Am vergangenen Samstag versammelten sich einige hundert Menschen zur Demo gegen die angebliche "Corona-Diktatur" in Wien.

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Wenn Kanzler Sebastian Kurz (ÖVP) über die Verfassungskonformität der Corona-Gesetze sagt, bis der Verfassungsgerichtshof entscheide, seien die Regeln eh wieder außer Kraft; wenn Gesundheitsminister Rudolf Anschober (Grüne) eine fehlerhafte Verordnung nach der anderen erlässt; und wenn Innenminister Karl Nehammer (ÖVP) seine Polizei tausende Strafen zu Unrecht ausstellen lässt – dann macht das viele Menschen nervös. Und einige treibt es in die Arme jener Agitatoren, die außerhalb der demokratischen Normen stehen.

Das zeigte sich vergangenen Samstag in Wien, als eine unnatürlich breite Allianz einige hundert Menschen zur Demo gegen die angebliche "Corona-Diktatur" versammelte: Einige Teilnehmer glauben, sie seien links; viele sind rechts außen und rechts draußen. Sie alle versuchen, Stimmung gegen Corona-Maßnahmen und anschlussfähige Propaganda für ihre Sache zu machen. Für die extremen Christen ist das Coronavirus die Strafe Gottes, weil Abtreibungen straffrei sind. Für die anderen will eine globale (oft gemeint: jüdische) Elite die "Plandemie" als Vorwand nutzen, um per Impfung die Menschheit wahlweise zu sterilisieren oder zu chippen. Die ganz Verrückten denken, es geht um Ablenkung von einem Pädophilenring, an dem sich die linksliberale Elite beteiligt (QAnon).

Vom Impfgegner bis zum Neonazismus

Vom Impfgegner zum Anhänger germanischer Heilkunde bis zum Neonazismus ist es dann oft eine logische Karriere. Oft sind es dieselben Personen, die versuchen, aktuelle Stimmungen zu kanalisieren, um Anhänger für ihre extremistischen Strömungen zu rekrutieren. Lange waren rassistische Bewegungen wie Pegida ein Zugpferd, dann kam kurz die Stimmungsmache gegen Klimaschutz und Greta Thunberg, jetzt sind es eben die Corona-Maßnahmen. Bayerns Ministerpräsident Markus Söder hat recht, wenn er mit Blick auf die aktuellen Demos von einer "Corona-Pegida" spricht.

Wenn sich die epidemiologische Lage und die Wirtschaftskrise im Herbst verschärfen, werden noch mehr Menschen ihr Heil bei kruden Demagogen suchen. Auf die Regierung und die Gesellschaft, also uns alle, warten hier große Aufgaben, um unsere Demokratie zu schützen.

Langfristige Perspektive

Erstens: Solidarität. Die Kündigungen und Pleiten werden weitergehen. Menschen, die vor den Trümmern ihrer beruflichen Existenz stehen, muss geholfen und eine langfristige Perspektive geboten werden. Ein höheres Arbeitslosengeld, Arbeitsstiftungen, aber auch mehr soziale Initiativen und Mietstundungen könnten hier Abhilfe schaffen.

Zweitens: Geduld und Transparenz. Die meisten Menschen wollen verstehen, was vor sich geht. Wir brauchen keine patzigen Politiker, kein parteipolitisches Geplänkel und Gejammer, sondern sachliche Argumente und Verständnis, dass manche Bürger die Katastrophe nicht wahrhaben wollen.

Rüge stärkt Corona-Skeptiker

Drittens: gutes politisches Handwerk. Jeder Fehler in einer Verordnung oder einem Gesetz und jede Rüge durch den Verfassungsgerichtshof stärkt die Reihen der Corona-Skeptiker. Die Regierung muss besser erklären, warum sie welche Regelung nun beschlossen hat und warum es sich dabei um das gelindere Mittel handelt.

Und viertens: Man sollte die "Querfront" als Phänomen ernst nehmen, aber nicht inhaltlich – und schon gar nicht dort auf Stimmenfang gehen wollen. (Fabian Schmid, 27.9.2020)