Alois Wilfling kennt alle 2000 in Österreich heimischen Apfelsorten beim Namen und bringt sie jetzt unter die Leute.

Foto: Heribert Corn www.corn.at

Adam und Eva waren schon schlimme Finger. Schließlich haben sie uns mit dem Griff zum Apfel das Paradies vermiest. Alois Wilfling in der Steiermark, bekanntlich ein apfelgesegneter Landstrich, stört das nicht.

Eine Welt ohne gute Äpfel wäre für ihn viel zu langweilig. Er kann nachvollziehen, dass ein Apfel derartiges Verlangen in einem auslösen kann, dass es sich dafür sogar auszahlt, das Paradies aufzugeben. Außerdem lebte er ja im Paradies hier in Miesenbach bei Birkfeld. Im (Obst-)Paradies, wie Wilfling es nennt.

Die Biologen Alois Wilfling und Michael Braun-Stehlik (v. re.) auf der Streuobstwiese von Gustl Ulz junior und senior (v. li.).
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Seit Jahrzehnten beschäftigt sich der Biologe mit der Frucht auf wissenschaftliche und praktische Art. "Die Leute kommen oft zu mir ins Büro oder auf den Hof, mit Äpfeln von ihren Wiesen, und wollen, dass ich sie bestimme."

Das läuft beim großgewachsenen Steirer mit makellos gebügeltem, sauberem Hemd, Brille, liebenswürdigem Lächeln und großen Landwirt-Händen dann in etwa so: "Gravensteiner, eindeutig. Das ist der Apfel, der am besten duftet von allen. (Es folgt ein genussvolles Riechen am Apfel.) Gespritzt wird er nicht, das sehe ich, aber schneiden hätte man den Baum schon können."

So weit die Info, die ein loser Apfel dem Biologen in Sekunden liefert. Wobei der Gravensteiner aus dem großelterlichen Garten eine leichte Übung für den Experten ist. Schließlich kommt die Sorte in der Steiermark noch verhältnismäßig oft vor.

Finden, bestimmen und bewahren

Zum Teil stehen von den einst 2.000 Apfelsorten in Österreich nur noch vereinzelte Bäume auf Streuobstwiesen herum. Alois Wilflings Mission ist es, sie zu finden, zu bestimmen und zu bewahren – und die Früchte in weiterer Folge für ein breiteres Publikum zugänglich zu machen.

Aus diesem Wunsch ist das Projekt Eva & Adam entstanden. "Eva steht bewusst als Erste. Schließlich leben wir in einem anderen Zeitalter", sagt Wilfling. Das Projekt soll gut ausgehen. Also kein Verstoß aus dem Paradies, sondern Paradiesäpfel für alle, die wollen. Eva & Adam bedeutet, dass Äpfel von Österreichs Streuobstwiesen den Bauern zu einem Preis abgekauft werden, für den sich das Pflücken der Äpfel auch lohnt – und dass Konsumenten leichter zu diesen Äpfeln kommen.

Analysieren und Kosten eines Roten Herbstkalvills.
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Alte Sorten sind gefragt

Wilfling: "Der gängige Einkaufspreis der großen Ketten liegt je nach Jahr zwischen drei und sieben Cent für das Kilogramm Äpfel. Wir zahlen zwischen 50 Cent und zwei Euro pro Kilogramm, je nach Sorte." Zehn Jahre treibt die Idee des Streuobstwiesen-Äpfel- und -Birnen-Projekts in Wilflings Team schon seine Blüten. Jetzt sind sie so weit, damit an die Öffentlichkeit zu gehen. Viele Menschen wollen alte Sorten, suchen das Besondere und bemühen sich, Natur und gesunde Lebensräume zu erhalten.

"Die Tourismuswerbung bedient sich von jeher der Fotos alter Streuobstwiesen, wenn es um die Vermarktung der Region geht. Das Meer an Hagelnetzen, unter denen sich die vollbehangenen Apfelbaumstämmchen drängen, will man ja keinem zumuten", so Wilfling.

Auch wenn letzteres Bild der landwirtschaftlichen Realität mehr entspricht. Das Problem sei nämlich, dass hauptsächlich Äpfel aus diesem Massenanbau im Handel landeten und der Käufer zumindest im Supermarkt nicht mehr an die Früchte der Streuobstwiesen kommt. Zudem gehen steirische Äpfel oft nach Übersee, Früchte von dort kommen zu uns. Begründung dafür ist wie so oft das liebe Geld.

Die Krux im Apfelreich

Zeitgleich geben immer mehr heimische Bauern ihre Streuobstwiesen auf, weil sich eine Bewirtschaftung nicht rechnet. Auf Streuobstwiesen stehen die Bäume lockerer und werden weit älter, also sind die Mengen geringer. Dann wachsen dort oft Sorten, nach denen der Handel nicht fragt, und zu guter Letzt sind die Äpfel zwar oft Geschmackskaiser, aber keine glänzenden Schönheiten, wie sie wiederum der Handel für den Konsumenten bevorzugt.

Die exakte Bestimmung erfolgt unter dem Mikroskop.
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"Dabei haben wir noch nicht einmal davon gesprochen, dass Streuobstwiesen die allerwichtigsten Diversitätserhalter überhaupt sind", sagt Michael Braun-Stehlik. Er ist Biologe und arbeitet an der Seite von Alois Wilfling bei Oikos, dem Institut für angewandte Ökologie und Grundlagenforschung im steirischen Gleisdorf.

Ein Verschwinden der Streuobstwiesen wäre für Mensch und Natur verheerend. In kaum einem anderen Lebensraum unserer Breitengrade tummeln sich derart viele Insekten und Tiere, die für das ökologische Gleichgewicht unabdinglich sind.

Vor vier Jahren ist Braun-Stehlik nach seinem Studium der Biodiversität an der Universität Wien in Wilflings Firma gekommen. Heute ist Braun-Stehlik mit Herzblut und Wissen an der Rettung der Streuobstwiesen beteiligt. Die Arbeit, die in Eva & Adam steckt, ist auf der einen Seite sehr wissenschaftlich, wenn es darum geht, Äpfel, ihre Kerne und Merkmale bis ins Detail zu beschreiben und daraus ein Apfelsorten-Stammblatt zu erstellen. Dieses liegt dann jeder Apfelbestellung bei.

Kein Apfel gleicht dem anderen in der Vielfaltsbox von Eva & Adam.
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Auf der anderen Seite ist die Arbeit sehr menschlich, wenn das Oikos-Team Landwirte besucht und gemeinsam mit ihnen ihre Streuobstwiesen begeht. Da erlebe man mitunter 75-jährige Bäuerinnen, die für ihr Leben gerne in der Baumkrone sitzend Äpfel pflückten.

A gmahde Wiesn?

"Die Rückmeldungen sind gewaltig", sagt Wilfling. Eva und Adam scheint eine Kernproblematik zu lösen. Viele Konsumenten wollen lieber ungespritztes, authentisches Obst, kommen aber schwer daran, und Landwirte wollen ihre Wiesen erhalten – nur nicht verständlicherweise für einen Ertrag von 40 Euro pro Tonne Obst, bei schwerer und langwierigerer Arbeit, wie sie eine Plantage verursacht.

Ein Koch, der, wenn es um den Erhalt von alten Sorten und Diversität geht, üblicherweise mithilft, ist Heinz Reitbauer aus dem Steirereck in Wien und am Pogusch. "Wir sind Bauern. Die Nähe zum Produkt haben wir immer gelebt", so Reitbauer. Vor zwei Jahren war das Team des Steirerecks zu Besuch beim Apfelexperten Wilfling in der Steiermark. "Wir haben uns durch 180 Apfelsorten gekostet. Das war ein Aromenspektakel, gewaltig."

Bitter, süß, ja sogar gerbstoffreich kam da so mancher Apfel daher. Manche sind, ohne sie zu kochen, fast nicht essbar, dafür sind sie gegart ein Gedicht. "Der Holzapfel zum Beispiel würde früher wegen seiner extrem hohen Gerbsäure für die Stabilisierung von Most verwendet. Unverarbeitet kann man ihn kaum essen, verarbeitet bringt er extrem spannende Komponenten mit rein", sagt Reitbauer.

Zwar zieren nicht erst seit diesem Betriebsausflug Schafnase, Kronprinz Rudolf und Gravensteiner Reitbauers Menü, die Sorten Broadoarsch, Lavantaler Banane und Champagner Renette sind neben 60 weiteren Sorten erst seit zwei Jahren Gegenstand der kulinarischen Experimente im Steirereck.

"Wir stehen erst bei sieben Prozent Wissen über die heimischen Streuobstwiesen. Im Vorjahr gab es für unsere Gäste Sorbets aus sechs Sorten, um die aromatische Bandbreite aufzuzeigen", so der Koch begeistert.

Nicht jeder Apfel ist für jede Speise gemacht.
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Eva & Adam ist für jedermann, und zwar sowohl in der Verfügbarkeit als auch, was das Wissen betrifft. "Noch vor wenigen Jahrzehnten hatten Schulen sogar ihren eigenen Garten, in dem die Kinder veredeln und Sorten bestimmen lernten. Obst, Gemüse und Natur war noch viel mehr Teil unseres Alltags", sagt Wilfling.

Er findet es unglaublich schade, dass wir heute ohne dieses Wissen aufwachsen, und stellt es allen, die wollen, gerne zur Seite, und zwar begonnen bei der Apfelbestimmung über Tipps für die eigene Streuobstwiese, die Abnahme von Äpfeln zu rentablen Preisen, dem österreichweiten Vertrieb dieser bis hin zu kulinarischem Wissen.

Denn nicht jeder Apfel ist für jede Speise gemacht. Schöner von Boskoop ist eine gute Sorte für Apfelstrudel, Maschanzker und Großer Rheinischer Bohnapfel eignen sich für Saft und Most. Kein anderer Apfel hat so tiefrotes Fruchtfleisch wie der Rote Herbstkalvill, und den Welschbrunner-Apfel bitte erst nach einigen Monaten Lagerung essen, sonst schmeckt er nicht. Ganz im Gegenteil zum Gravensteiner – der ist frisch am besten.

Auf Wilflings Hof, in der Nähe des Logistikzentrums von Eva und Adam in Miesenbach, wachsen 140 Sorten. Mit der Firma Oikos konnten Wilfling und sein Team bisher 700 Sorten bis ins Detail benennen. Jeder, der danach fragt, kann sich mit dem Biologen und Landwirt durch die Apfelpalette kosten, einen Vielfaltsgruß der Heimat verschenken oder zu Hause ungestört Broadoarsch, Lavanttaler Banane und Konsorten verkosten. (Nina Wessely, RONDO, 18.9.2020)