Ein Wiener SPÖ-Gemeinderat geht mit kruden Thesen gegen Pop-up-Radwege auf Stimmenfang.

Foto: Christian Fischer

Als ob das Coronavirus nicht genug wäre: Der Boom, den die Krise dem Radfahren verschafft hat, rückt das Thema noch mehr ins Zentrum hitziger Debatten als bisher. Dabei werden teils wirre Vorbehalte erdacht. So wie dieser Tage in Wien, wo ein SPÖ-Gemeinderat unter Verweis auf einen angeblichen Vorfall, bei dem ein Radler einen Fußgänger attackiert und lebensbedrohlich verletzt haben soll, forderte, weniger Pop-up-Radwege zu bauen. Der Zusammenhang liegt ja auf der Hand. Nur so könne man den fahrerflüchtigen Radler ausforschen. In diversen Kleinformaten durfte der Politiker seine Thesen dann noch fortspinnen.

Er wird damit sicher punkten. Denn Radfahren ist in Österreich ein Reizthema. Die einen lieben es, die anderen hassen es. Und zwar offenbar dermaßen, dass ihnen jedes Argument dagegen lieber ist als ein einziges dafür. Das Thema passt damit hervorragend ins postfaktische Zeitalter. Dass steigender Radverkehrsanteil auch mehr Vorfälle und Unfälle mit Radlern bedeutet, ist eine logische Konsequenz. Nur bessere Rahmenbedingungen, wie etwa Infrastruktur, können das ändern. Dass rund drei Viertel aller Unfälle mit Radfahrerbeteiligung von Pkws verursacht werden? Geschenkt! Radler sind die Rowdys.

Autofahrer als Menschen zweiter Klasse?

In Tirol ist die Dominanz der Radfahrer schon so schlimm, dass Autofahrer sich regelrecht unterdrückt fühlen. Gar zu "Menschen zweiter Klasse" sehen sie sich degradiert. Zumindest in der sehr kleinen Welt eines Innsbrucker Gemeinderats. Daher werde er sich für arme SUV-Lenker und benachteiligte VW-Bus-Kapitäninnen ins Zeug hauen, "um dem Fahrradrowdytum effizient entgegenzutreten". Auch die "Wünsche und Sorgen der Autofahrer" sollen nämlich berücksichtigt werden. Im Herbst will der Politiker daher "Autofahrerkoordinatoren" für die Stadt beantragen.

Ganz im Sinne der Gleichbehandlung und Gerechtigkeit, wie er betont. Schließlich gibt es auch zwei Radfahrkoordinatoren in Innsbruck. Die übrigens gute Arbeit leisten und etwa jüngst ein Baustellenkonzept für Radler präsentierten, damit auch diese gefahrlose Möglichkeiten zum Umfahren solcher Hindernisse erhalten. Bravo dafür!

Gallisches Ländle

Zumindest ganz im Westen scheint es noch Hoffnung zu geben. Vorarlbergs Mobilitätslandesrat Johannes Rauch (Grüne) hat am Mittwoch bekanntgegeben, dass trotz der Herausforderungen der letzten Monate der Planungsprozess zum Ausbau der Radinfrastruktur im Riedgebiet im nördlichen Rheintal seit Juni fortgeführt wird. Und es wurden bereits konkrete nächste Schritte vereinbart, die hier im Detail nachgelesen werden können.

Bleibt zu hoffen, dass die Hitzewelle bald abflaut. Sie scheint manchen in den Städten nicht zu bekommen. Und die Politik sollte aufhören, das Thema Radfahren als Spaltpilz zum Stimmenfang zu missbrauchen. Es gibt genug fundierte Erkenntnisse zum Mehrwert durch erhöhten Radverkehrsanteil. Und das allein zählt, nicht Meinungen und Bauchgefühle. (Steffen Arora, 12.8.2020)