Kann es sein, dass Impffolgen erst Monate nach der Impfung auftreten? Das ist sehr unwahrscheinlich – im Gegensatz zu manchen Folgen einer Covid-19-Erkrankung.

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Es ist eines der beliebtesten Argumente all jener Menschen, die sich nicht impfen lassen oder öffentlich Zweifel an den Corona-Impfungen schüren wollen: Wir wissen nur wenig über mögliche Langzeitfolgen. Egal, ob es offene Briefe von Infragestellern der Corona-Maßnahmen sind, Postwurfsendungen ohne Impressum oder andere wissenschaftlich unverlässliche Informationsquellen: Nie fehlt der Verweis, dass man wegen der relativ kurzen Entwicklungs- und Erprobungszeit der Vakzine nichts über möglichen Folgen sagen könne, die noch Monate nach einer Impfung auftreten könnten.

Das Argument klingt zunächst einmal logisch und einleuchtend: Die neuen Impfungen wurden ja nur eine relativ kurze Zeit lang getestet, während ein solcher Testzeitraum bei den meisten anderen Medikamenten Jahre beträgt. Aufgrund dieses Arguments setzen viele Menschen in Österreich erst einmal auf Abwarten. Doch genauer besehen ist dieses Argument weniger plausibel, als es scheint.

Missverständnis "Langzeitschaden"

Es gab natürlich immer wieder und in Ausnahmefällen langfristige Impfschäden – etwa bei Pockenimpfungen, die selten, aber doch anhaltende Gehirnentzündungen (postvakzinale Enzephalitis) auslösten. Doch diese Gehirnentzündungen waren relativ schnell nach der Impfung aufgetreten. Hier von "Langzeitschäden" zu sprechen sei genau genommen nicht korrekt, erläutert Petra Falb in ihrem Blog "So funktioniert’s!", der auch schon mehrfach in Deutschland zitiert und gelobt wurde.

Der Begriff werde – übertragen auf die aktuelle Situation – vielfach fälschlich interpretiert als "Schaden, den die Impfung erst nach langer Zeit verursacht", so die österreichische Expertin, die als Gutachterin bei der Zulassung von Impfstoffen unter anderem für das Bundesamt für Sicherheit im Gesundheitswesen arbeitet. Ihren lesenswerten Blog zur Verbreitung evidenzbasierten Wissens über das Impfen betreibt sie privat.

Nebenwirkungen von Pandemrix

Ähnliches wie für die Pockenimpfung gilt auch für Pandemrix, einen der Impfstoffe gegen die Schweinegrippe von 2009/10, der relativ schnell entwickelt wurde. Bei einigen Menschen führte diese Impfung zu einem längerfristigen Gesundheitsproblem: Sie entwickelten eine Narkolepsie – also die Schlafkrankheit. Insgesamt wurden zumindest mehr als 60 Millionen Menschen mit Pandemrix geimpft und dabei etwa 1.300 Narkolepsiefälle registriert. Die Krankheit trat also bei einem von rund 50.000 Geimpften auf, und zwar tendenziell eher bei Kindern und Jugendlichen als bei Erwachsenen.

Aufgrund der geringen Häufigkeit war es freilich unmöglich, diese Nebenwirkung in klinischen Studien zu entdecken – sie ist aber ebenfalls keine Spätfolge: Sie wurde nur relativ spät mit der Impfung in Zusammenhang gebracht, wie der Molekularbiologe und Science-Buster Martin Moder in einem seiner sehenswerten Videos zur Impfung erläutert:

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Die Symptome selbst, die nicht immer ganz einfach zu erkennen sind, traten nämlich in mehr als der Hälfte der Fälle spätestens sechs Wochen nach der Impfung auf. Und das gilt für so gut wie alle "Spätfolgen" bei Impfungen, die eben keine Spätfolgen sind, sondern dazu werden, weil sie aufgrund der geringen Fallzahlen erst nach Monaten mit der Impfung in Zusammenhang gebracht werden (können).

RNA löst sich im Körper schnell auf

Dass die aktuellen Corona-Impfungen bei den Immunisierten erst Monate danach zu Krankheiten führen könnten, ist natürlich nicht völlig auszuschließen, aber noch aus einem weiteren Grund unwahrscheinlich: Die RNA als "Wirkstoff", der freilich nur die eigentliche "Wirkstoffproduktion" in den Zellen auslöst, wird im Körper besonders schnell abgebaut. Zudem haben aktuell bereits über zehn Millionen Menschen die beiden mRNA-Impfstoffe zumindest ein erstes Mal injiziert bekommen, ohne dass – bis auf einzelne anaphylaktische Schocks bei schweren Allergikern – neue Nebenwirkungen bekannt geworden wären.

Ganz generell sind bei Impfungen aber immer mögliche Risiken mit dem Nutzen abzugleichen. So darf man im Fall von Pandemrix, einer der umstrittensten Impfungen der jüngeren Geschichte, auch nicht unterschlagen, dass auch eine der seltenen Nebenwirkungen der Schweinegrippe selbst Narkolepsie war. Im Fall von Covid-19 geht es natürlich um ganz andere Dimensionen angesichts der fast 7.000 Corona-Toten in Österreich, der bereits knapp zwei Millionen Toten weltweit und der nach wie vor enormen Infektionszahlen.

Erhebliche Langzeitfolgen von Covid-19

Neue konkrete Evidenzen gibt es – wenn wir schon bei der Risikoabwägung sind – aber zu den Langzeitfolgen von Covid-19-Überlebenden: Im angesehenen britischen Fachblatt "The Lancet" erschien dieser Tage eine chinesische Studie über 1.733 Covid-19-Patienten, die zwischen 7. Jänner und 29. Mai in einem Krankenhaus in Wuhan wegen einer Covid-19-Erkrankung behandelt wurden, vier Prozent davon auf der Intensivstation. Von den über Monate hinweg regelmäßig befragten Patienten (Durchschnittsalter 57 Jahre) litten 76 Prozent noch ein halbes Jahr nach ihrer Infektion an Spätfolgen.

Am häufigsten waren chronische Erschöpfung und Muskelschwäche (63 Prozent), es folgten anhaltende Schlafstörungen (26 Prozent), Angststörungen oder Depression (23 Prozent). Bei 13 Prozent der Patienten entwickelten sich Nierenprobleme, obwohl ihre Nierenfunktion während des Krankenhausaufenthalts noch normal gewesen war. Gewisse Spätfolgen traten umso häufiger auf, je schwerer die akute Covid-19-Erkrankung verlaufen war: So litten unter den Patienten, die beatmet werden mussten, 56 Prozent noch sechs Monate später unter einer verringerten Lungenfunktion.

Nachsatz mit Hausverstand

Auf die Frage, ob er sich impfen lassen wolle, antwortete der österreichische Volksmusikant Andreas Gabalier vor einigen Wochen in einem Interview mit einem klaren Nein, was die heimische Impfquote vermutlich eher nicht erhöhen wird. Immerhin tat er das mit einer originellen Begründung: "Vom Hausverstand her glaube ich, dass ein Medikament, das bei schweren Verläufen hilft, besser wäre."

Im Grunde nämlich ist der Satz das beste Argument für die Impfung. Denn erstens gibt es das von Gabalier gewünschte Medikament (noch) nicht, zweitens ist die Impfung nach gängiger Definition ebenfalls ein Medikament. Und drittens sorgt sie dafür, dass es gar nicht erst zu schweren Verläufen kommt. So – und nur so – erspart man sich mit ziemlicher Sicherheit auch die wahrscheinlichen Langzeitfolgen einer Covid-19-Erkrankung. (Klaus Taschwer, 13.1.2020)