Auch offiziell organisierte Konzerte wurden von Protestierenden genutzt, um in Belarus (Weißrussland) faire Wahlen zu fordern.

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Es lief zuletzt nicht wirklich rund für Alexander Lukaschenko. Der autoritär regierende belarussische Präsident, der seit 1994 im Amt ist und häufig als "letzter Diktator Europas" bezeichnet wird, möchte sich am Sonntag für seine bereits sechste Amtsperiode wiederwählen lassen. Im Vorfeld des Urnengangs aber hatte er diesmal mit ungewöhnlich starkem Gegenwind zu kämpfen.

Nachdem mehrere oppositionelle Kandidaten von der Wahl ausgeschlossen worden waren, kam es in den vergangenen Wochen immer wieder zu Protesten, hunderte Menschen wurden dabei festgenommen. In der Hauptstadt Minsk wurde – trotz Verbots – auch noch am Donnerstagabend weiterdemonstriert. Etwa 5000 Menschen versammelten sich auf dem Kiew-Platz im Norden der Metropole. Ihre lautstark skandierte Botschaft an den ungeliebten Langzeitmachthaber Lukaschenko: "Hau ab!"

An anderen Orten der Stadt, wo ebenfalls Kundgebungen geplant waren, fanden stattdessen offiziell organisierte Konzerte statt. Doch selbst dort tauchten immer wieder Anhänger der Opposition auf und machten mit Pfiffen und Transparenten auf sich aufmerksam.

Flammende Anklagen

Hoffnungsträgerin für die Lukaschenko-Gegner ist die 37-jährige Swetlana Tichanowskaja. Sie hat sich in dem 9,5-Millionen-Einwohner-Land Belarus (Weißrussland) in kürzester Zeit vom politischen Nobody zur gefährlichsten Gegnerin des Amtsinhabers gemausert, nachdem ihr Mann, der Blogger und Unternehmer Sergej Tichanowski, nicht zur Wahl zugelassen und stattdessen wegen Störung der Ordnung verhaftet worden war.

Auch wenn Tichanowskaja nicht mit einem politischen Programm auftritt und lediglich eine Übergangspräsidentin sein möchte, die die Abhaltung fairer Wahlen zum Ziel hat: Mit ihren flammenden Anklagen gegen Korruption, Wahlmanipulation und Einschüchterung der Opposition scheint sie vielen ihrer Landsleute aus der Seele zu sprechen – und die Mehrzahl der Lukaschenko-Kritiker hinter sich versammeln zu können.

Lukaschenko hatte zuletzt spürbar an Rückhalt verloren. Als Grund gilt unter anderem sein zunächst laxer Umgang mit der Corona-Pandemie, die er als "Corona-Psychose" abgetan hatte. Viele Bürgerinnen und Bürger der ehemaligen Sowjetrepublik organisierten Schutzmaßnahmen in Eigenregie, die politische Apathie begann sich aufzulösen. Nach 26 Jahren Lukaschenko dürften viele des Staatschefs auch einfach überdrüssig geworden sein.

Besorgnis in der EU

Ob aber bei der Wahl am Sonntag alles mit rechten Dingen zugehen wird, darüber sorgt man sich auch in der Europäischen Union. "Die Souveränität und Unabhängigkeit des Landes kann nur durch friedliche, freie und faire Wahlen gestärkt werden", so EU-Außenbeauftragter Josep Borrell am Freitag. Immerhin hat Lukaschenko schon in der Vergangenheit zugegeben, Ergebnisse verfälscht zu haben – zugunsten der Opposition, versteht sich: Weil sein Ergebnis von über 90 Prozent in Europa schlecht aufgenommen worden wäre, habe er seinen eigenen Erfolg zurückgeschraubt. (Gerald Schubert, 8.8.2020)