Rechnet weder mit einer Kündigungs- noch mit einer Insolvenzwelle: der neue Präsident der Industriellenvereinigung, Georg Knill.

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Georg Knill hat im Juni sein Amt nach einem heftigen Machtkampf in der Industriellenvereinigung angetreten. Die altehrwürdige Organisation gilt als mächtige Lobby mit bestem Draht zum Bundeskanzler. Knill, der aus einem Familienunternehmen stammt, ist mit der Bewältigung der Corona-Krise voll eingespannt. Zudem versucht er, Forderungen nach einer Verkürzung der Arbeitszeit oder von Vermögenssteuern abzuwehren.

STANDARD: Corona hat die Wirtschaft fest im Griff. Wie stark treffen steigende Infektionszahlen die Industrie?

Knill: Wir sind ein Exportland und massivst eingeschränkt, weil wir nicht zu unseren Kunden kommen. Das gilt im Vertrieb, aber auch bei der Inbetriebnahme und bei den Serviceleistungen. Das hindert uns an der Auftragsakquisition und der Auftragserfüllung.

STANDARD: Sie kommen aus einem international tätigen Konzern, der in den Bereichen Energie und Telekom aktiv ist. Wie sind da die Erfahrungen im Ausland?

Knill: Ich habe jetzt fünf Leute nach China zur Inbetriebnahme geschickt, die müssen dort zwei Wochen in Quarantäne, das bedeutet faktisch Einzelhaft. Wir können derzeit fast nicht in die USA. Selbst in Europa gestaltet sich der Grenzübertritt schwierig. Es ist unvorstellbar, in Deutschland fünf Tage in Quarantäne zu gehen. Der Zickzackkurs der Politik drückt die Planbarkeit auf null. Das erschwert das Leben der Betriebe massiv. Auch in Österreich müssen wir auf Basis neuester medizinischer Erkenntnisse eine offene Diskussion über die aktuelle Quarantänedauer führen.

STANDARD: Selbst in Österreich klagen Betriebe wegen eingeschränkter Erreichbarkeit – Stichwort Kuchl.

Knill: Kuchl ist auch so ein Beispiel. Da sieht man, wie arbeitsteilig die Wirtschaft ist. Schon ein fehlendes Ersatzteil kann zum Stillstand führen. Ich hoffe, dass man nicht überreagiert. Einen zweiten Lockdown halten wir nicht aus.

Die Industrie ist laut Knill viel bedeutsamer als der Tourismus.
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STANDARD: Es gibt schon Argumente aus dem Tourismus, wonach ein rascher, kurzer Lockdown die Wintersaison noch retten könnte.

Knill: Aus Sicht des Fremdenverkehrs ist das nachvollziehbar. Doch der Tourismus hat acht Prozent Anteil am Bruttoinlandsprodukt, die Industrie 28. Wir dürfen die Gesamtwirtschaft nicht in Gefahr bringen.

STANDARD: Den Unternehmen wird mit Investitionsprämie, Verlustrücktrag, Zuschüssen und vielen anderen Maßnahmen unter die Arme gegriffen. Rennt die Wirtschaft nur mit Milliardensubventionen samt hohem Budgetdefizit?

Knill: Ich kann da nur Finanzminister Gernot Blümel zitieren: Das Budget ist die Antwort auf die Krise. Der Rückgang der Wirtschaft erreicht heuer ein Volumen von 30 Milliarden Euro, acht Milliarden davon entfallen auf die Industrie. Das ist schon extrem. Die Antworten der Regierung im Budget sind adäquat und notwendig, um die Krise zu meistern und gestärkt aus ihr hervorzugehen.

STANDARD: Die Frage stellt sich, was überwiegt: Geschenke an die Betriebe oder Konjunkturankurbelung?

Knill: Nehmen Sie beispielsweise die Investitionsprämie: Von zwei Milliarden, die zur Verfügung gestellt werden, sind schon 1,8 Milliarden Euro ausgeschöpft, die 18 Milliarden Euro an Investitionen auslösen. Das ist bestinvestiertes Geld, um Wachstumsimpulse zu generieren. Aus unserer Sicht sollte die Regierung eine dritte Milliarde zur Verfügung stellen.

STANDARD: Wie passen diese großen Investitionspläne mit den Rationalisierungen oder sogar Schließungen bei MAN in Steyr, ATB, Swarovski und vielen anderen Betrieben zusammen?

Knill: Covid hat eine Art Katalysatorwirkung. Manche Dinge kommen verstärkt zum Vorschein, Entwicklungen werden beschleunigt. Es wäre aber falsch, Covid für alles die Schuld zuzuschieben. Sie haben ein paar Firmen genannt, da liegen die Ursachen nicht bei Corona. Viele Betriebe müssen wegen mangelnder mittelfristiger Perspektive Kapazitätsanpassungen vornehmen. Das schlägt sich leider am Arbeitsmarkt nieder. Aber es gibt auch die andere Entwicklung. 26.000 Unternehmen haben um eine Investitionsprämie angesucht. Das heißt, die Betrieben glauben an den Wirtschaftsstandort und die Zukunft.

Das neue Fürhungsteam der IV: Mitterbauer, Knill, Herlitschka und Lattorff (von links nach rechts) bilden das Präsidium der Interessensvertretung.
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STANDARD: Aber kommt es jetzt nicht noch dicker? Viele Unternehmen haben ja nur wegen Kurzarbeit kein Personal abgebaut.

Knill: Am Höhepunkt waren 1,3 Millionen Menschen in Kurzarbeit, zuletzt waren es noch 290.000. Man hat die Krise mit Kurzarbeit also bestmöglich abgefedert. Das ist ein Erfolgsmodell. Es gibt produzierende Unternehmen, die nach der Behaltefrist Kapazitäten angepasst haben, andere fahren wieder mit Normalauslastung. Da gibt es keine generellen Trends. Mit einer Kündigungswelle rechne ich jedenfalls nicht.

STANDARD: Und mit einer Insolvenzwelle, wenn Abgabenstundungen auslaufen und Gebietskörperschaften wieder Konkursanträge stellen?

Knill: Auch nicht, zumindest nicht in der Industrie.

STANDARD: Zurück zum Budget: Die Schulden für die Wirtschaftsbelebung müssen eines Tages zurückbezahlt werden. Wie kann man die abbauen?

Knill: Wir kommen auf eine Verschuldung von 85 Prozent, das liegt im europäischen Vergleich im hellgelben Bereich. Neben dem Schuldenabbau muss über Wachstum die Ausgabendynamik in der Verwaltung eingedämmt werden.

STANDARD: Das hören wir schon lange. Können Sie Verwaltung konkretisieren? Meinen Sie Spitalbetten und Lehrergehälter?

Knill: Es gibt Studien, wonach in der Verwaltung – von Bildung bis Gesundheit – acht Milliarden Euro gespart werden können. So groß ist das Potenzial, wenn man die Kosten nach Bundesländern vergleicht und sich an Best-Practice-Beispielen orientiert. Das ist das Potenzial, ohne dass bei den Leistungen gekürzt wird.

STANDARD: Andere sehen jetzt die Zeit gekommen, bei Vermögenssteuern anzusetzen. Da liegen wir im internationalen Vergleich extrem niedrig.

Knill: Ich sehe uns da eher im europäischen Schnitt. Und vergessen wir nicht: Insgesamt betrachtet ist Österreich ein absolutes Hochsteuerland. Wir brauchen keine neuen Belastungen.

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Georg Kapsch trat im Juni ab, die Kür seines Nachfolgers war aufreibend.
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STANDARD: Sogar im Industriekonzept ihres Vorgängers sind höhere Grundsteuern enthalten, wenn das Aufkommen zur Senkung anderer Abgaben verwendet wird.

Knill: Das ist aber ein Gesamtkonzept. Einen Punkt herauszupicken ist nicht zulässig. Wichtig ist die Senkung der Abgabenquote, insbesondere der Körperschaftsteuer und der Lohnnebenkosten.

STANDARD: Trotz hoher Arbeitslosigkeit wird schon wieder von Fachkräftemangel gesprochen. Doch gleichzeitig werden deutlich weniger Lehrlinge ausgebildet. Müssen sich die Betriebe nicht an der eigenen Nase nehmen?

Knill: Es gibt aber auch 8000 offene Lehrstellen. Wir haben ein Mismatch nach Regionen und Branchen.

STANDARD: Also mehr Mobilität wie beispielsweise in den USA, wo Arbeitslose eher dorthin übersiedeln, wo es Jobs gibt?

Knill: Das ist auch eine Kulturfrage. Wir sind sehr ortsansässig. Von der Wiege bis zur Bahre ja nicht den Ort verlassen. Da sind wir auch gesellschaftlich gefordert.

STANDARD: Warum sperren Sie sich so gegen eine Arbeitszeitverkürzung? Könnten die Arbeit dadurch nicht auf mehr Personen verteilt werden?

Knill: Wenn Sie nach Frankreich blicken, sehen Sie, dass dieses Experiment gescheitert ist. Frankreich hat den Schritt zurückgenommen. Wir sind insbesondere gegen Arbeitszeitverkürzung bei vollem Lohnausgleich. Das hieße bei einer Verkürzung von 38 auf 35 Wochenstunden eine Kostensteigerung um zehn Prozent. Sie bringt auch nicht die gewünschten Beschäftigungseffekte. Das ist nicht realistisch. (INTERVIEW: Andreas Schnauder, 24.10.2020)