten fühlen, finden populistische Demagogen nur selten nennenswerte öffentliche Unterstützung. Erst wenn sich große Gruppen in einer Stadt, einem Staat, einer Provinz oder einem Land von konventionellen politischen Führungsfiguren entrechtet und im Stich gelassen fühlen, sind sie versucht, sich schillernden Außenseitern zuzuwenden, die behaupten, diese Menschen zu vertreten, obwohl sie im Normalfall nur für sich selbst eintreten.

Niedergang der Institutionen

Während sich in den modernen westlichen Gesellschaften Reichtum und Status immer stärker konzentrieren, befinden sich vermittelnde Institutionen und lokale Gemeinschaften im Niedergang. Und traditionelle politische Parteien sind zu bloßen Markenzeichen verkommen, die von Milliardären und Promis leicht vereinnahmt werden können. Das heißt, die Zeit ist reif für weitere Berlusconis – und Trumps. (Michael Lind, Übersetzung: Helga Klinger-Groier, Copyright: Project Syndicate, 27.2.2021)