Es ist auch die Leichtigkeit, die von der Schwere des Lebens im Spitzensport geblieben ist. Nadine Brandl lächelt oft. Und das, obwohl ihr die Zeitverschiebung aufs Gemüt schlagen könnte. Die 30-jährige Wienerin sitzt in ihrem Haus in Las Vegas, bei ihr ist es morgens, während im herbstlich grauen Wien die Sonne untergeht. Las Vegas: Das ist Sonne, Show und (vermeintliche) Sorglosigkeit. "Ich werde oft gefragt, ob ich hier im Hotel wohne. Nein, es ist eher wie in einer US-Serie, wie in Desperate Housewives", sagt sie.

Nadine Brandl in ihrem Element.
Foto: jr@outex.com/JR Souza

Seit 2016 lebt Brandl in Las Vegas nicht nur einen Traum, sie arbeitete darin. Le Rêve, der Traum, hieß die aufwendige Wassershow im Wynn Las Vegas Casino Resort, in der Brandl als professionelle Nixe schwamm. 300 Personen arbeiteten mit, 65 Akrobaten, 15 Schwimmer. Zwei Shows täglich, fünf Tage die Woche vor rund 1600 Zuschauern: Da war keine Müdigkeit erlaubt, the Show must go on. Bis es im Frühjahr hieß: The Show can’t go on. Nach 15 Jahren wurde Le Rêve eingestellt.

Was in Vegas passiert, bleibt in Vegas, heißt es. Doch als das Coronavirus blieb, traf es die die Metropole des wilden Nachtlebens, der schnell gewonnenen und noch viel schneller verlorenen Dollars besonders hart. Casinos mussten vorübergehend schließen, die pompösen Shows wurden ausgesetzt oder gänzlich abgesagt. Auch Le Rêve hatte ausgeträumt. "Ironischerweise habe ich kurz vor der letzten Show meine Green Card bekommen. Dass es nicht weitergehen würde, war traurig", sagt Brandl. Trotzdem spürt man keinen Frust bei der Wienerin. Wenn sie vom Ende der Show und dem turbulenten Jahr in den USA erzählt, dann tut sie das so beiläufig, als hätte sie gerade den Bus verpasst. Dahinter verbirgt sich aber nicht naive Sorglosigkeit, sondern ihr Talent zum Blick nach vorn. Fast immer mit einem Lächeln.

Die Show.
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Ein Leben im Becken

Es sind diese Weggabelungen im Leben, die Brandl mit bemerkenswerter Leichtigkeit nimmt. Und das allein schon im elementaren Sinn: Denn im Wasser ist irgendwie alles leichter. Brandls Großmutter Eva Worisch war erfolgreiche Wasserspringerin und später Pionierin des Synchronschwimmsports in Österreich. Ihre Tante Alexandra Worisch holte Synchron-Medaillen bei Europameisterschaften und Weltmeisterschaften, ihr Bruder Fabian war lange mit Constantin Blaha Aushängeschild im Turmspringen. Kurz: Für Brandl führten alle Wege ins Wasser.

Synchronschwimmen also. Diese Sportart, die in ihrer oberflächlichen Abstraktion nach wie vor um Anerkennung und gegen blöde Sprüche ankämpfen muss. Dass es dabei um weit mehr geht als auftauchen, abtauchen, Arm raus, Bein raus, Kopf drehen, lächeln zeigt ein Blick unter die Wasseroberfläche. "Man braucht eine extreme Körperbeherrschung", sagt Brandl. Die Bewegungen sind im wahrsten Sinne des Wortes atemberaubend, die Körper werden bis in den letzten Muskel angespannt – abstoßen aus dem Wasser, zurücksinken, alles unter Atemnot, synchron zur Musik und/oder der Duettpartnerin. Synchronschwimmen ist keine Lachnummer, Synchronschwimmen ist Spitzensport. Und Brandl schwamm sich an die Spitze.

Die Wienerin galt lange als Beste ihrer Zunft. Bei der EM 2012 wurde sie im Soloprogramm Sechste, nahm an Olympischen Spielen teil (2008 und 2012). In London wurde sie 2012 gemeinsam mit Partnerin Livia Lang 19. Den Abschluss sollten die Sommerspiele 2016 in Rio machen, da sich aber keine geeignete Partnerin fand, beendete Brandl mit 26 Jahren ihre Karriere. Noch heute ist sie nicht wehmütig: "Wäre ich damals nach Rio gefahren, hätte das mit Las Vegas wohl nicht geklappt."

Brandl (re.) mit Partnerin Livia Lang bei den Olympischen Spielen in London.
Foto: APA/ROLAND SCHLAGER

Bei aller Wertschätzung ist Synchronschwimmen selbst in der Sparte Wassersport eine Nische. Auf der Straße wird man als Synchronschwimmerin eher nicht erkannt. Das ist nicht nur, aber besonders in Österreich so. Selbst innerhalb des österreichischen Schwimmverbands ringt der Synchronsport um Anerkennung und Fördermittel. Hinter zumeist verschlossenen Türen, versteht sich.

In der Nische liegt die Kraft

März 2015, Vertreter des Schwimmverbandes laden in Wien zu einer Pressekonferenz. Neben drei Funktionären sollte auch Synchronschwimmerin Brandl Schönes transportieren und Fortschritte unterstreichen. Probleme sollten da bleiben, wo man sie haben will: unter dem Teppich, dabei aber bitte lächeln. Die damals 25-Jährige hielt sich jedoch nicht ans Drehbuch: "Wenn Sie mich fragen, ob sich etwas verändert hat, möchte ich sagen: Nein. Das hier ist das beste Beispiel. Da wurde eine Athletin eingeladen, um über den Verband zu reden, der man ein halbes Jahr nur Steine in den Weg gelegt hat", sagte Brandl. Es habe ihr an Unterstützung und Wertschätzung seitens des Verbandes gefehlt. Die Wogen sollten sich glätten.

In einer Nischensportart kann man auf die Erfahrung einer Topathletin eigentlich nicht verzichten. Brandls Weg aber führte nicht in die vorgezeichnete Funktionärs- oder Trainerposition: "Man muss sich in einer Randsportart früher damit auseinandersetzen, was man nach der Karriere macht." Das sei irgendwie sogar ein Vorteil, sagt sie. Brandl hat zwei Hochschulabschlüsse, aktuell verfeinert sie die Ausbildung zur Yogalehrerin.

Von der Show in Las Vegas hörte sie schon während ihrer aktiven Zeit. Le Rêve hat einen exzellenten Ruf, wurde mehrmals zur besten Akrobatikshow der Stadt gewählt. Ehemalige Spitzenathleten sind Teil des Ensembles. 2016 flog sie nach einer Akrobatikshow in Graz zum Casting nach London – und überzeugte. Ausschlaggebend waren ihr Können unter Wasser und ein wenig Glück: "2016 wurden zufällig vier Plätze frei. Die Jahre darauf wurde nur mehr einzeln nachbesetzt. Es ist eng bemessen." Dass man sie auf Werbeplakaten überall in Vegas sehen konnte, war Zufall, eigentlich sollte sie beim Shooting nur Reserve sein.

Kaltes Wasser in der Wüste

Show statt Spitzensport.
Foto: privat

Der Schritt in die USA bedeutete für die Profischwimmerin dennoch einen Sprung ins kalte Wasser: "Synchronschwimmen ist Leistungssport, Le Rêve war Kunst. Ich musste meine Bewegungen anpassen." Der Ablauf der Show ist perfekt wie minutiös durchgetaktet und geplant. Jeder hat seinen Platz, seine Aufgabe. Brandl trainierte, passte sich an. Man half ihr, in Nevada Fuß zu fassen.

Und jetzt, nach Ende der Show? Brandl sitzt nicht in Las Vegas fest, es führen viele Wege aus der Stadt in der Wüste. "Gigs" nennt sie die Aufträge, die sie von Dallas bis nach Kalifornien führen. Als Synchronschwimmerin wird sie für Film- und TV-Aufzeichnungen gebucht. Heuer aber kann sie zum ersten Mal seit Jahren wieder Weihnachten mit der Familie in Österreich verbringen: "Darauf freue ich mich ganz besonders."

Ob sich das Showleben in Las Vegas bald erholt, sei nicht absehbar, einige kleinere Shows laufen schon wieder an. Schon bald kann man sich aber von ihr in Yoga unterrichten lassen. Online – und ausnahmsweise im Trockenen. (Andreas Hagenauer, 22.10.2020)