Bestimmt für den Artenschutz: Die von der Crowd gesammelten Daten können Forscher nutzen, um Schutzgebiete auszuweiten.

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Bis auf ein paar lautstarke Grillen und vereinzelte Schnecken, die sich an trockene Grashalme klammern, scheint heute nicht viel unterwegs zu sein. Kein Wunder, die Sonne brennt erbarmungslos auf die Fläche hinter der Biologischen Station Neusiedler See. Mit dabei: ein Smartphone, auf dem die Hauptdarsteller des heutigen Tages warten. PlantNet, iNaturalist, PictureThis – alles Apps, die dabei helfen sollen, verschiedene Tiere, Pflanzen und Pilze zu bestimmen.

Artenbestimmung-Apps boomen seit Jahren: Ende 2018 zählte iNaturalist weltweit mehr als eine Million registrierter Benutzer. PlantNet spricht von 100.000 Einträgen pro Tag. Sie alle funktionieren nach einem ähnlichen Prinzip: Fotografiert man eine Art, liefert die App automatisch Namensvorschläge basierend auf Bild und Standort.

Victoria Werner, Botanikerin an der Biologischen Station, hält ihr Handy über eine unscheinbare Pflanze. Sie weiß, dass es sich um eine eher seltene Art handelt. PlantNet scheint mit der Bestimmung kein Problem zu haben. Bereits der zweite Vorschlag in einer längeren Liste ist korrekt: Plantago arenaria, Sand-Wegerich. iNaturalist hingegen schafft es nicht einmal, die Gattung zu erkennen.

Funde in Forschungsqualität

Doch selbst wenn Hobbybestimmer einmal falsch liegen sollten, bleibt das meist nicht lange so. Eine aktive Onlinegemeinschaft korrigiert oder bestätigt hochgeladene Fotos der Funde. So haben manche Beiträge sogar Forschungsqualität und werden als Datensätze zur Verfügung gestellt. Dieses Angebot nützt etwa Gernot Kunz, Zoologe an der Karl-Franzens-Universität in Graz. Er ist mit fast 20.000 Beobachtungen und mehr als 5000 bestimmten Arten einer der aktivsten iNaturalist-Benützer in Österreich. Die App kommt auch in der Lehre zum Einsatz: Teilnehmer seines Kurses sollen 50 verschiedene Tierarten finden und so genau wie möglich bestimmen. Scheitern sie, übernimmt die iNaturalist-Community.

Auch für den Naturschutz sieht Kunz einen Mehrwert: "Wir hatten zahlreiche Erstfunde für Österreich – heimische und nichtheimische Arten, also Neobiota." Die Apps können auch helfeng, Rote Listen zu ergänzen und Schutzgebiete auszuweiten: "Hirschkäfer sehen so besonders aus, dass sie quasi von jedem fotografiert werden. Als Forscher kann ich Bilder und Fundorte sehen und diese selbst nachprüfen. Kommen sie oft vor, könnte das bei der Ausweisung von Natura-2000-Gebieten relevant sein."

Offene Technologie

Die Technologie dieser Apps basiert auf Open-Source-Daten öffentlich zugänglicher Erkennungsbibliotheken, etwa des globalen Biodiversität-Informationsnetzwerks GBIF, erzählt Philipp Hummer, Co-Gründer des Citizen-Science-Designstudio Spotteron. Ein Bilderkennungssystem gleicht hochgeladene Fotos mit der Bilddatenbank ab, und der Algorithmus wird weitertrainiert. Aus Datenschutzgründen rät Hummer bei internationalen Angeboten zu Vorsicht: "Viele Plattformen agieren nicht im europäischen Kontext. Es gilt eine ganz andere gesetzliche Grundlage und Philosophie." Daten, etwa persönliche Interessen oder Aktivitätsprotokolle, werden oft außerhalb der EU gespeichert und verarbeitet, ohne abschätzen zu können, was damit genau geschieht.

Spotteron hat bereits mehr als 35 Citizen-Science-Apps für Universitäten und Institute umgesetzt. An einer Bestimmungsapp arbeitet das Team gerade. "Unser Ziel ist es, Leute zu erreichen, die nicht ohnehin schon mit Natur und Wissenschaft zu tun haben." In der App Naturkalender – eine Kooperation mit der Zentralanstalt für Meteorologie und Geodynamik (ZAMG) – kann man zum Beispiel eintragen, ob ein Baum gerade blüht oder Früchte trägt. "Wenn ich so dokumentiere, dass eine Pflanze jedes Jahr eine Woche früher zu blühen beginnt, spüre ich die Auswirkungen des Klimawandels sozusagen direkt", so Hummer. Die Daten fließen in europäische Datenbanken sowie Forschungsprojekte ein.

Für Hummer gilt deswegen: "Nur, wenn eine App zum Namen der Art auch Hintergrundinfos und Kontext liefert, kann ich mir das Wissen aneignen und die Naturverbundenheit steigern." (Katharina Kropshofer, 24.9.2020)