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Tausende Menschen protestierten Freitagabend in Budapest für Medienfreiheit. Zuvor kam es zu einem Exodus in der "Index"-Redaktion.

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Im Gastkommentar warnt der Politikwissenschafter und freie Journalist Balazs Csekö, mit der "Ausschaltung des einflussreichsten Mediums des Landes" sei eine "weitere Fackel der ungarischen Öffentlichkeit ausgelöscht" worden.

"Wir würden nie diejenigen mundtot machen, die mit uns nicht einverstanden sind." Das sagte Ungarns Regierungschef Viktor Orbán vor zwei Jahren bei einer Debatte im Europäischen Parlament. Die damaligen Worte des Premiers sind heute in allen Ecken Ungarns bekannt und werden jedes Mal in Erinnerung gerufen, wenn Meinungs- und Pressefreiheit unter Maßnahmen seiner Regierung leiden. Ähnlich wie in diesen Tagen, wo Index, der meistgelesene Nachrichtenkanal – so wie bisher gekannt – auf einmal zur Geschichte wurde.

Portal oberster Klasse

Index war ein Onlineportal der obersten Klasse, einer der journalistischen Leuchttürme im postsozialistischen Ungarn. Unabhängig vom Interessenkreis haben sich die meisten Ungarinnen und Ungarn die Nachrichten von der Website index.hu geholt. Eine ganze Generation ist mit ihr aufgewachsen. Für Millionen Personen war sie das Alpha und Omega der ungarischen Internetseiten, die Nachrichtenquelle schlechthin. Seit der Gründung im Jahr 1999 ist Index mit mehr als anderthalb Millionen Leserinnen und Lesern täglich zum reichweitenstärksten Medium des Landes geworden, für viele bedeutete die Zeitung dennoch wesentlich mehr. Index war eine Institution. Ein Lebensgefühl. Ein Kulturgut. Ein Hungarikum.

Index hat Freude geschenkt, die einen zum Lachen gebracht, bei den anderen Tränen ausgelöst, ab und zu hat es auch geärgert. Index hat sich für die Schwachen eingesetzt und die Mächtigen an den Pranger gestellt, unabhängig von der politischen Couleur. So wie es sich für eine professionelle und objektive Seite gehört. Zahlreiche Kolleginnen und Kollegen in Ungarn haben davon geträumt, einmal für Index arbeiten zu dürfen. Mit diesem Traum ist seit letzter Woche Schluss.

Ein Dorn im Auge

Die Übernahmeversuche der Regierungskreise haben nicht erst gestern begonnen. Seit langer Zeit war das Onlinemedium ein Dorn im Auge der Orbán-Regierung. Die Gemeindewahlen im Oktober 2019 könnten eine entscheidende Rolle bei der Auslöschung von Index gespielt haben. Diese waren nämlich ein Weckruf für Orbán. Seine Partei Fidesz fuhr ein schwaches Ergebnis ein, während die Opposition eine ganze Reihe von Großstädten, darunter das Amt des Oberbürgermeisters in Budapest, eroberte.

Beim starken Abschneiden der Regierungskritiker spielte eine nicht zu unterschätzende Rolle ein viral gewordenes Video, welches den Sexskandal des Bürgermeisters von Győr offensichtlich machte. Zwar war Index für die Veröffentlichung der Aufnahme nicht verantwortlich, ohne die Plattform hätte der Skandal aber nie seine spätere Dimension erreichen können. Solche Unannehmlichkeiten sollten sich nicht mehr wiederholen.

Medien auf Regierungslinie

Index erlebte in den letzten Jahren mehrere Eigentümerwechsel und wanderte so von einer Oligarchenhand zur anderen, bis der Orbán-Vertraute Miklós Vaszily am ersten Tag des Corona-Notstandes 50 Prozent der Anteile der Werbeagentur von Index kaufte. Spätestens mit der Ankunft von Vaszily, der bereits mehrere Medien auf Regierungslinie gebracht hatte, wurde es deutlich, dass Index jederzeit zugesperrt werden könnte.

Letzte Woche war die politische Lage für die Aktion verlockend: Zwei Tage nach dem EU-Sondergipfel zum kommenden Siebenjahresbudget, keine fünf Monate vor einem möglichen Wechsel im Weißen Haus und inmitten der ungarischen Legislaturperiode sah Orbáns engster Kreis die Zeit reif für die Ausschaltung von Index und entließ dessen Chefredakteur Szabolcs Dull. Darauf folgend kündigten mehr als 80 Journalistinnen und Journalisten – praktisch die ganze Redaktion.

Die Natur des Illiberalismus

Die Ausschaltung von Index sollte in Wirklichkeit niemanden überraschen. Sie ist das neueste Beispiel des Modus Operandi der "illiberalen" Machtausübung. Orbáns Regime toleriert keine Kritik, die eine Gefahr für das eigene System darstellen könnte. Nicht umsonst verfügt sein Umfeld über das größte – mehr als 500 Nachrichtenkanäle zählende – Medienimperium Europas, während Ungarn auf Platz 89 in der Rangliste der Pressefreiheit von Reporter ohne Grenzen steht. Orbán will keine Zitterpartie erleben wie unlängst seine Warschauer Alliierten bei der polnischen Präsidentschaftswahl.

Ein Blick in die Zukunft zeigt kaum Positives. Ungarns Premier wird sein Regime immer fester im Griff halten wollen. Er hat bereits eine lange Liste von Medien ausradieren lassen und wird alles tun, um die restlichen Inseln der Objektivität und Unabhängigkeit zu zerstören. Denn das ist die Natur des Illiberalismus: der ständige Kampf gegen den "Gegner", solange es einen gibt.

Weitere Fackel ausgelöscht

Man sollte sich keine Illusionen machen. Orbáns Kreise haben bereits die nächsten Ziele im Visier. RTL Klub, HVG, 444.hu und 24.hu sind die verbliebenen größeren Medien, die noch nicht auf Regierungsschienen laufen. Nach dem Zerbrechen von Index ist jedoch nichts mehr ausgeschlossen. Mit der Ausschaltung des einflussreichsten Mediums des Landes wurde eine weitere Fackel der ungarischen Öffentlichkeit ausgelöscht. Deren Zahl geht seit Orbáns Machtübernahme vor einem Jahrzehnt rasant zurück. Es bleiben nur noch wenige übrig. Bis die komplette Finsternis hereinbricht. (Balazs Csekö, 26.7.2020)