Arbeitsministerin Christine Aschbacher (ÖVP) stolperte über ihre wissenschaftlichen Arbeiten und trat zurück.

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In einer Gesellschaft, die beklagt, dass viele Menschen nicht mehr sinnerfassend die "Kronen Zeitung" oder "Österreich" lesen können, obwohl das eher ein Anlass zur Erleichterung sein sollte, erregen Menschen, die nicht mehr sinnerfassend schreiben können, naturgemäß einiges Aufsehen, wenn sich dieses Unvermögen auf so niedrige Textsorten wie Diplomarbeiten oder Dissertationen erstreckt. So erging es zuletzt Christine Aschbacher, deren dem Wesen von Managertypen und Führungskräften nachgrübelnde Arbeiten auf einem zwischen Wiener Neustadt und Bratislava gelegenen akademischen Felde in den Medien vielfältige Überlegungen zum Thema Schuld und Sühne in der Politik hervorriefen.

Zwischen Bedrohlichkeit und Mitleid

Der Unterton der Beiträge schwankte zwischen Bedrohlichkeit und Mitleid, wobei sich "Die Presse" stärker für Letzteres engagierte. Unter dem Titel Zu gehen heißt nicht, Schuld einzugestehen war am Dienstag zu lesen: Eines ist Aschbachers Rücktritt nicht, wie sie schriftlich betont – und sie muss es wissen: ein Schuldeingeständnis. Es ist auch nicht die Anerkennung, dass das Vertrauen in ihre Person durch die Vorwürfe leidet – und sie daher, bis die Causa geklärt ist, ihren Platz frei macht. Mit ihren Arbeiten habe das alles nichts zu tun. Verantwortlich für ihren Rücktritt ist etwas anderes: "Die Anfeindungen, die politische Aufgeregtheit und die Untergriffe" gegenüber ihrer Familie. Und die Art, wie sie selbst "medial in unvorstellbarer Weise" vorverurteilt wurde.

Tatsächlich erfolgte die Kritik, Urteil folgt erst, durch einen gewissen Herrn Stefan Weber in einer durchaus vorstellbaren Weise. Was aber aufrecht blieb, war die bedauerliche Tatsache, dass das Streben nach akademischen Ehren und deren öffentliche Erweisung zwei Paar Schuhe sind. An einer anderen Stelle des Blattes hieß es, Aschbacher hat mit ihrem Rücktritt geradezu unösterreichisch rasch die Konsequenzen gezogen, dafür verdient sie Respekt. Immerhin.

Wohin sind Maß und Ziel verschwunden?

Am nächsten Tag fragte ein kathol. Publizist angesichts der Art und Weise, wie mit der Plagiatscausa Aschbacher umgegangen wird: Wohin sind Maß und Ziel verschwunden? Wohin genau, das wusste er auch nicht, aber es ging ihm nicht gut. Liest man die mittlerweile ins Kraut schießenden Kommentare zur Aschbacher-Crux, dann überkommt einen das Grausen vor so viel Niedertracht, Boshaftigkeit und Wadelbeißertum. Er ortete klar statt eines akademischen ein soziales Problem, habe sich doch die Diskussion auf die unteren Ebenen der Weinhausdebatte verlagert. Wobei der Volksmund seine ekelhafte Schadenfreude nicht verschweigt, dass es "einer von dort oben" jetzt schlecht ergeht, die "so und so nur dorthin gekommen ist, weil sie die Tochter, Enkelin oder Nichte von dem und der ist". Wenn der Volksmund sich einmal mit Vorgängen an Fachhochschulen und Universitäten befasst, kann das nur ekelhaft sein.

Titelsüchtiges Land

Die Chefredakteurin des "Kurier" führte alles auf den Umstand zurück: Österreich war schon immer ein titelsüchtiges Land, und lud zur Bestätigung dieser These zu einem Spaziergang über den Zentralfriedhof ein, wo auch viele "Hofratswitwen" oder "Gastwirts-Gattinnen" ihre letzten Ruhestätten gefunden haben. Das feministische Problem eines krassen Mangels an "Hofrätin-Witwer" oder "Gastwirtin-Gatte" verfolgte sie leider nicht weiter, sondern erinnerte lediglich an das von der OECD vorgegebene Mantra: Die Akademikerquote muss erhöht werden.

Stefan Weber, der Plagiatsjäger, sollte sich also eher an die OECD und ihre Akademikergeilheit halten als an Frau Aschbacher, die Respekt verdient. In den "Salzburger Nachrichten" beklagte ein Wissenschaftsforscher: "Der akademische Titel ist in manchen Kreisen zum bloßen Statussymbol verkommen". Schlimmer noch: "Wenn Berufstätige einen Titel erwerben wollen, dann machen sie das oft leider nicht im Dienste der Wissenschaft." Es soll sogar Titelsüchtige geben, die sich nach ehrlichem Abschluss ihrer Studien als Journalisten berufsmäßig prostituieren. Wie konnte Frau Aschbacher mit ihren Titeln und wissenschaftlichen Talenten nur als Berufspolitikerin arbeiten?

Im Vergleich zu allen Grausamkeiten, die ihr widerfuhren, nimmt sich harmlos aus, was "Österreich" über Stefan Weber berichtete. Plagiats-Aufdecker mit Mord bedroht. Einer schrieb ihm: "Mein Sohn arbeitet beim Jagdkommando. Leider hat er die Waffe nicht hier gelassen." Es ist doch erfreulich zu wissen, dass in Österreich Titelsucht doch kein leerer Wahn ist und das Volk seine Akademiker beschützt. (Günter Traxler, 17.1.2021)