Das Thema Hasspostings beschäftigt die Regierung. "Aber nicht alles, was Hass ist, ist klagbar und wird klagbar sein. Auch nach diesem Paket nicht", sagt die Grünen-Klubobfrau Sigrid Maurer (rechts). Die Ministerinnen Karoline Edtstadler (links) und Alma Zadić werden das Paket bald vorstellen.

Foto: Christian Fischer

Kommende Woche soll das Gesetzespaket der Regierung gegen Hass im Netz in Begutachtung geschickt werden. Verfassungsministerin Karoline Edtstadler (ÖVP) wird die künftigen Regeln für Onlineplattformen vorstellen, darunter eine Löschpflicht für rechtswidrige Inhalte. Justizministerin Alma Zadić (Grüne) wird Änderungen bei der Verfolgung solcher Delikte präsentieren, beispielsweise sollen Gerichte gestärkt werden. DER STANDARD hat mit den beiden Ministerinnen und Grünen-Klubobfrau Sigi Maurer über Hass im Netz und das Gesetzesvorhaben gesprochen.

STANDARD: Wann wird eigentlich ein Posting zum Hassposting?

Edtstadler: Es geht um strafrechtswidrige Eingriffe in die Sphäre der Opfer, Nötigung, Drohungen, Morddrohungen und Beleidigungen. Das ist nichts, was wir definieren, dazu gibt es Judikatur, Gerichtsurteile und Erläuterungen im Strafgesetzbuch. Mit unserem Gesetz wollen wir Rahmenbedingungen vorgeben, damit Plattformen wie Facebook genau diese Dinge löschen müssen.

Zadić: Mir wurde schon öfter die Frage gestellt, ob es für "Hass im Netz" eine eigene Definition braucht. Aber sowohl das Strafrecht als auch das Zivilrecht bieten genügend Möglichkeiten, das Phänomen zu beschreiben und Gerichte haben schon festgelegt, wo Grenzen zu ziehen sind. Wenn wir ehrlich sind, hat jeder auch ein gewisses Gespür dafür, ob eine Grenze überschritten wird oder nicht. Beleidigt es die andere Person, ist das jetzt eine freie Meinungsäußerung, oder dringe ich in die Persönlichkeitsrechte des anderen ein. Mit unseren Maßnahmen wollen wir Möglichkeiten schaffen, damit Betroffene rasch und kostengünstig ihr Recht bekommen.

Maurer: Hass ist ja nicht erst mit dem Internet erfunden worden. Das Gesetz bewegt sich daher in einem Rahmen, der bereits ausjudiziert ist. Aber nicht alles, was Hass ist, ist klagbar und wird klagbar sein. Auch nach diesem Paket nicht.

STANDARD: Es bleiben also antisemitische, rassistische und sexistische Äußerungen im Netz, weil sie nicht klagbar sind.

Maurer: Der Bereich, der bereits jetzt am besten klagbar ist, ist die Verhetzung. Das betrifft ganz viele rassistische und antisemitische Vorfälle. Dort haben wir die meisten Verurteilungen. Es geht bei den Maßnahmen darum, dort, wo Grenzen ganz eindeutig überschritten werden und wo die Auswirkungen auf das Gegenüber drastisch sind, Mittel zu finden, dass man sich dagegen wehren kann.

Edtstadler: Gerade, wenn es um Antisemitismus geht, haben wir klare Vorgaben. Wenn jemand schreibt, den Holocaust hat es nicht gegeben, ist klar, dass das gelöscht werden muss. Das Ziel der Plattformverantwortlichkeit ist, dass derartige Inhalte vor einer juristischen Verfolgung entfernt werden müssen.

Zadić: Hetze, Rassismus und Antisemitismus, das ist im Verhetzungsparagrafen drinnen. Wir werden ihn mit dem Gesetzespaket erweitern. Es gibt zwar jetzt schon viele Verurteilungen, aber was bisher unzureichend geahndet werden konnte, war, wenn man gegen eine einzelne Person hetzt, weil sie zu dieser Gruppe gehört oder weil sie bestimmte Merkmale dieser Gruppe aufweist. Das wird künftig auch darunterfallen.

STANDARD: Nur erwischt das hauptsächlich die, die offen die Shoah leugnen oder Hetze mit Gewaltaufrufen mischen. Rassismus und Antisemitismus sind aber mittlerweile gut verpackt, nun wird etwa von einem "Austausch der Bevölkerung" durch "dunkle, finanzstarke Mächte" gesprochen.

Zadić: Gerade wenn Sie Verschwörungserzählungen wie den "großen Austausch" ansprechen, erhoffen wir uns, dass durch die Erweiterung des Strafrechts einige davon aufge griffen werden können. Verhetzung soll auch greifen, wenn einzelne Personen im Netz angegriffen werden.

Edtstadler: Es wird leider immer Menschen geben, die Wege finden, solche Dinge zu verbreiten. Uns geht es um die breite Masse. Vor einer Verfolgung sollen solche Postings raus, damit sie nicht verbreitet werden und jene erreichen, die diese Codes noch nicht verstehen.

Verfassungsministerin Karoline Edtstadler: "Nein, eine Klarnamenpflicht steht nicht im Regierungsprogramm."
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STANDARD: Werden Nutzer ihren Namen hinterlegen müssen?

Edtstadler: Nein, eine Klarnamenpflicht steht nicht im Regierungsprogramm.

Maurer: Auch keine Registrierungspflicht.

Edtstadler: Die Justizministerin wird sich damit beschäftigen, wie man über IP-Adressen verfolgen kann, wer dahintersteckt.

Zadić: Es geht in erster Linie darum, wie man die Täter rasch ausforschen kann. Das sollte man auch der Staatsanwaltschaft überlassen. Dort wollen wir Gruppen einrichten, die sich konkret dem Thema Hass und Gewalt im Netz und Cyberkriminalität widmen werden.

STANDARD: Für Provider ändert sich nichts?

Zadić: Ich hoffe sehr, dass sich für die Provider etwas ändert. Es wird klare Regelungen geben, damit sowohl die Staatsanwaltschaft als auch Gerichte schneller durchgreifen können. Einerseits soll jetzt mit einem gerichtlichen Unterlassungsbefehl die Löschung von Hasspostings rasch und kostengünstig erfolgen, und andererseits sollen natürlich mit den Mitteln des Strafrechts Täter in die Pflicht genommen werden. Wir haben zwar jetzt bei der Staatsanwaltschaft einen Kanal zu den Plattformen, der aber leider nicht so gut funktioniert.

Edtstadler: Das ist auch der Grund, warum wir jetzt hier sitzen und warum wir diese Initiative so vehement vorantreiben.

STANDARD: In Schweden werden laut einer Europol-Erhebung 79 Prozent der behördlichen Anfragen an Provider beantwortet, in Österreich sind es nur 60. Warum ist das so?

Edtstadler: Ich glaube, mit ein Grund ist, dass man als Land klarmachen muss, dass man es ernst meint.

Zadić: Dadurch, dass es keine Konsequenzen gegeben hat, gab es nicht wirklich das Bedürfnis, dass man da seitens der Plattformen rasch reagieren muss. Eine Schwierigkeit bisher war es, dass sich der Ansprechpartner bei Plattformen ständig geändert hat und dass dadurch die Beantwortung unserer Anfragen erschwert wurde. Das soll sich jetzt ändern.

Maurer: Ehrlich gesagt wundert mich das. Vieles von dem, was wir jetzt machen, basiert auf den Urteilen, die Maria Windhager für Hasspostings gegen Eva Glawischnig erstritten hat. Damals musste sie einen Anwalt in Florida ausfindig machen, um überhaupt klagen zu können. Sie sagt, eigentlich ist Deutschland das einzige Land in Europa, das von Facebook ernst genommen wird.

STANDARD: Apropos Deutschland. Dieses Vorhaben sieht Löschfristen vor, es soll eine Regulierungsbehörde geben, die Strafen verhängen kann, einen Zustellungsbevollmächtigten ... Das klingt sehr nach der österreichischen Version des deutschen Netzwerkdurchsetzungsgesetzes (NetzDG). Ist es ein Vorbild?

Edtstadler: Auf alle Fälle. Wir werden es nicht so nennen, aber es geht natürlich darum, die Plattformen in die Pflicht zu nehmen und das, was es an Erfahrung schon gibt – und das haben wir mit Deutschlands Netzwerkdurchsetzungsgesetz –, reinzunehmen. In Deutschland haben wir gesehen, dass jetzt hier nachgebessert wird, was das Overblocking betrifft (bei Overblocking handelt es sich um die Befürchtung, dass Plattformen aus Angst vor Strafen auch legale Inhalte entfernen; Anm.). Dafür wurde ein Verfahren für Poster eingerichtet, die über Löschungen informiert werden und sich beschweren können. Es hat auch einen Versuch gegeben in Frankreich, der gescheitert ist, weil kein "Overblocking-Blocker" eingeführt wurde in dem Gesetz. All das werden wir berücksichtigen.

Justizministerin Alma Zadić: "Das Netz darf nicht einer kleinen Gruppe von Hatern überlassen werden."
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STANDARD: In Frankreich wurde ein ähnliches Gesetz vom Verfassungsgericht gekippt, weil eine Löschpflicht gegen das Grundrecht auf Meinungsfreiheit verstößt.

Edtstadler: Das lag daran, dass in diesem Gesetz kein "Overblocking-Blocker" drinnen war.

STANDARD: Die Lehre daraus ist also ein Beschwerdeverfahren für Poster?

Edtstadler: Genau.

Maurer: Das Ziel von den Maßnahmen, die wir setzen, ist, dass die Freiheit jener Personen, die von Hasspostern angegriffen werden, nicht eingeschränkt wird. Das ist natürlich eine Frage der Balance. Die Schwierigkeit ist, dass nicht alles eindeutig ist. Wir sind da auch oft in einem juristischen Bereich, wo es um Wertungsfragen geht.

Zadić: Wir dürfen nicht zulassen, dass Menschen, die Hass und Gewalt im Netz erfahren, sich zurückziehen. Das Netz sollte nicht einer kleinen Gruppe von Hatern überlassen, sondern für Meinungsvielfalt offengehalten werden.

STANDARD: Wie soll die Verfolgung mit dem Gesetz funktionieren? Beim russischen VKontakte dürfte es etwa schwierig werden.

Edtstadler: Wir werden sicherstellen, dass Plattformen, die in Österreich Werbeumsätze machen und hier ihrem Geschäft nachgehen, auch ein entsprechendes Beschwerdeverfahren einrichten müssen.

STANDARD: Was tun Sie, wenn sie das nicht machen?

Edtstadler: Dann schau ich mir schon an, was passiert, wenn ein Unternehmen, das in Österreich tätig ist, sich nicht an österreichische Gesetze hält. Da gibt es einen klaren Rahmen, und an den muss sich ein Unternehmen, das hier tätig ist, auch halten.

Zadić: Wenn die Plattformen binnen weniger Tagen eine Aufforderung zur Löschung von einem Gericht haben, dann wird das Unternehmen sich schwertun, hier der Aufforderung nicht nachzukommen. Und wenn die Grenze des Strafrechts erreicht ist, dann werden auch die Täter in die Pflicht genommen.

STANDARD: Der Digital Services Act der EU, der auch Hass im Netz adressiert, soll bald vorgestellt werden. Warum also dieser Vorstoß?

Edtstadler: Selbst wenn wir gegen Ende des Jahres den Digital Services Act vorgelegt bekommen, wird es wahrscheinlich noch Jahre dauern, bis es auf EU-Ebene beschlossen und dann umgesetzt wird. Deshalb wollen wir in Österreich vorangehen – und das rasch. Wir müssen nämlich der Kommission alles melden, und die hat drei Monate Zeit, dagegen Einwände zu erheben. Ich erwarte keine.

STANDARD: Warum nicht?

Edtstadler: Auch beim NetzDG und beim französischen Vorschlag hat die Kommission keine Einwände erhoben. Zudem hatte ich mit der Kommission bereits Kontakt, insbesondere Vizepräsidentin Věra Jourová, die auch ihr vollstes Verständnis dafür zum Ausdruck gebracht hat, dass wir jetzt handeln wollen.

STANDARD: Es geht bei dem Gesetz nicht nur um Milliardenkonzerne. Es wird Grenzen für Unternehmen geben, bei denen wir noch nicht wissen, wo sie angesetzt sind.

Edtstadler: Weil wir diesen Entwurf gerade abstimmen.

Grünen-Klubobfrau Sigrid Maurer: "Wir sind da oft auch in einem juristischen Bereich, wo es um Wertungsfragen geht."
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STANDARD: Die Umsetzung der Maßnahmen kostet viel Geld. Spielt man da nicht umsatz stärkeren Unternehmen in die Hände?

Edtstadler: Es wird eine Nutzergrenze geben. Dabei wird nicht jede kleine Vereinsplattform in die Pflicht genommen, sondern die Großen. Und ob man den Größeren in die Hände spielt: Viele geben an, dass sie das eh jetzt schon haben. Sie müssen es nur so ausgestalten, dass es wirklich erreichbar ist. Also sehe ich den großen Mehraufwand nicht.

Maurer: Bei der genauen Definition sind wir noch in Diskussion. Mit österreichischen Unternehmen haben wir eigentlich keine Probleme, in den letzten Jahren hat es viele Präzedenzfälle gegeben. Es ist inzwischen nicht mehr so, dass nicht gelöscht wird. Pro blematisch sind eher die internationalen Konzerne, wo für Löschung Anwälte im Ausland ausgeforscht werden müssen.

STANDARD: Sie sagen, österreichische Unternehmen sind kein Problem. Wird zum Beispiel das STANDARD-Forum betroffen sein, und wenn ja, warum?

Edtstadler: Es kommt drauf an, was für eine Nutzerzahl es hat. Gerade Medienunternehmen sollten froh darüber sein, dass wir diese Wettbewerbsverzerrung nun auflösen, da dadurch die Verantwortung, die klassische Medienhäuser bereits tragen, auch von sozialen Netzwerken eingefordert wird. Medienunternehmen müssen nach Mediengesetz genau schauen, welche Beiträge veröffentlicht werden, vorher auch schon prüfen, ob das überhaupt zulässig ist, sind verantwortlich und sind erreichbar. Plattformen nicht.

Zadić: Das ist ja das große Problem. Bei allen österreichischen Unternehmen hat man die Möglichkeit, sofort einen Unterlassungsanspruch zuzustellen, das geht bei großen Plattformen nicht. Mit der Pflicht zu einem klaren Zustellbevollmächtigten können wir unsere Gesetze durchsetzen.

STANDARD: Die Regierung hat in der Corona-Krise die rechtsextreme Zeitschrift "Zur Zeit" mit 66.000 Euro gefördert. Das ist eine Zeitschrift, die das Gedenken an NS-Opfer als "Schuldkult" bezeichnet und so weiter. Wird es so eine Förderung für eine Offlinehassplattform weiter geben?

Maurer: Wir Grüne haben ja gegen Zur Zeit viele Verfahren geführt und auch gewonnen. Wir wollen natürlich, dass es in Zukunft nicht mehr möglich ist, dass eine rechtsextreme Zeitung Medienförderung erhält. Wir konnten uns jetzt während des Covid-19-Höhepunkts nicht mit der Reform der Presse- und Medienförderung beschäftigen, da hatten wir ein bisschen was anderes zu tun. Zur Zeit soll in Zukunft keine Förderungen mehr erhalten können. Die Mediengesetznovelle wird im Herbst verhandelt. (Muzayen Al-Youssef, Markus Sulzbacher, 1.8.2020)