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Sonne, Wind und andere erneuerbare Energien in Europa haben im Vorjahr erstmals mehr Strom produziert als alle Kohle- und Gaskraftwerke in der EU-27 zusammen.

Foto: reuters/bohlen

Das vergangene Jahr war in vielerlei Hinsicht außergewöhnlich. Am folgenreichsten war ohne Zweifel der Ausbruch der Corona-Pandemie, an der die Weltwirtschaft, aber auch viele Infizierte noch immer laborieren. 2020 war aber auch das Jahr, in dem europaweit erstmals mehr Strom aus erneuerbaren Energien gewonnen als in kohle- oder gasbefeuerten Kraftwerken produziert wurde.

Der Anteil von Wasserkraft, Wind, Biomasse und Sonne, um die wichtigsten erneuerbaren Energiequellen in der Rangfolge ihres Beitrags zu nennen, hat sich im Beobachtungszeitraum auf 38 Prozent erhöht. Der Anteil fossiler Energieträger wie Kohle und Gas an der Stromproduktion der EU-27 ist auf 37 Prozent gesunken. Das verbleibende Viertel auf die 100 Prozent lieferten Atomkraftwerke. Dies geht aus einer Untersuchung hervor, die von der britischen Klimaschutzorganisation Ember sowie Agora Energiewende, einer Denkfabrik in Berlin, heuer zum fünften Mal gemacht wurde.

Treiber der Entwicklung waren über alle untersuchten Länder hinweg Windkraft und Solarenergie. Beide zusammen kamen im Referenzjahr 2020 auf eine Mehrproduktion von 51 Terawattstunden (TWh), gleich 51 Milliarden Kilowattstunden (kWh), Strom. Das entspricht dem durchschnittlichen Wachstum von 2015 bis 2020.

"Was erreicht wurde, ist gut, aber zu wenig. Um die für das angestrebte Ziel der Klimaneutralität erforderlichen 100 TWh an jährlichem Zubau zu erreichen, ist eine Verdoppelung nötig", sagte der Direktor von Agora Energiewende, Patrick Graichen, dem STANDARD. Ohne Nachschärfung bei den derzeit vorliegenden nationalen Energie- und Klimaplänen in den EU-Mitgliedsstaaten käme man statt auf die erforderlichen 100 TWh an Erneuerbaren-Zubau pro Jahr lediglich auf ein Plus von 75 TWh.

Österreichs Ausbauziele

Zum Vergleich: Österreich hat sich bis 2030 vorgenommen, 100 Prozent des Strombedarfs im Land zumindest bilanziell aus erneuerbaren Energien zu stemmen. Um dieses Ziel zu erreichen, sollen bis dahin 27 TWh Stromerzeugungskapazitäten neu geschaffen werden. Das entspricht einem jährlichen Zubau von knapp drei TWh bis 2030.

Davon wiederum soll der Löwenanteil, nämlich elf TWh, vonseiten der Photovoltaik kommen, die 2019 aber erst 0,9 TWh geliefert hat. Windkraft soll zusätzlich zehn TWh (2019: 7,4) beisteuern, Wasserkraft fünf (44,2) TWh mehr Strom liefern.

Geringerer Stromverbrauch

Das außergewöhnliche Jahr 2020 war auch dadurch geprägt, dass als Folge der Corona-Pandemie der Stromverbrauch erstmals seit langem substanziell zurückging . Im Jahresschnitt lag das Minus bei vier Prozent, mit Spitzen von 13 Prozent (Durchschnitt über alle EU-27) am Höhepunkt des ersten Lockdowns im April. Italien hatte in dem Monat mit minus 27 Prozent den stärksten Einbruch beim Stromverbrauch. Der geringere Strombedarf habe mit dazu beigetragen, dass sich die erneuerbaren Energien erstmals an die Spitze setzen konnten, gesteht man bei Agora Energiewende ein.

"Es ist nicht auszuschließen, dass heuer die fossilen Energien wieder vorne liegen", prognostiziert man in der Berliner Denkfabrik. Spätestens ab 2022 sei der Trend zugunsten von Wind- und Sonnenenergie unumkehrbar, zumal das Gros der Mittel für Neuinvestitionen künftig europaweit in saubere statt schmutzige Stromproduktion fließen werde.

Interessant ist in dem Zusammenhang, wie stark der Anteil der Kohle an der Stromproduktion inzwischen gesunken ist: von 2019 auf 2020 um ein Fünftel. In fünf Jahren sich die Stromproduktion mittels Kohlekraftwerken in Europa fast halbiert (von 705 TWh 2015 auf 365 TWh 2020). In Österreich ist das letzte Kohlekraftwerk, das von Verbund betriebene in Mellach bei Graz, am Ende der vergangenen Heizsaison vom Netz genommen worden. Das Land mit dem meisten Kohlestrom in absoluten Zahlen ist mittlerweile Polen.

Österreich fällt zurück

Abseits von Polen sind die Niederlande, Griechenland, Irland und Italien jene Länder, die den höchsten Anteil an fossilen Energieträgern in der Stromproduktion ausweisen. Andererseits zählten die Niederlande 2020 auch zu jenen Ländern, die mit plus 40 Prozent den größten Zuwachs an erneuerbaren Energien hatten. Auf den Plätzen folgten Schweden (plus 36 Prozent) und Belgien (plus 28 Prozent).

Am Ende der Skala finden sich laut der Studie, die dem STANDARD vorliegt, Österreich, Portugal und Tschechien. In allen drei Ländern wurde 2020 weniger Strom aus erneuerbaren Energien erzeugt als im Jahr davor. Dafür verantwortlich war eine Kombination aus Ausbaustopp und teils widrigen Wetterbedingungen. In Österreich beispielsweise waren Ende 2020 weniger Windräder am Netz als Anfang 2020, weil mehr Altanlagen abgebaut wurden als neue dazukamen. (Günther Strobl, 25.1.2021)