Bild nicht mehr verfügbar.

Der Weizen ist eine der wichtigsten Kulturpflanzen der Menschheitsgeschichte. Warum Erkrankungen und Unverträglichkeiten im Zusammenhang mit dem Getreide zunehmen, ist nicht geklärt.

Foto: Reuters/Vincent Mundy

Die Tragweite dieser Entwicklung lässt sich kaum überschätzen: Vor mehr als 10.000 Jahren begannen Menschen im Nahen Osten damit, ihr Leben umzukrempeln. Statt weiterhin als Jäger und Sammler umherzuziehen, selektierten sie nahrhafte Pflanzen, säten sie wieder aus und ernteten die Erträge. Mit der Erfindung der Landwirtschaft begann auch der beispiellose Aufstieg einer Pflanze, die heute das meistgehandelte Nahrungsmittel der Welt darstellt: Weizen.

Fast 800 Millionen Tonnen des Getreides werden jährlich rund um den Globus geerntet, der Weizen ist aus dem menschlichen Alltag nicht wegzudenken. In den vergangenen Jahren erlitt der Weizen aber einen Imageschaden: Die Zahl der Menschen, die von Zöliakie, Weizenallergie oder einer Gluten- oder Weizensensitivität betroffen sind, steigt. Häufig werden Veränderungen des Getreides im Lauf der Zeit als mögliche Ursachen angeführt. Aber enthalten moderne Weizensorten tatsächlich mehr immunreaktives Eiweiß als früher? Dieser Frage sind Forscher der Technischen Universität München und des Leibniz-Instituts für Pflanzengenetik und Kulturpflanzenforschung in Freising nun genauer nachgegangen.

Gliadine im Verdacht

Dass Weizeneiweiße hinter Erkrankungen wie Zöliakie oder Weizenallergien stehen, ist seit langem bekannt. Weizenkörner bestehen zu rund 70 Prozent aus Stärke, der Eiweißanteil liegt bei etwa zehn bis zwölf Prozent. Gluten, das sogenannte Klebereiweiß, macht davon wiederum 75 bis 80 Prozent aus. Gluten ist eigentlich ein Stoffgemisch aus verschiedenen Eiweißmolekülen, die sich grob in zwei Untergruppen einteilen lassen: in Gliadine und in Glutenine. Insbesondere die Gliadine stehen im Verdacht, Immunreaktionen hervorzurufen.

"Viele Menschen befürchten, dass moderne Weizenzüchtungen mehr immunreaktives Eiweiß enthalten als früher und dies die Ursache für die gestiegene Erkrankungshäufigkeit ist", sagt Darina Pronin, Erstautorin der Studie im "Journal of Agricultural and Food Chemistry". Doch wie groß sind die Unterschiede zwischen alten und neuen Weizenzüchtungen wirklich? Für ihre Studie analysierten die Wissenschafter den Eiweißgehalt von 60 bevorzugten Weizensorten aus der Zeit zwischen 1891 und 2010 – möglich war das dank des umfangreichen Saatgutarchivs des Leibniz-Instituts.

Konstanter Glutengehalt

Um vergleichbare Proben zu erhalten, baute das Team die verschiedenen Sorten mehrere Jahre hintereinander unter identischen Bedingungen an. Die Analysen brachten zunächst eine Überraschung: Die modernen Weizensorten enthielten insgesamt weniger Eiweiß als ältere. Der Glutengehalt blieb jedoch über die letzten 130 Jahre konstant, wobei sich die Zusammensetzung des Glutens leicht veränderte. Während der Anteil der Gliadine um rund 18 Prozent sank, stieg im Verhältnis der Gehalt der Glutenine um etwa 25 Prozent. Zudem beobachteten die Forscher, dass mit einer höheren Niederschlagsmenge im Erntejahr auch ein höherer Glutengehalt der Proben einherging.

"Überraschenderweise hatten Umweltbedingungen wie die Niederschlagsmenge sogar einen größeren Einfluss auf die Eiweißzusammensetzung als die züchterischen Veränderungen", sagt Studienleiterin Katharina Scherf. "Zudem haben wir zumindest auf Eiweißebene keine Hinweise darauf gefunden, dass sich das immunreaktive Potenzial des Weizens durch die züchterischen Maßnahmen verändert hat." Die Forscher halten jedoch fest, dass noch nicht alle im Weizen enthaltenen Eiweißarten auf ihre physiologischen Wirkungen hin untersucht wurden. Der Weizen, der den Menschen schon so lange begleitet, wird also auch Forscher noch lange beschäftigen. (red, 12.8.2020)