Klosterneuburg/Wien – Bisher ging man davon aus, das die Zellen während der Teilung steif sind und mechanische Kräfte aus ihrer Umgebung keine Rolle spielen. Damit würden auch ihre Form und damit die Teilungsorientierung unberührt bleiben – ein Irrtum, wie nun Forscher im Fachjournal "Developmental Cell" berichten. Ein Team um Carl-Philipp Heisenberg und Benoit Godard vom Institute of Science and Technology (IST) Austria in Klosterneuburg (NÖ) entdeckte in Zusammenarbeit mit dem McDougal-Labor der Sorbonne-Universität, dass sich die teilende Zelle aufweicht und damit der mechanischer Spannung im umgebenden Gewebe ermöglicht, ihre Form and somit Zellteilungsorientierung zu beeinflussen.

Seescheiden als Modellorganismen

Aufgrund der Anzahl von Zellen innerhalb eines Gewebes ist die Untersuchung von deren Interaktionen eine Herausforderung. Ursache und Wirkung lassen sich nur schwer voneinander trennen. Deshalb verwendeten die Wissenschafter einen einzigartigen Modellorganismus: Seescheiden, kleine wirbellose Meerestiere, entwickeln sich beinahe wie Wirbeltiere. Sie bestehen jedoch nur aus sehr wenigen Zellen. Gleichzeitig ist das Schicksal ihrer Zelle schon sehr früh festgelegt. Mit weniger Zellen und einer vorgegebenen Entwicklung ermöglichen diese Modellorganismen den Forschern eine genauere Untersuchung der Gewebedynamik.

Die Steifigkeit einer Zelle während ihrer Teilung wird mit Hilfe einer Mikropipette bestimmt.
Foto: Benoit Godard / IST Austria

Seit mehr als einem Jahrhundert ist bekannt, dass Zellen dazu neigen, sich senkrecht zu ihrer Längsachse zu teilen. Früher ging man davon aus, dass Zellen während der Teilung steif und damit unempfindlich gegenüber mechanischen Kräften aus ihrer Umgebung sind. Ihre Form und damit die Teilungsorientierung bliebe also unbeeinflusst.

Widerspruch zu bisherigen Erkenntnissen

"Wir hatten vorläufige und indirekte Ergebnisse, die darauf hindeuteten, dass Zellen während der Teilung weich werden. Dies stand aber in völligem Gegensatz zur bisherigen Literatur über Zellteilung. Als ich also die biophysikalische Messung der Zellspannung durchführte und die Aufweichung der Zelle entdeckte, war dies der größte Moment in meiner wissenschaftlichen Karriere", meint Benoit Godard.

Heisenberg und sein Team führten einen dreidimensionalen Scan des Seescheiden-Embryos während der Entwicklung durch und kombinierten diesen mit biophysikalischen Messungen der Zellfestigkeit. Dadurch entdeckten die Wissenschafter, dass sich teilende Zellen weicher werden und es damit äußeren Kräften erlauben, die Zellen während der Teilung zu verformen und somit ihre Teilungsorientierung zu beeinflussen.

Video: Ein Seescheiden-Embryo, bestehend aus 32 Zellen. Die Sternchen markieren die sich teilenden und weichen Zellen an der Unterseite des Embryos, die von den Zellen an der Oberseite des Embryos gezogen und verformt werden, und damit ihre Zellteilungsebene senkrecht zu den ziehenden Zellen ausrichten.
IST Austria

Auch für klinische Studien von Bedeutung

"Wir wollten die entscheidenden Faktoren der Zellteilung identifizieren. Dabei haben wir entdeckt, dass Zellen, die sich teilen, weicher werden und damit direkt auf die Kräfte ihrer Nachbarn durch eine Änderung ihrer Form reagieren. Die mechanische Spannung im Umfeld einer sich teilenden Zelle bestimmt somit die Zellteilungsorientierung und das Schicksal ihrer Tochterzellen", fasst Heisenberg zusammen.

Diese Studie ebnet den Weg zu einem neuen Verständnis der Zellteilung in der Grundlagenforschung. Gleichzeitig könnte das Ergebnis aber auch für klinische Studien von Bedeutung sein. Da beispielweise Tumore die Gewebespannung ebenfalls stark verändern, könnten diese wiederum die Geschwindigkeit und Teilungsorientierung von anderen Tumorzellen beeinflussen. Die Ergebnisse dieser Studie helfen also, Gewebemissbildungen zu erklären und könnten eine von außen gesteuerte Gewebebildung ermöglichen. (red, 25.11.2020)