Wien – In weniger als zwölf Stunden wird Alijah (Name geändert) im Flieger sitzen und zurück in ihr Heimatland fliegen. Am Telefon wirkt sie nervös, ihre Enttäuschung kann sie kaum verbergen. Anfang August war die Studentin voller Vorfreude nach Wien gereist, um ihr Masterstudium an der prestigeträchtigen CEU (Central European University) zu absolvieren. Im selben Monat hatte sie sich um eine Aufenthaltsbewilligung als Studierende bei der MA 35, zuständig für Einwanderung und Staatsbürgerschaft, beworben – und war gescheitert. Unwissentlich hat sie ihre Aufenthaltsdauer in Österreich überschritten. Wie Alijah geht es auch anderen jungen Menschen, die in Wien studieren wollten.

Die private Central European University des Investors George Soros ist in die Wiener Quellenstraße übersiedelt, viele Studierende haben in Österreich aber Probleme mit der Aufenthaltsgenehmigung.
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Die liberale Privatuniversität des Investors George Soros, die ihren Campus im Vorjahr von Budapest nach Wien verlegte, wird weltweit für die Diversität ihrer Studierenden gepriesen. Nach den Master-Studierenden, begannen heuer auch die ersten Bachelor-Studierenden an der CEU in Wien. Die österreichische Regierung begrüßte den Umzug der CEU nach Wien, nachdem der Universität unter Ungarns nationalkonservativer Regierung die rechtliche Grundlage entzogen worden war. Vorübergehend hat die CEU in der Wiener Quellenstraße im 10. Bezirk ihren Standort aufgeschlagen. Eine Eröffnung auf dem Otto-Wagner-Areal ist für 2025 vorgesehen.

Nächtliche Onlineseminare

Nun fürchtet Alijah eine Geldstrafe am Flughafen, bis zu 1.200 Euro Kosten könnten auf sie zukommen. Letzte Woche kam der Bescheid von der MA 35 mit der Aufforderung, das Land zu verlassen. "Ich habe monatelang versucht, dort anzurufen und meine Lage abzuklären. Am Telefon schrie man mich an und weigerte sich, mir Auskunft zu geben. Sie behaupteten, sie hätten mir drei Briefe geschickt und weitere Unterlagen angefordert. Aber der einzige Brief, der jemals ankam, war die Aufforderung, abzureisen." Nun wird sie sich aus ihrem Heimatland noch einmal um ein Visum bewerben, das kann Monate dauern. Bis dahin muss sie damit zurechtkommen, dass ihre Onlineseminare wegen der Zeitverschiebung um drei Uhr nachts beginnen.

Alijahs Fall ist ein Extremfall in einer Reihe von Anträgen, in denen CEU-Studierende aus Drittstaaten sich im August oder September um einen Aufenthaltstitel als Studierende beworben haben und nun um ihren Aufenthaltsstatus bangen müssen. Etwa ein Dutzend haben bereits das Land verlassen, über zehn sollen diese Woche abreisen. Sonst würden sie wie Alijah die 90-Tage-Regelung, die ihr Touristenvisum für den Schengen-Raum vorschreibt, überschreiten. In den meisten Fällen hat die MA 35 für sie weder eine Ablehnung noch eine Bestätigung – man lässt sie im Dunklen und verzögert die Bearbeitungszeit, bis sie wie in Alijahs Fall riskieren, sich mit ihrem Aufenthalt illegal zu machen.

Abwarten in Budapest

Sibel, eine Studentin aus Istanbul im zweiten Jahr ihres Masterstudiums, wird noch diese Woche nach Budapest abreisen. "Letzte Woche hat die Frau am Telefon mich angeschrien und sagte, meine Anrufe würden den Prozess nur verlangsamen. Ich weiß nicht, bin ich illegal, kriege ich ein Visum? Ich habe Freitag den ganzen Tag nur geweint."

Ob Sibel, eine Studierende aus Istanbul, an der CEU in Wien weiterstudieren kann, hängt von der MA 35 ab.
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Wie hoch die Zahl der Betroffenen ist, ist unklar. Da einige Studierende noch von letztem Jahr eine Aufenthaltsgenehmigung für Ungarn haben, wollen sie in Budapest abwarten, bis ihr Antrag hoffentlich genehmigt wird. 400 Aufenthaltsbewilligungen wurden bereits erfolgreich ausgestellt, dennoch spricht die Studierendenvertretung der CEU von einer "Abschiebekrise" mit über 50 Fällen und einer immensen psychischen Belastung für die Betroffenen.

Kollektives Desaster

Eine Insiderin, die anonym bleiben möchte, schätzt die Zahl weit darunter, genaue Angaben kann aber auch sie nicht machen. Ob die Situation zu einem kollektiven Desaster werden könnte, werde sich ihrer Meinung nach erst in den kommenden Tagen zeigen, viele Gerüchte führt sie auf Panikmache zurück. Zwar liege ein Teil der Verantwortung in der mangelhaften Kommunikation zwischen Universität und Studierenden, das Hauptproblem sei aber die MA 35. "Wir haben es hier mit einem Bearbeitungsprozess zu tun, der unangemessen und unmenschlich ist – aber keineswegs nur die CEU betrifft. Die Universität war nicht auf diese Probleme vorbereitet und die Studierenden wissen oft nicht, wie sie mit der Lage umgehen sollen."

Obwohl ein Großteil der Studierenden ein Stipendium von der Universität bezieht und kostenlos im CEU-Wohnheim untergebracht ist, wird von ihnen zusätzlich ein jährlicher Einkommensnachweis von beinahe 10.000 Euro gefordert. Oft müssten sie diese Bankauszüge mehrmals vorlegen – gerade für Studierende aus armen Ländern, die das Geld oft leihen müssten, sei diese Forderung absurd. "Diese Summe zusammenzukratzen war ein Albtraum. Wer hat so viel Geld?", fragt Sibel.

2025 soll die CEU ihren Standort auf dem Otto-Wagner-Areal beziehen.
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Nach Angaben der Studierendenvereinigung haben die meisten von der Situation betroffenen Menschen einen nichteuropäischem Namen oder einen muslimischen Hintergrund. Auch Alijah glaubt, dass Diskriminierung eine Rolle spielt. "Beweisen kann ich es natürlich nicht, aber kann es Zufall sein, dass so viele von uns, die Probleme mit der MA35 haben, People of Color sind?"

Der Frust gilt auch der Universitätsleitung, die das Problem lange nicht ernst genug nahm und die Anforderungen für einen Aufenthaltstitel vor Semesterbeginn nicht klar kommunizierte. "Man sagte uns: Kommt nach Wien und beantragt ein Visum hier!", sagt Alijah. Zwischenzeitlich drohte die CEU, unser Stipendium zu streichen, sollten wir nicht hier sein. Dass in einer Petition, die Hunderte unterschrieben, von "Abschiebungen" die Rede ist, sei nicht hilfreich, schrieb CEU-Rektor Michael Ignatieff als Reaktion in einer Rund-E-Mail an die Studierenden.

Komplizierte Rechtslage

Georg Hufgard-Leitner, Leiter der MA35, reagiert auf die Situation in einem versöhnlichen Ton. "Die CEU ist für uns ein Großprojekt, das große Priorität für die Stadt hat. Das muss gut klappen. Viele unserer Juristinnen und Juristen haben sich darüber den Kopf zerbrochen und mit der CEU zusammengearbeitet. Fast alle Studierenden haben ihr Visum bereits bekommen." Dass es in "Einzelfällen" Schwierigkeiten im Visaprozess gebe, bedauere er – was die Tätigkeit seiner Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter bei der MA 35 erschwere, sei die komplexe Rechtslage, die zu Verzögerungen im Bearbeitungsprozess führt. Zum Beispiel, wenn jemand seinen Lebensunterhalt nicht detailliert nachweisen kann.

Den Beschuldigungen gegen seine Mitarbeiter, die Studierende der CEU grob behandelt und beleidigt haben sollen, wolle er im Detail nachgehen. Studierende wie Sibel sollten sich persönlich an ihn wenden – er werde sich ihre Fälle ansehen, lautet sein Versprechen. (Marina Klimchuk, 1.12.2020)