Die Namen von vier Millionen Opfern der NS-Vernichtungspolitik gegen Jüdinnen und Juden sind in der Halle der Namen in Yad Vashem aufgelistet: ein Dokument der Erinnerung.

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Wenn die letzten Zeitzeugen sterben, gewinnen die Orte, die sich das Erinnern zur Aufgabe gemacht haben, an Bedeutung. Einer dieser Orte befindet sich in Jerusalem: Die Holocaust-Gedenkstätte Yad Vashem birgt ein Museum, ein Forschungszentrum, aber auch das größte Archiv zum Holocaust, das Forschern auf der ganzen Welt Quellen für ihre Arbeit bietet – sowie die weltweit umfangreichste Holocaust-Bibliothek.

Das alles soll, wenn es nach dem israelischen Regierungschef Benjamin Netanjahu geht, bald in den Händen eines Rechts-außen-Hardliners ruhen. Effi Eitam, der frühere Minister einer fundamentalistisch-religiösen Partei, soll ab Jänner neuer Leiter von Yad Vashem sein. Eitam hatte einst die kollektive Vertreibung der Palästinenser und den Tod Yassir Arafats gefordert. Konkret regte er an, man möge den Palästinenserführer vor ein Tribunal führen "wie einst Adolf Eichmann".

Petition gegen Ernennung

Für viele Überlebende ist die Personalie ein Schlag ins Gesicht, und 750 namhafte Historiker und Gedenkstättenleiter unterzeichneten eine Petition, mit der die israelische Regierung aufgefordert wird, von der umstrittenen Auswahl abzusehen. Einer der Initiatoren der Petition ist Hanno Loewy, Leiter des Jüdischen Museums Hohenems.

Er befürchtet, dass nach Eitams Ernennung "alle, die in Yad Vashem ernsthaft arbeiten, eingeschüchtert oder gefeuert werden". Die Gedenkstätte drohe zum Werkzeug einer rechtsnationalen Politik zu verkommen, sagt Loewy im STANDARD-Gespräch. Als Hort des weltgrößten Holocaust-Archivs trage Yad Vashem "eine riesige Verantwortung, diese Ressource zu pflegen".

"Das ist ein Mann, der für ethnische Säuberung steht", sagt auch Amos Goldberg, Professor für die Geschichte des Holocaust an der Hebräischen Universität Jerusalem, zum STANDARD. "Das ist so, als würde ein rechts von der AfD stehender Politiker die Gedenkstätte Sachsenhausen leiten." Das sei ein "symbolisches Desaster".

"Er hat eine klare Agenda"

Sollte Eitam bestellt werden, wäre das ein massiver Schaden für Yad Vashem und für die Holocaust-Forschung auf der ganzen Welt. "Eitam ist nicht irgendeine Marionette, er hat eine klare Agenda." Der Holocaust drohe instrumentalisiert zu werden, um Kritiker des israelischen Staats mundtot zu machen. "Wer Israels Politik kritisiert oder das Recht der Palästinenser auf Selbstbestimmung unterstützt, wird zum Antisemiten abgestempelt." Diese Tendenz gebe es bereits jetzt, unter Eitam drohe sie zur Leitlinie der Gedenkstätte zu werden, befürchtet Goldberg, der selbst zehn Jahre in Yad Vashem tätig war. Der Historiker schließt auch nicht aus, dass sich die Gedenkstätte zu einem Zentrum islamophober Propaganda entwickeln könnte. Diese Veränderungen würden zwar nicht über Nacht passieren, sagt Goldberg, "aber in spätestens zwei Jahren wird Yad Vashem ganz anders aussehen".

Nach und nach könnte Eitam das Personal der Einrichtung austauschen. Seriöse Forscher im Ausland würden Yad Vashem womöglich den Rücken zukehren, "weil sie eine Kooperation als unmoralisch erachten". Es sei zu befürchten, dass die Gedenkstätte jenen Forschungsprojekten, die der rechtsnationalen Ideologie widersprechen, den Geldhahn zudrehe. Zumal Yad Vashem mit schweren finanziellen Problemen kämpft, die sich angesichts der monatelangen Corona-bedingten Schließung noch verschärften. Da gewinnt es an zusätzlicher Brisanz, dass sich den Unterzeichnern der Petition gegen Effi Eitam auch zwei ausländische Geldgeber der Gedenkstätte angeschlossen haben.

Auch in Israel selbst regte sich Protest. Die Vorsitzende des Dachverbands der Shoa-Überlebenden, Colette Avital, gab zu bedenken, dass Yad Vashem der Inbegriff einer Einrichtung sei, die im Namen von Minderheiten spricht. Angesichts dessen sei es "sehr schwer, Äußerungen wie die seinen (Effi Eitams, Anm.) zu akzeptieren".

Gantz will Veto einlegen

Die Welle an entsetzten Reaktionen aus dem In- und Ausland scheint in Israels Regierung angekommen zu sein. Unklar ist, ob sie Wirkung zeigt. Medienberichten zufolge hat Netanjahus Koalitionspartner Benny Gantz angekündigt, der Besetzung nicht zuzustimmen. Fix ist das nicht. Auch andere heikle Toppositionen sind nämlich neu zu besetzen – unter anderem zwei Führungsfiguren in der Justiz, die großen Einfluss auf den Strafprozess gegen Netanjahu haben. Der Premier steht wegen mehrfacher Korruptionsanklage vor Gericht. Sollte Gantz bei Yad Vashem hart bleiben, muss er wohl bei den anderen Personalien nachgeben. Der Koalitionspakt zwischen Netanjahu und Gantz sieht nämlich Einstimmigkeit bei Personalentscheidungen vor. (Maria Sterkl aus Jerusalem, 23.11.2020)