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Studierende verlagerten sich für die Vorlesung in die Wiener Votivkirche. Sie fanden in Hörsälen und Seminarräumen der Uni Wien keinen Platz. Das ist vorerst bis Ende Oktober erlaubt.

REUTERS/Lisi Niesner

Es sind skurrile Bilder der ersten Tage des jungen Wintersemesters: Studierende, die im größten Hörsaal des Landes, dem Wiener Audimax, keinen Platz mehr gefunden haben, verfolgen in der nahe gelegenen Votivkirche die Vorlesung per Livestream. Oder Erstsemestrige, denen am Eingang des Austria Centers ein Abstrich für den Corona-Schnelltest genommen wird, bevor sie in die Kurse gehen.

Vor rund einer Woche sind die Hochschulen Corona-bedingt recht turbulent in den Winter gestartet. Zuvor blieben die Studierenden wegen der Pandemie beinahe das ganze Sommersemester daheim. Vier Tage vor dem offiziellen Beginn des Semesters am 27. Februar scharren die Studierenden in den Startlöchern. Es ist nicht nur der Tag des Eisbären, sondern auch der Tag, an dem der Wiener Gesundheitsstadtrat Peter Hacker (SPÖ) verkündet, dass sich der erste Covid-19-Verdachtsfall in der Hauptstadt bestätigt hat. In den folgenden Tagen steigen die Infektionszahlen.

Digitaler Kraftakt

Als Erstes trifft es die Uni Innsbruck. Nach Bekanntwerden eines Corona-Falls kündigt sie an, auf Fernlehre umzustellen. Tags darauf verkündet Kanzler Sebastian Kurz (ÖVP), dass alle Hochschulen bis Ostern geschlossen werden – das Semester ist erst eine Woche alt. Für 380.000 Studierende ist Distance-Learning angesagt. Aus Wochen werden Monate.

Die Unis sind auf diesen groben Einschnitt in die Kultur des Lernens und Lehrens wenig vorbereitet. Im Eiltempo wird Infrastruktur auf die Beine gestellt. Für diesen Kraftakt stellt Wissenschaftsminister Heinz Faßmann (ÖVP) den Hochschulen ein gutes Zeugnis aus: "Sie haben die Herausforderung, das Sommersemester überwiegend digital abzuhalten, gut gemeistert." Laut internen Erhebungen hätten 80 bis 90 Prozent der Lehrveranstaltungen digital stattgefunden.

Temperaturcheck: An der Universität Linz wurde diesen Sommer im Vorfeld der Aufnahmeprüfungen bei den Studienwerbern Fieber gemessen.
Foto: APA/PHILIPP GREINDL

Auch wenn der Übertritt ins Virtuelle überwiegend funktionierte, sagt Sabine Hanger, die neue Chefin der Österreichischen HochschülerInnenschaft: "Wir Studierende waren in der Corona-Krise vor besondere Herausforderungen gestellt." Vor allem habe sich im Corona-Semester "gezeigt, was wir Studierenden schon lange spüren: Die Hochschulen hinken besonders bei der Infrastruktur und digitalen Lerninhalten im internationalen Vergleich extrem hinterher", sagt Hanger. Seit einer Woche ist die AG-Frontfrau ÖH-Vorsitzende, nachdem sich die linke Koalition zerstritten hatte. Als solche werde sie "zuerst alles daran setzen, dass die Digitalisierung der Hochschulen vorangetrieben wird".

Laut Faßmann müssten nicht nur Lehrende dafür weitergebildet werden – wie es bereits passiere –, sondern auch Studierende. Manche Unis hätten dafür "E-Learning-Multiplikatoren", die Studienkollegen helfen. An der Uni Innsbruck hat man studentische Mitarbeiter angestellt, um die Lehrenden bei der Technik zu unterstützen, sagt Bernhard Fügenschuh, Vizerektor für Lehre und Studierende. Viele hätten sich beworben – wohl auch, weil sie seit Corona ohne Nebenjob dastehen.

Kommunikation fehlte

Nicht nur die Digitalisierung ist eine Herausforderung, auch die Kommunikation. Den Studierenden fehlt laut Umfragen besonders der Kontakt. Treffen mit Studienkollegen, Gespräche mit Lehrenden, Nachfragen im Sekretariat. Fügenschuh betont, dass es manchen Lehrenden ähnlich ging: "Auch sie haben sich bemüht, Studierende zu erreichen, und haben keine Antwort erhalten." Laut Faßmann wiesen Lehrende auf mehr Kommunikationsaufwand hin.

Er sagt: "Die Lehr- und Lerngemeinschaften gehören zum Kern einer Uni." Dafür seien sie zwar selbst verantwortlich, ihm sei aber wichtig, für "Vernetzung und Peer-Learning zum Thema Distance-Learning" zu sorgen. Sich mit Kollegen auszutauschen war eine häufige Strategie, wie Studierende mit der neuen Situation umgingen, zeigt eine Befragung der Uni Wien. Fast ausschließliches Home-Learning im Herbst – wie es einigen Master-Studierenden wohl bevorsteht – beurteilten 47,1 Prozent als negativ.

Die Vorlesungen für hunderte Studierende an der Wiener Wirtschaftsuniversität haben heuer mit einem Corona-Schnelltest begonnen.
Foto: APA/ROLAND SCHLAGER

Eine Herausforderung wird laut ÖH-Chefin Hanger in den kommenden Wochen und Monaten auch die "Sicherstellung der mentalen Gesundheit der Studierenden" sein. Die ÖH möchte daher den direkten Kontakt zu den Unis suchen, "damit die psychologische Betreuung für Studierende – vor allem in der Corona-Krise, aber auch darüber hinaus – günstiger wird und ausgebaut wird".

Unklarheiten und Autonomie

Besonders am Anfang der Pandemie fühlten sich auch einige Studierende im Stich gelassen – mit den neuen Umständen, fehlender Technik, Unklarheiten von politischer Seite oder damit, wie es um Prüfungen und Aufnahmetests steht.

Bei den Bildungspressekonferenzen habe Fügenschuh stets "auf die Ansage für die Unis gewartet – die ist dann aber selten oder eher kurz gekommen". Der Vizerektor hätte sich davon zu Beginn mehr gewünscht, verstehe aber, dass Schule und Hochschule anders handzuhaben seien. "Wir haben das Glück, dass Studierende erwachsen sind und technisch besser ausgestattet als Schüler", sagt er.

Faßmann verweist auf die Autonomie der Unis, er könne nur Empfehlungen abgeben. Auch habe er kein "hohes Ausmaß an Kritik wahrgenommen". Durch ein "ausgezeichnetes Gesprächsverhältnis" mit allen Interessengruppen sei eine "inhaltlich und strategisch abgestimmte Vorgangsweise" gelungen. Die Autonomie der Unis zeigte jedenfalls ihre Wirkung, sagt Fügenschuh: Etwa als Faßmann im August den Leitfaden für den Herbst vorlegte, habe seine Uni die Planung bereits fertig gehabt – im Sinne einer orangen Ampel. Derzeit laufen die Hochschulen unter gelber Ampelschaltung im Hybridbetrieb. (Oona Kroisleitner, Selina Thaler, 8.10.2020)