Der Südtiroler Architekt Matteo Thun ist bekannt für seinen nachhaltigen Bauprinzipien.

Foto: Nacho Alegre

Auf dem Bürgenstock thront ein ganzes Hoteldorf über dem Vierwaldstättersee.

Matteo Thuns Waldhotel wurde nur mit Baumaterialien aus der Umgebung errichtet.

Foto: Bürgenstock Waldhotel

Das Schweizer Berglein Bürgenstock wird umweht von einem Hauch Luxus. Den Grundstein dafür legte das erste im Jahr 1873 auf dieser Anhöhe eröffnete Gästehaus – heute als Grand Hotel bekannt. Wo früher Weltstars wie Audrey Hepburn eincheckten, hat Stararchitekt Matteo Thun nun an einem Hoteldorf, dem Bürgenstock-Resort, mitgewirkt. Es steht auf einen Felsriegel 500 Meter über dem blaugrün schimmernden Vierwaldstättersee. Noch immer suchen Hollywood-Stars hier Erholung. Gutes Gewissen wird gleich mitgeliefert, denn das Riesenbauprojekt wurde möglichst umweltschonend realisiert.

Fast lautlos gleitet der hochmoderne Bürgenstock-Katamaran vom Luzerner Anlegesteg am Vierwaldstättersee auf die steile Felsstufe zu. Eine halbe Stunde dauert die Fahrt ins Blaue, während die Szenerie immer mehr an norwegische Fjorde erinnert. Dann zuckelt die rote Zahnradbahn von der Endstation Kehrsiten in fünf Minuten fast direkt in die Hotellobby hinauf.

Moderne glatte Glasfronten orientieren sich zum wohl sattesten Blau der Schweiz, zum See. Vier Hotels, Residence-Suiten, zehn Restaurants und Bars sowie Konferenzräume gehören zum 60 Hektar großen Bürgenstock-Resort – und doch ist dieses Hoteldorf mehr als die Summe seiner Teile. Zum Portfolio zählen inzwischen Drei- bis Fünf-Sterne-Objekte, damit richtet es sich bewusst nicht mehr nur an Gutbetuchte. Bei Vollbetrieb beschäftigt der größte Arbeitgeber des Kantons Nidwalden 800 Mitarbeiter. Nach einer vergleichsweise kurzen Corona-Zwangspause ist auf den Berg relativ rasch das Leben zurückgekehrt.

Größtes Schweizer Hotelprojekt

Die frühere Inhaberfamilie Frey hatte das Resort nicht halten können, also wurde der Bürgenstock in den Nullerjahren an den arabischen Staat Katar verkauft, die 550 Millionen Schweizer Franken (umgerechnet rund 510 Millionen Euro) ins Renovieren und Bauen investierten. Als letztes der vier Objekte, die zusammen das größte Schweizer Hotelprojekt der Neuzeit darstellen, eröffnete das Waldhotel. Eine Art Hotel-Sanatorium zum Wiedergesundwerden, das aber auch nach gesunden Grundsätzen der Umweltverträglichkeit errichtet wurde.

Michael Douglas und Catherine Zeta-Jones wurden schon im Restaurant des Resorts erwischt, das kühn und auskragend über dem Abgrund hängt. Tischnachbarn zückten das Smartphone, die Zeitungen berichteten. Im Resort will und wird man das nicht dokumentieren, die Schweizer Diskretion ist schließlich ebenso legendär wie die Schokolade. Dafür punktet man mit dem Staraufgebot früherer Zeiten: In den 1950er-Jahren planschten Audrey und Sophia Hepburn im noch existenten, stilechten Hollywood-Pool.

Zur Legende verdichtet

Gleich neben der Lobby liegt die Piazza mit den Porträts der berühmten Besucher. Im trauten Beieinander: Eisenhower, Carter und Nehru. Chaplin, Brynner und Connery. Malraux und Simenon, Rachmaninow und Rubinstein. Sie alle haben den Ruf der Luzerner Exklave längst zur Legende verdichtet. Bis heute reisen Politiker zu Friedensgesprächen auf neutralem Boden an. Und natürlich die Instagram-Stars, die das Alpine Spa mit seinen 10.000 Quadratmeter und dem Infinitypool zur gefragten Kulisse machen für stündlich neue Inszenierungen des Selbst. Weil der Außenpool nun zu den meistfotografierten Schwimmbecken der Schweiz zählt, dürfen die Influencer nur noch zu bestimmten Zeiten den Auslöser drücken.

Der Sog des Sees ist omnipräsent. Allein das von Architekt Matteo Thun geplante Waldhotel entzieht sich, seine Front wendet sich nach Süden zu den grünen Almen unter dem Stanserhorn. Mit seinen neun Stockwerken und 160 Zimmern ist es das größte der Hotels. Doch das fällt nicht auf, denn es schmiegt sich terrassenartig an den Hang, umgeben von Lärchen, Wald und Wiesen. Es scheint in sich zu ruhen, in der Natur. Seinen Anspruch an Medical Wellness, Prävention und Reha nimmt es ernst.

Auge in Auge mit der Natur

Wer sich nicht gut fühlt oder gerade eine OP überstanden hat, der zieht sich gerne zurück. Genau das erlauben die Zimmer mit den vorgelagerten Sonnenbalkonen, eine schützende Pergola aus Lärchenholz spendet Schatten, zeichnet lebhafte Lichtspiele und rahmt die Gebirgslandschaft zum Kunstwerk – Thun macht einmal mehr die Natur zum heimlichen Hauptdarsteller, Leitmotiv seiner Arbeit. Auge in Auge mit der Natur, vielleicht erweist sich das am Ende wohltuender, als nonstop im Epizentrum des eigenen Instagram-Accounts zu stehen.

Von der Fassade bis zu den Kissen hat Thun hier alles selbst entworfen. Der 1952 geborene Südtiroler ist bekannt für seinen nachhaltigen Ansatz, der dem Prinzip der drei Nullen folgt: null Müll, null CO2-Ausstoß, null Kilometer. Weitgehend klimaneutral also. Örtliche Handwerker und Hölzer ersparten Transporte. Den steinernen Aushub verwendete er für Gabionen, die sich über drei Seiten der Fassade ziehen. Gabionen, das sind steingefüllte Drahtkörbe, man kennt sie vom Sichern der Uferböschung. Häufig dienen sie als Stützmauer, um den horizontalen Druck aufzunehmen. Dazu haben die an Trockenmauern erinnernde Steinkörbe einen dekorativen Effekt – für einen der größten Gabionenbauten der Welt, heißt es. Die flachen, begrünten Dächer isolieren gut, das Seewasser nutzt der Architekt zum Kühlen und Heizen des Objekts.

Bar ohne Alkohol

Thun selbst sagt, er habe sich immer an der Bauweise der Walser oder anderer alpiner Vorbilder orientiert. "Eco, nicht Ego", lautet das Motto: Das Wort Stararchitekt hört er nicht gern. Die gestalteten Fronten – mit Rahmen, Strukturen und Gittern verkleidete Fassaden – sind sein Markenzeichen. Kalte kühle Fassaden gibt’s bei ihm nicht. Die funktionell gehaltenen Zimmer weisen extrabreite Spitalbetten und patientengerechte Bäder auf. Ins Auge fällt aber vor allem das Thun’sche Farbschema harmonischer, aufmunternder Töne für Polstermöbeln und Teppiche in Grün, Orangerot oder Offwhite. Dazu der Thun’sche Baukasten natürlicher Materialien wie Stein, Holz und Glas. Thun zeichnet und malt seine Entwürfe bis heute mit Pinsel und Wasserfarbe. Auch die Aquarelle mit abgebildeten Kräutern stammen aus seiner Hand, ebenso die Muster für die Teppiche; die Möbel und Leuchten aus dem eigenen Entwurfsatelier.

Noch ist das 1.600 Quadratmeter große Spa mit Sauna, Hamam und Pool wegen der Pandemie geschlossen, auch das Verbena-Restaurant mit seiner aus Bern stammenden, originalen Simmentaler Stube, ebenso die Bar mit ihren alkoholfreien Drinks. Dafür bietet die helle, einladende Bibliothek mit ihrem Kamin eine prächtige Ruheinsel im achten Stock. In den Regalen dicke Bände, darunter eine Monografie von Thun, in der er das Waldhotel als zeitgenössische Version des Sanatoriums aus Thomas Manns "Zauberberg" in Davos beschreibt.

Die Seele reparieren

Zum Haus gehört eine eigenständige medizinische Reha-Abteilung mit Fachärzten und Therapeuten. Im Fokus: Gewicht verlieren, den Darm sanieren, Verletzungen kurieren – und die Seele gleich mit. Das geht am besten auf den Balkonen sitzend, von wo aus man auf die Märklinlandschaft hinausschaut mit traditionellen Höfen, akkuraten Bergspitzen und dem stets präsenten Kuhglockenbimmeln auf Almen, wo die Bauern das Heu noch mit der Hand wenden. Thuns Vision ist es, dass das Haus mit der Zeit ganz mit dem wachsenden Wald verschmilzt und von der Landschaft absorbiert wird. (Franziska Horn, RONDO, 11.10.2020)