Treue gnadenlos hinterfragt: Fiordiligi (Elsa Dreisig) und Guglielmo (Andrè Schuen) erleben es.

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Regisseur Christof Loy, subtiler Psychologe des Szenischen.

Es hätte betrüblich wie in Bayreuth laufen können: nicht abwarten, wie es wird – mit den Infektionszahlen –, und gleich absagen. In Salzburg hingegen wartete man. Und wie sich abzuzeichnen begann, dass Festspiele doch möglich wären, hat Christof Loy "in einer Art Verzweiflungsruf, ohne richtig zu wissen, was ich da tat", gegenüber Markus Hinterhäuser erwähnt: "Bevor nichts stattfindet, würde ich mir zutrauen, schnell Così fan tutte herzustellen" – statt des geplanten Boris Godunow. Das hat er mal so laut ausgerufen: "Wir wussten ja gar nichts. Schließlich kam tatsächlich der Anruf, ob ich mir die Così vorstellen könnte!"

Die Kürzungen per Telefon

Loy konnte, das Stück beschäftige ihn schon lange. "Und da wir durch den Lockdown energetisch so gefangen waren, war es dann auch wie eine Explosion, wieder über etwas diskutieren zu konnten." Auch über Kürzungen, denn die Mozart-Oper sollte ohne Pause stattfinden, was zu Telefonaten mit Dirigentin Joana Mallwitz führte: "Mit ihr war das zum Glück so, dass wir sofort zueinandergefunden haben. Keiner musste sein Ego pfauenmäßig aufstellen", es habe vielmehr die Freude überwogen, "überhaupt etwas arbeiten zu können". Wobei: Loy findet, allzu viel Gewicht sollte auf die Kürzungen nicht gelegt werden. "Das wird ein bisschen hochgespielt, so als würden wir nur Fragmente spielen."

Man würde sehr an der Geschichte dranblieben, "selbst der Spezialist dürfte erst mit kleiner Verspätung die Striche bemerken. Ich glaube, dass wir auch die Verantwortung gespürt haben, Mozart und Da Ponte sehr nahezukommen. Ich habe mal gestoppt: Die noch von Karl Böhm dirigierte Così hatte in den 1970ern netto 2,28 Stunden Musik, wir sind bei 2,17." Vier der 31 Nummern würden entfallen, sagt der Deutsche, "wobei zwei davon in fast allen gängigen Aufführungen gestrichen werden. Dazu gibt es bei uns unzählige, in der Summe jedoch in der Wirkung dezente Striche bei Rezitativen und Ensembles."

Prächtiges Haus, dennoch

Loy, der Regiepsychologe, der Seelenlandschaften subtil zu choreografieren versteht, bestreitet, es wäre seine eine Così im Eilverfahren. "Wir brauchen auch in Rezitativen Zeit, und die nehme ich mir, damit die Energien in den Figuren freigesetzt werden, damit man die Proportionen wahrt." Es sei wie bei einem Haus: Links und rechts ist eineinhalb Meter weniger Platz, "aber das Gebäude ist nach wie vor prächtig, wie man es erhofft hat".

Es entstand so eine Inszenierung abseits großer Heiterkeit. "Eine leise Wehmut spürt man bei mir schon in den Anfangsszenen, spürt, dass ich auch das Abschiednehmen nicht veralbere. Die beiden Männer machen sich nicht lustig über ihre Frauen. Im Moment der Trennung können sie sich auch der Empfindung kaum erwehren, dass das Lebewohl real ist." Mozart habe den Frauen auch mehr Tiefe verliehen, als man glaubt:

Keine Gänse

"Sie werden ja gerne als dumme Gänse dargestellt. Das ist leider immer noch so, man hat das Gefühl, in den 1980ern und 1990ern habe man den Frauen mehr Würde verliehen als in den Inszenierungen der letzten 15 Jahre. Es tauchten da wieder so Klischees von den dümmlich lachenden Frauen auf. Natürlich will man als junger Mensch zunächst glauben, dass es, wenn man verliebt ist, ewig hält. Und es gibt keinen Grund, sich darüber lustig zu machen."

Loy sieht sich denn auch nicht "als negativer Zyniker. Ich glaube ja auch, dass jenen Momenten, in denen uns andere auf der Bühne die Schmerzen abnehmen, etwas Versöhnliches innewohnt, dass Aufführungen auch etwas Kathartisches an sich haben. Es ist nicht so, dass man nach dieser Così betrübt herausgehen wird."

Das Spiel auf der Bühne habe im Idealfall sehr viel mit uns zu tun. Es gehe in Bereiche, die wehtun, "aber wir tun dies hier nicht um der Zerstörung willen, sondern um mehr über uns zu erfahren." Loy, der sich Inspiration gerne aus dem Film holt, nennt diesfalls Jean-Luc Godards Pierrot le fou: "Das ist so eine Bonnie-und-Clyde-Geschichte. Da sind Momente von Freiheit, die plötzlich brechen können. Direkte Filmzitate wird man nicht erkennen können, das Lebensgefühl aber schon."

Sicher ist sicher

Mindestens so genau wie seine Inszenierungen ist wohl das Sicherheitskonzept der Festspiele: "Sobald man die Bühne verlässt, ist man in einem strengen Regime. Man kann nur mit Maske aneinander vorbeigehen, das ist ganz streng. Man ärgert sich fast, wenn man das Festspielhaus verlässt." Da sehe man ja, wie Partys gefeiert werden, bei den sich keiner mehr um die Maßnahmen kümmert. "Man wirft uns Künstlern vor, wir wären Bohemiens, die tun, was sie wollen. In Wahrheit ist das absolute Gegenteil der Fall. Es gibt ein Corona-Tagebuch mit Standardfragen, u. a. ob man Fieber hat, wie der körperliche Zustand ist."

Auch müsse eingetragen werden, "welche Intensivkontakte man hatte, ob man mit einer Person länger in einem Raum war als eine Viertelstunde. Wir sind alle vorsichtig." Wenn man zusammen essen gehe in ein Lokal, "achten wir darauf, in einem Separee oder an der frischen Luft zu sein und dass Tische nicht zu nahe an uns dran sind."

Wenn jemand einen Angehörigen mitbringe, dann nur jemanden, der getestet wurde. "Da wir aber beruflich so viel Freiheit wiedererlangt haben, ist da kein Gefühl, eingeengt zu sein." Im Gegenteil. Es sei die Energie, die da freigesetzt wird, extrem. Und: "Dass man auf der Probebühne alles wieder vergessen kann, ist fantastisch." (Ljubiša Tošić, 2.8.2020)