Christine Wunnicke, "Die Dame mit der bemalten Hand". 22,70 Euro / 160 Seiten. Berenberg-Verlag, Berlin 2020

Cover: Berenberg

Für eine unwahrscheinliche Begegnung braucht es auch einen unwahrscheinlichen Ort. Wie wäre es mit einem Höhlentempel auf der Insel Elephanta, vom indischen Subkontinent eine kürzere Schiffsfahrt entfernt, also immerhin nicht ganz aus der Welt?

In Christine Wunnickes Roman Die Dame mit der bemalten Hand, der für den Deutschen Buchpreis 2020 nominiert war, treffen an diesem – man ist versucht zu sagen und läge damit nicht ganz verkehrt: gottverlassenen – Ort Anno Domini 1764 ein deutscher Forschungsreisender und ein persischer Astronom aufeinander.

Der Deutsche heißt Carsten Niebuhr. Der Sterngucker hat einen ausführlicheren Namen: Ustad Musa ibn Zayn ad-Din Qasim ibn Qasim ibn Lutfullah al-Munaggim al-Lahuri. Da würde im Vergleich wahrscheinlich sogar Hadschi Halef Omar den Kürzeren ziehen.

Bei dem Namensteil al-Lahuri kann man aufmerken, denn dahinter verbirgt sich die Information, dass Musa, wie er im Roman zumeist aus praktischen Gründen genannt wird, aus Lahore im heutigen Pakistan stammt.

Sohn des Orients

Er ist aber so richtig ein Geschöpf einer Welt, die als Zusammenhang sehr stark durch das Abendland gestiftet wurde: Musa ist ein Sohn des Orients, und Christine Wunnicke hat einen waschechten Morgenland-Roman geschrieben.

Man könnte von einer interkulturellen Komödie sprechen, aber genau genommen geht es nicht wirklich um Kommunikation zwischen Kulturen, sondern um eine ironische Überhöhung der deutschen bildungsbürgerlichen Hoffnung, in Arabien der unverstellten "biblischen Art" auf die Spur zu kommen, also so etwas wie einen Ursprung aller Kultur zu finden. Das war ein Projekt der Aufklärung, und Niebuhr ist deren Sendbote.

Es geht ihm nicht gut, als ihn Musa, den es auf einer Geschäftsreise nach Manbai (Bombay oder Mumbai) auf die Insel Gharapuri (ein anderer Name für Elephanta) verschlägt, aufliest.

Die verwirrende Vielzahl von Namen ist Programm in einem Text, in dem der eine Sanskrit, Persisch und Arabisch, der andere Deutsch und Behelfsarabisch spricht. "Sein Arabisch war reichhaltig, falsch und lustig. Man verstand jedes Wort", heißt es über Musa.

In der konkreten Wirklichkeit des Buchs sprechen beide natürlich das artifizielle Deutsch von Christine Wunnicke. Die Verfasserin von Die Dame mit der bemalten Hand lebt in München und hat einmal den Wilhelm-Raabe-Preis bekommen, woraus sich für Kundige eine Ahnung von der Beschaffenheit ihrer Prosa ableiten lässt.

Im 18. Jahrhundert wurden in Deutschland die gelehrten Grundlagen für einen intellektuellen Trend gelegt, der dann in Herders Kulturtheorie und in Goethes West-Östlichem Divan die bekanntesten Ausprägungen fand – dass nämlich zu den alten Griechen weitere Hoffnungsträger für kulturelle Identifikation traten.

Alles geht schief

Christine Wunnicke erzählt davon allerdings so, dass von Beginn an eine Menge schiefläuft. Der Mathematikus Niebuhr aus dem Bremischen landet am falschen Ort, nämlich in Hindustan. "Dort hatte sich Biblisches nicht ereignet", sodass es einem Missverständnis zuzuschreiben ist, wenn er die Tempel auf Gharapuri für eine Darstellung der Szene mit dem salomonischen Urteil hält. Er bewegt sich "in heidnischen Altertümern". Mit den neun Fiebern, die Niebuhr schon in den Gliedern hat, wird er unwillkürlich zum Religionskritiker.

Eine der Pointen dieses vergnüglichen, im guten Sinn kapriziösen Romans ist, dass mit dem Wahrheitsverständnis von Musa eher Zivilisation zu machen wäre: Er hält viel auf genaue Beobachtung (der Gestirne), nimmt sich beim Erzählen aber alle Freiheiten (lügt also gern). Von Guru Jagannatha, einer Figur aus Die Dame mit der bemalten Hand, kommt die Sentenz, die nicht nur Niebuhr beherzigen könnte: "Es ist alles ein Rätsel. Du musst es nicht lösen."(Bert Rebhandl, 17.10.2020)