DJ-Pult, Alkoholausschank, Nebelmaschine und Lasershow: Die Sillschlucht wurde diesen Sommer zum Club.
Foto: privat

Der Bass lässt die Menge erzittern. Hunderte Feiernde tanzen. Ihre Schuhsohlen kleben nicht am alkoholverklebten Boden, sondern sind schlammverkrustet und stampfen auf Sägespänen. Es riecht nicht nach Schweiß und Parfum, sondern nach Wald und Marihuana. Die Discokugel hängt an einem Baum, der Strom der Boxen kommt aus Generatoren. Die Tanzenden feiern nicht im Club, sondern auf einem Rave in der Sillschlucht bei Innsbruck Anfang Juli.

Mittlerweile ist Unistart: Für gewöhnlich würden nicht nur Vorlesungen und Übungen starten, sondern auch Studierenden-Clubbings, Erstsemesterpartys oder Wohnheimfeste. Doch das große Kennenlernen und die Beer-Pong-Duelle finden heuer in Wohnzimmern oder eben auf illegalen Raves statt.

Seit Mitte März sind die meisten Nachtlokale Corona-bedingt geschlossen, Veranstaltungen begrenzt, im Westen macht um 22 Uhr alles dicht. Das treibt die Partyszene in den Untergrund – und die Clubbesitzer in den Ruin, Veranstaltern illegaler Raves wie in der Sillschlucht drohen Strafen in Tausenderhöhe. Zuletzt sind auch die Wiener Discos in den Fokus geraten: Hunderte Menschen haben dort ohne Einhaltung der Abstandsregeln bis nach der Sperrfrist gefeiert. Und die Statistik der Covid-19-Infizierten zeigt, dass sich derzeit viele junge Menschen anstecken.

Feiern gehört zum Jungsein

Dass Partys in die Illegalität verlegt werden, wundert Jugendforscher Bernhard Heinzlmaier nicht. "Feiern gehört zum Jungsein. Das ist auch anthropologisch zu sehen: Jugendliche haben noch keine Beschränkungen des Erwachsenenlebens, sie sollten Freiräume nützen, ihre Grenzen austesten." Durch die Einschränkung der Freiheiten und Aktivitäten während der Pandemie und die Tatsache, dass sich viele Junge von der Politik im Stich gelassen fühlt, werde der Exzess auch "in den nächsten Jahren auf der Tagesordnung stehen".

Ausgehen sei "die Art, sich in dem Alter zu sozialisieren: So lernt man neue Leute kennen, findet die Liebe", sagt auch eine Innsbrucker Jus-Studentin, die anonym bleiben will: "Auf etwas zu verzichten, an das man sich gewöhnt hat und aus dem man Freude und Entspannung zieht, ist generell hart." Die 27-Jährige sieht einen Generationenkonflikt: "Die Gruppe, die vom Virus am wenigsten betroffen ist, muss die größten Einschränkungen hinnehmen."

Keine Pläne für Clubs

Doch nicht nur die Jungen sind pandemiemüde, frustriert oder fühlen sich derzeit übersehen. Auch die Nachtlokalbetreiber tappen seit Monaten im Dunkeln und warten vergeblich auf klare Ansagen, wie es weitergeht. "Die Raves zeigen, dass man das Feiern nicht verbieten kann", sagt Fred Lordick. Er betreibt den Dachsbau, einen Hip-Hop-Club in der Innsbrucker Altstadt. Seine Welt ist derzeit alles andere als perfekt: Zwei komplett ausverkaufte Shows fielen in die Zeit des Lockdowns – damals hatte er noch Hoffnung, zumindest zu Studienbeginn wieder öffnen zu können.

Studierende machen immerhin ein Viertel der Innsbrucker Bevölkerung aus, die Nachfrage nach Party ist deshalb ab Semesterbeginn besonders groß. Davon profitierte bislang nicht nur der Dachsbau, sondern laut Lordicks Schätzungen rund 60 Betriebe und über 100 Vereine. Hunderte Beschäftigte verdienen ihr Geld in der Innsbrucker Nachtgastronomie, darunter viele Studierende.

Sonntagmorgen, sieben Uhr: Noch immer wird in der Innsbrucker Sillschlucht die angestaute Feierlust weggetanzt.
Foto: privat

"Die Politik muss sagen: Wir retten die Clubs, denn wir brauchen sie", findet Lordick, und meint damit nicht nur die wirtschaftliche Bedeutung der Clubszene, sondern insbesondere deren kulturelle Relevanz.

"Das Ganze ist eine ziemlich verlogene Diskussion", ärgert sich David Prieth. Auch er ist Clubbetreiber und bezeichnet sich als "Profi der Nachtkultur". Sie würden die Bedingungen kennen, könnten mit den Feiernden umgehen und wären somit prädestiniert, Corona-verträgliche, alternative Konzepte umzusetzen. Der gesellschaftliche Kulturdiskurs pendle zwischen Hochkultur und Après-Ski, sagt Prieth. Dementsprechend würden sich auch die politischen Anstrengungen und Rettungsmaßnahmen hiernach richten.

Auch Heinzlmaier geht mit der Politik hart ins Gericht: "Die Jugendkultur ist den Entscheidungsträgern völlig egal." Er fordert einen "breiteren Kulturbegriff", ansonsten werde nicht nur die Club-, sondern auch die Jugendkultur bald in Trümmern liegen.

Techno statt Musikkapelle

"Techno ist kulturell genauso bedeutsam wie die Festwochen", sagt Edwin Gruber. Er sitzt mit Lordick und Prieth am Tisch seines Lokals "Das Brahms" im Innsbrucker Haus der Musik, wo sich Operngänger zum Abschluss des Abends einfinden. Gruber betreibt auch den Club Cubique, wo vor Corona-Zeiten Innsbrucks Hipster in Netzstrumpfhosen und Plateauschuhen bis acht Uhr früh zu Techno tanzten. Neulich habe er im Gastgarten des Brahms Techno aufgelegt. "Innerhalb von zehn Minuten war der Magistrat da", erzählt Gruber. "Wenn Musikkapellen lärmend durch den Ort marschieren, stört es keinen".

Auch der 22-jährigen Sarah ist "Party wichtig". Zwar müsse man aufpassen und dürfe Corona "auf keinen Fall unterschätzen", aber man müsse lernen, mit dem Virus zu leben. "Man kann nicht der Jugend alle Freiheit nehmen, die Möglichkeit, einfach Spaß zu haben, sich fallenzulassen", sagt die Medizinstudentin aus Innsbruck. Auch wenn es eine "Herausforderung" sei, wünscht sie sich Partys und Veranstaltungen zurück: "Unter bestimmten Regeln, wie etwa Contact-Tracing, ist das machbar. So kann man Cluster klar abgrenzen. Dann ist es jedem selbst überlassen."

Keine Regeln

Ein Blick in die Sillschlucht: Die angestaute Feierlust scheint im Sommer schwerer zu wiegen als die Räson, Corona wirkt den Abend lang vergessen. Es gibt keine Einschränkungen, keine Masken – es geht darum, dem Alltag zu entfliehen. "Feiern macht den Anpassungsdruck, mit dem die Jugend konfrontiert ist, erträglich. Die Clubs sind auch Räume, wo Alltagsnormen der Gesellschaft entweder aufgehoben oder durchlässiger sind", sagt Jugendforscher Heinzlmaier.

Das weiß auch Lordick: "Außer ‚Habt Spaß!‘ und ‚Seid lieb zueinander‘ gibt es im Club keine Regeln." Sich wohlfühlen gehe nicht mit Maske und Abstand. Aufsperren wollen die drei Clubbetreiber deshalb auch nur "unter halbwegs normalen Bedingungen". Doch: "Irgendwann werden wir wieder feiern wie früher, auch wenn es dauert", sagt Prieth. Nach dem Vorbild Wiens und Berlins haben er und einige Kollegen sich in der "Innsbruck Club Commission" vernetzt und lobbyieren "weiterhin hart für das gute Leben".

Dass auch in den kälteren Monaten Party gemacht wird, steht außer Frage. Wie und wo, das wird sich zeigen. (Maria Retter, 11.10.2020)