Dass mein Artikel über das „Goldene Brett“ die Wiener Skeptiker geradezu begeistern würde, damit war freilich nicht zu rechnen. Dass aber ein Verein, der aus Leidenschaft dauernd andere vernichtend kritisiert, dermaßen schlecht damit umgehen kann, wenn ausnahmsweise mal sein Wirken kritisiert wird, ist doch ziemlich überraschend. Man inszeniert sich in der Pose der nackten Empörung. Die Beherrschung einer Kulturtechnik des sinnerfassenden Lesens wird dabei aber nicht einmal mehr vorzutäuschen versucht.

Empörungskultur statt Lesekompetenz 

Vieles von ihrer künstlichen Aufregung hätten sich der Wortführer der Skeptiker — Florian Aigner in seiner Entgegnung "Wissenschaftliche Fakten und Bretter vorm Kopf" —  und seine Gefolgschaft nämlich sparen können, wenn sie meine Argumentation ordentlich gelesen hätten, anstatt sich in den automatisch abgespulten Empörungsmodus hineinzusteigern. Dann hätten sie mitbekommen, dass ich zwar mit provokativer Schärfe bestimmte Sprach- und Denkmuster zur Debatte gestellt habe, die in einer Presseaussendung der Gruppierung zum Vorschein gekommen waren; sie hätten aber auch sehen müssen, dass mein Text alles andere als ein Frontalangriff auf ihr grundsätzliches Anliegen war. Vielmehr räumte ich explizit ein, dass die Militanz der „selbsternannten Verteidiger der Wissenschaft“ — wie ich solche Bündnisse nenne —  „als Reaktion auf vieles verständlich“ sei. „Gut gemeint“ sei sie, gab ich sogar zu. Und eigens betonte ich: „Natürlich muss man Scharlatanerie und Humbug aufdecken und sich entgegenstellen“. Gleichzeitig jedoch beharrte ich, und das bezogen auf ausgewählte Punkte: „Aber nicht auf diese Weise ...“

Ganz bewusst hatte ich überdies bereits in die Einleitung geschrieben, dass es mir nicht darum ginge, zu beurteilen, ob der Mediziner Sucharit Bhakdi den Schmähpreis zu Recht erhalten habe oder nicht. Offenkundig ist es mir also um etwas anderes gegangen. Nicht um eine Verteidigung des Corona-Leugners oder von Esoterik. Was es aber war, um das es mir gegangen ist, das entgeht freilich jenen, die sich von vornherein nur in der Empörung darüber suhlen, dass es da jemanden gibt, der es wagt, sie zu kritisieren. 

Jedes Jahr küren die "Skeptiker" den "größten Schwachsinn des Jahres".
Foto: Das goldene Brett

Lagerdenken statt Differenzierung

Es scheint mir kennzeichnend nicht bloß für Aigner, sondern leider für den Zustand des öffentlichen Diskurses im Allgemeinen, dass er in seiner Entgegnung diese etwas subtileren Züge meines Textes und seine geistig ein wenig anspruchsvolleren Gedankengänge, die sich nicht in einem simplen Pro oder Contra erschöpfen, nicht zu dechiffrieren in der Lage ist. Selbstverständlich werde ich, obwohl es sich in meinem Text darum gar nicht dreht, flugs als Verteidiger von Esoterikern und Corona-Leugnern hingestellt. Denn man kennt hier nur mehr das knallharte Freund-Feind-Schema. Selbstentlarvend der letzte Satz Aigners: „Leider hat sich Rosner mit seinen Tiraden nicht auf die Seite des konstruktiven Diskurses gestellt, sondern auf die Seite von Esoterik und Fake-News.“

In dieser Behauptung ballt sich ein sehr bedenkliches Weltbild zusammen. Hier kommt ein archaisches Lagerdenken zum Vorschein. Differenzierungen, Zwischentöne, Nuancen werden sorgsam überlesen, Ambivalenzen nicht zur Kenntnis genommen, Zwischenpositionen gar nicht mehr erlaubt. Stattdessen drückt sich darin ein fanatischer messianischer Gedanke aus: Wer nicht für uns ist, ist gegen uns. Und wenn man bestimmte problematische Begriffe in einer von Aigner verfassten Presseaussendung kritisiert, ist man natürlich gleich ein „Wissenschaftsfeind“ und „Esoteriker“. Holzhammer-Logik ist wohl die richtige Bezeichnung für so etwas. Und nicht ich habe mich auf die Seite der Esoterik begeben, sondern Aigner würde mich gerne in dieses Eck stellen.

Ohne dass er es begreift, bestätigt er hier all das, was ich am Ende meines Beitrags über ihn und seinesgleichen geschrieben hatte: „In einer Zeit, die ohnehin schon zur Genüge von einem vergifteten Diskurs geprägt ist, von zunehmender Polarisierung, dumpfer Kampfrhetorik und dem Schüren billiger Ressentiments, beteiligen sich ausgerechnet auch noch jene daran, die glauben, für Wissenschaft und Aufklärung zu stehen.“

Und eine entsprechende Diffamierungstaktik setzt Aigner natürlich mir gegenüber konsequent ein. Generell aber fällt mir immer wieder auf, welch ein ungeheures Problem die Skeptiker und andere selbsternannte Verteidiger der Wissenschaft mit Kritik haben. Das habe ich oft beobachtet: Wer immer etwas von dem kritisiert, was sie sagen, oder etwas anders sieht, der muss auf Biegen und Brechen in einen Topf mit Esoterikern geworfen werden — und das selbst dann, wenn man Argumente gebraucht, die niemals einem Esoteriker einfallen würden. So absurd der Vorwurf ist, er muss mit programmierter Stumpfsinnigkeit regelmäßig hervorgezogen werden.

Carl Sagan und die Skeptiker

Was ich in meinem Blogbeitrag getan hatte, war hingegen etwas ganz anderes gewesen. Am Ende hatte ich mich auf keine der beiden Seiten gestellt, und um eine simple Parteiergreifung war es mir auch gar nie gegangen. Das ist aber etwas, was am meisten Zorn und Unverständnis in unserer heutigen Gesellschaft auslöst, die von dem besagten primitiven Lagerdenken fast ausweglos beherrscht wird. Es wird verlangt, dass man entweder auf der einen Seite oder auf der anderen Seite steht. Und das betrifft keineswegs nur diese Thematik. Eine weitere Variante: Du darfst die Nato nicht kritisieren, denn dann bist du ja ein Putin-Versteher. 

Solchem gesellschaftlichen Druck beuge ich mich nicht. Denn ich bin etwas, was heutzutage sehr unmodern geworden ist: ein eigenständig denkendes Wesen, ein Individuum. Wenn man meinen Text aufmerksam liest, dann kriegen ein Bhakdi, die Corona- und Klimakrisen-Leugner und die Esoteriker dort genauso ihr Fett ab wie ihre vermeintlichen Kontrahenten, die selbsternannten Verteidiger der Wissenschaft. Denn in mancher Hinsicht sind sie alle untereinander ähnlicher, als ihnen das bewusst ist, und noch mehr, auf eine merkwürdige Weise bedingen sie einander. Das war der Clou meiner Argumentation.

Auf den Punkt gebracht habe ich das in dem Satz: „Auf diese Art verwandelt man [die selbsternannten Verteidiger der Wissenschaft] sich bloß in das Spiegelbild dessen, was man bekämpft.“

Natürlich bin ich nicht der erste, dem das auffällt. Schon ein Mitbegründer der Skeptikerbewegung vor mehr als 40 Jahren in den USA hat alsbald die autoritären Tendenzen bemerkt, und er hat davor gewarnt. Ich rede vom Astronomen Carl Sagan. Interessant wäre es an dieser Stelle, eine Geschichte der Skeptikerbewegungen zu schreiben, die von ihren internen Streitereien berichtet, von ihren unappetitlichen Machtkämpfen, von ihren Ein- und Austritten, von jenen Mitgliedern, die verstoßen wurden oder freiwillig irgendwann gegangen sind, weil sie der „reinen Lehre“ nicht entsprochen haben. So wie es bei solchen sektenähnlichen Gruppierungen nun einmal ist, die sich in ihrem Denken weitgehend von der Außenwelt abschotten und geschlossene ideologische Systeme zu bilden beginnen. 

Žižek zum Nachdenken

Aigner und Gefolgschaft gebe ich aber noch einen Satz des slowenischen Philosophen Slavoj Žižek als Denkaufgabe mit: „The paradox in all these cases is that the stepping out of (what we experience as) ideology is the very form of our enslavement to it.”¹ Frei übersetzt: Gerade, wenn wir glauben, aus Ideologie herauszutreten, unterwerfen wir uns ihr am allermeisten. Das bringt vieles auf den Punkt. (Ortwin Rosner, 5.2.2021)

¹ Žižek, Slavoj: The Spectre of Ideology.  —  In: S. Žižek (Hrsg.): Mapping ideology. London/New York 1994. S. 6.

Zum Thema

Weitere Beiträge des Bloggers