Zu wenig Sonne im Winter kann zu einem niedrigen Vitamin-D-Spiegel führen.

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Eine Behauptung macht seit Wochen im Internet und den sozialen Medien ein wenig Hoffnung im Kampf gegen Covid-19. Vitamin D soll gegen den Covid-Erreger helfen. Doch kann die Realität mit den Hoffnungen mithalten?

Zunächst einmal: Vitamin D ist in Wirklichkeit kein richtiges Vitamin, sondern ein Hormon. Wir müssen es nicht zwingend über die Nahrung aufnehmen. Vielmehr kann der Körper in der Haut unter Sonnenbestrahlung das Hormon selbst herstellen. Es gebe zahlreiche Effekte, die Vitamin D auf das Immunsystem habe – möglicherweise auch "einen positiven Effekt im Hinblick auf Covid-19", sagt Stefan Pilz von der Medizinischen Universität Graz und Mitglied im Vorstand der Österreichischen Gesellschaft für Endokrinologie und Stoffwechsel.

Frage der Balance

Um sich eine mögliche positive Wirkung auf das Immunsystem vorzustellen, muss man wissen: Ein großes Problem bei schweren Covid-19-Verläufen sind überschießende Reaktionen des Immunsystems, die etwa für starke Entzündungen in der Lunge sorgen. Und zwar besonders dann, wenn gleichzeitig eine Unterversorgung mit Vitamin-D besteht. Denn Vitamin D balanciert im Körper das Immunsystem aus. Ist es in zu geringem Maße vorhanden, kann es dieser Aufgabe nicht nachkommen.

"Zudem zeigen Beobachtungsstudien, dass Patienten mit Vitamin-D-Mangel einen schwerwiegenderen Verlauf einer Covid-19-Erkrankung haben als Patienten mit ausgeglichenem Vitamin-D-Status", so Stefan Pilz. Auf den ersten Blick scheint also einiges für Vitamin D im Kampf gegen Covid-19 zu sprechen.

Doch ganz so einfach ist es nicht. Das zeigt auch der Blick auf andere Erkrankungen. Beobachtungsstudien deuten darauf hin, dass bei Menschen mit einem Vitamin-D-Mangel Krebs, Infektionskrankheiten oder Herz-Kreislauf-Erkrankungen etwas häufiger auftreten. "Unklar ist aber, was Henne und was Ei ist", sagt die Medizinerin Jana Meixner von der Donau-Universität Krems. "Vielleicht gehen Menschen mit solchen Erkrankungen einfach weniger ins Freie oder ernähren sich einseitig und haben daher einen niedrigeren Vitamin-D-Spiegel." Und parallel dazu wisse man auch nicht, ob der Vitamin-D-Mangel tatsächlich die Ursache schwerer Covid-19-Verläufe ist.

Indikator für Allgemeinzustand

Vitamin D ist ganz allgemein ein Indikator dafür, wie gesund ein Mensch ist. Menschen mit niedrigem Vitamin-D-Spiegel haben mehr Vorerkrankungen und werden möglicherweise nur deshalb häufiger ernsthaft krank.

Ob Vitamin D tatsächlich eine maßgebliche Rolle bei Covid-19 spielt, lässt sich nur in strengen klinischen Studien auf die Probe stellen. Dabei bekommt eine Hälfte der Patienten Vitamin D und die andere Hälfte ein wirkungsloses Scheinmedikament. Anschließend schaut man sich an, ob die Patienten mit zusätzlichem Vitamin-D-Schub weniger hart von Covid-19 getroffen werden.

Doch solche Studien sind bislang Mangelware. Eine Ausnahme ist eine Studie aus Spanien. Ihr Ergebnis: Von 50 Covid-19-Patienten, die zusätzlich zu anderen Medikamenten hoch dosiertes Vitamin D bekommen hatten, musste nur einer auf der Intensivstation behandelt werden. In der Kontrollgruppe, die kein Vitamin D erhalten hatte, erkrankten dagegen 13 von 26 Patienten so schwer, dass sie intensivmedizinisch versorgt werden mussten.

"Die bisherigen Interventionsstudien zu Vitamin D dazu haben zwar teils positive und vielversprechende Ergebnisse gezeigt", so Stefan Pilz. "Sie sind aber zu klein und haben zu gravierende methodische Einschränkungen, um daraus weitreichende Schlussfolgerungen zu ziehen." Aber selbst wenn eine hohe Vitamin-D-Dosis bereits erkrankten Menschen helfen könnte: Unklar wäre weiterhin, ob Vitamin-D-Präparate aus der Drogerie oder der Apotheke auch als Vorbeugung gegen Covid-19 sinnvoll sind. Auch hierzu gibt es keine verlässlichen Daten.

Frage des Alters

Stefan Pilz zieht ein Fazit: "Wir haben derzeit nur unzureichende Evidenz, um die Empfehlung auszusprechen, dass eine Vitamin-D-Ergänzung vor einer Sars-CoV-2-Infektion schützt oder den Verlauf von Covid-19 positiv beeinflusst." Nun hätten aber große Teilen der Bevölkerung ohnehin einen Vitamin-D-Mangel. Und um diesen auszugleichen, brauche man nicht erst mögliche Effekte im Hinblick auf Covid-19 abzuwarten, so Pilz. Man solle ihn unabhängig von Corona allein schon aufgrund einer positiven Wirkung auf die Knochen und den Kalziumstoffwechsel ausgleichen.

"Unabhängig von den Ausgangswerten ist eine Vitamin-D-Ergänzung mit rund 800 Internationalen Einheiten täglich ausreichend, um die von den führenden Ernährungsgesellschaften empfohlenen Zielwerte zu erreichen." Gerade bei Menschen über 65 kann es unabhängig von Corona sinnvoll sein, Vitamin-D-Präparate in einer Dosis von rund 800 Einheiten vorbeugend zu nehmen. Der Grund: Bei älteren Menschen wird nur rund halb so viel Vitamin D in der Haut produziert wie bei jungen Menschen.

Übertreiben sollte man es mit der Einnahme aber nicht. Laut dem deutschen Robert-Koch-Institut kann eine Überdosierung zum Beispiel zu Nebenwirkungen wie Bauchkrämpfen, Erbrechen oder sogar Nierenschäden und Herzrhythmusstörungen führen. Eine Einnahme sollte deshalb im Idealfall von einem Arzt überwacht werden und nicht auf gut Glück erfolgen. (Christian Wolf, 21.12.2020)