In der heutigen Republik Tuwa in Südsibirien lebten einst kriegerische Nomaden, die Archäologen zur Kokel-Kultur zählen. Antike Autoren beschrieben die sibirischen Steppennomaden als gewaltbereite Gruppen, die oftmals angrenzende Gebiete sesshafter Gemeinschaften plünderte. Allerdings sind von diesen Nomadengruppen nur wenige archäologische und anthropologische Daten vorhanden, die mehr über das Leben dieser Reiterkrieger verraten könnten.

Rund 1.700 Jahre alte Skelette südsibirischer Steppennomaden.
Foto: Tunnug 1 Research Project

Skalpiert und geköpft

Das ändert nun der Fund eines spätantiken Gräberfelds: Ein schweizerisch-russisches Forscherteam hat auf der Ausgrabungsstätte "Tunnug1" 87 Skelette aus dem 2. bis 4. Jahrhundert untersucht. Dort begruben die sibirischen Steppennomaden ihre Toten in der Nähe eines früheren skythischen Grabhügels. Das Ergebnis, das die Wissenschafter um Marco Milella von der Uni Bern im Fachblatt "American Journal of Physical Anthropology" präsentieren: Gewalt spielte tatsächlich eine große Rolle im Leben dieser Menschen.

Viele der Skelette wiesen Spuren von Gewalt auf, ein Viertel der untersuchten Individuen starb eines unnatürlichen Todes: Zumeist entstanden die tödlichen Verletzungen im Nahkampf, in vielen Fällen wurden die Opfer geköpft, wie das Forscherteam berichtet.

Der Unterkiefer eines etwa achtjährigen Kindes wurde durch eine Klingenwaffe verletzt.
Foto: Marco Milella

Politische Instabilität

Obwohl die männlichen Skelette einen höheren Anteil an Gewalteinwirkung aufweisen, finden sich auch Frauen und Kinder unter den Opfern. Den Forschenden gelang es zudem nachzuweisen, dass manche Individuen skalpiert und ihre Hälse durchgeschnitten wurden. "Die Kampfhandlungen und Rituale nach so langer Zeit detailliert nachzuvollziehen ist faszinierend, vieles bleibt aber mysteriös", sagt Milella.

Durchbohrter Schädel einer erwachsenen Frau aus der Fundstelle Tunnug 1.
Foto: Marco Milella

"Während der ersten Jahrhunderte nach Christus durchlief die östliche Steppe eine Periode der politischen Instabilität nach dem Zerfall des Steppenreichs der Xiongnu. Dieser politische Wandel hatte einen starken Einfluss auf das Leben der Menschen", so der Wissenschafter. Welche Gewalteinwirkungen von Kämpfen mit Feinden und welche von brutalen Ritualen – womöglich auch innerhalb der Gemeinschaft – herrührten, lasse sich derzeit nicht endgültig beantworten. (red, 20.9.2020)