Die Autorin Mercedes Spannagel.

Foto: Ingo Pertramer

Lu ist eine trotzige junge Frau Anfang 20. Ihren Mops Marx hat sie neuerdings nur, weil die Frau Bundespräsidentin den Kommunismus hasst und Windhunde hat. Besonders delikat macht diesen oppositionellen Umstand Lus, dass diese österreichische Bundespräsidentin ihre Mutter ist. Eigentlich heißt Lu ja Luise, und wie bereits die Namensänderung zeigt, hat sie mit der gesamten konservativen Ideologie ihrer mutmaßlich tiefblauen Mutter nichts am Hut. Sie kifft, nennt sich "Kind von Nazis" und findet wie zum weltgeistigen Ausgleich Aschenbecher aus Marokko schön.

Das Palais muss brennen heißt der so loslegende Debütroman der 1995 geborenen Wienerin Mercedes Spannagel. Sie hat schon einige Preise (Wiener Werkstattpreis, FM4-Wortlaut) gewonnen und ist damit für das beste Debüt beim Österreichischen Buchpreis (9. November) nominiert.

Das Buch ist eine Mischung aus Ungeist und Zeitgeist. Wenn Lus Freund Jo Fotos von ihr in der Badewanne für Instagram machen will, gibt sie ihm die Angst der Fotoplattform vor weiblichen Brustwarzen zu bedenken. Mit dem vorigen Freund hat sie Schluss gemacht, weil "es soll niemand für den anderen seine Persönlichkeit aufgeben, und das kann hier nicht mehr gewährleistet werden". Ihre Freundin Lili schaut auf Youtube Dokus über die Emanzipation der Frau, und wenn beide im China-Zimmer des präsidentschaftlichen Wohnpalais gemeinsam aus Gmundner-Keramik-Tassen Tee trinken, recherchieren sie Menschenrechtsverbrechen der chinesischen Regierung wie Organraub.

Nostalgisches Best-of

Das ist als Ansatz eines Generationenporträts manchmal originell, bloß mischt sich da auch eine seltsame Form von Vergangenheit hinein. So ist Lu auf Tuchfühlung mit Walter Benjamins Aufsatz Das Kunstwerk im Zeitalter seiner technischen Reproduzierbarkeit und kann Jean Baudrillard anzitieren, als gäbe es keine aktuelleren Denker. Sie hat sich Marina Abramovics Performance The Artist Is Present von vor zehn Jahren auf Video angeschaut, und es hagelt weitere Referenzen wie auf Christoph Schlingensiefs Ausländer raus!-Aktion oder Martin Kippenbergers Gemälde Ich kann beim besten Willen kein Hakenkreuz entdecken von 1984. Das liest sich wie eine Touristenbustour zu den Gemeinplätzen antirechten Widerstands mindestens eine Generation vor ihrer – und als existierten die Burschenschaft Hysteria oder Anti-Türkis-Blau-Proteste nicht. Für jemanden, der sonst so aware ist wie die stets abgeklärte Lu, ist das seltsam.

Damit beginnen die Probleme der 192 Seiten. Denn entweder inszeniert die Autorin mit den angestaubten Referenzen geschickt, dass der Antifaschismus ihrer Hauptfigur, die sich grindig gibt und zugleich im Schwarzen Kameel Spritzer trinkt, ihre Mutter desavouiert, aber bequem von ihr lebt, am Juridicum studiert und zugleich ihre Kommilitonen verachtet, im Grunde durch Oberflächlichkeit glänzt. Das wäre ja noch eine Art Diagnose und ließe sich über Lu in ihrer sehr speziellen Tochtersituation hinaus so lesen, dass Protestwille und Realität uns oft in Widersprüche verstricken. Oder aber es ist eine Schlamperei dem Sujet gegenüber. Der Verdacht liegt fast näher, begegnet das Buch seinem Thema doch jenseits flockiger Sprüche letztlich sehr ideenlos.

Rücktritt nach Video

Wie es sich kulissentechnisch in den abgedroschensten Schauplätzen Wiens (Burggarten, Kaffeehaus) erschöpft, hat es auch zum Rechtspopulismus wenig, ja: nichts Überraschendes zu sagen. Spannagel erzählt sich schlicht quer durch die jüngere heimische Innenpolitik. Wenn Lus Mutter am Ende in einem den Medien zugespielten Video erwägt, Schmiergeld anzunehmen, zurücktritt und einen Job in Russland annimmt, gähnt man kurz.

Spannagel entwirft in flapsiger Sprache und Und-dann-Erzählstruktur plakative Szenen ohne Argumente, Fragen, Erklärung. Weder wird das der beanstandeten Ideologie gefährlich, noch kommt es einer produktiven Kritik daran nahe. (Michael Wurmitzer, 22.9.2020)