Ein Teil der unzähligen Akten des Dokumentationsarchivs des österreichischen Widerstandes (DÖW).

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Nach den Ausschreitungen türkischer Nationalisten in Favoriten soll es schnell gehen. Nicht erst im August, sondern noch im Juli soll die von Türkis-Grün geplante Dokumentationsstelle politischer Islam ihre Arbeit aufnehmen. Bis auf skizzenhaft vorgestellte Themengebiete von Integrationsministerin Susanne Raab (ÖVP) wissen aber selbst Wissenschafterinnen und Wissenschafter aus diesem Bereich kurz vor deren Gründung noch nicht wirklich, wie sich diese Stelle zusammensetzen und welche Rolle sie im Spannungsfeld zwischen Regierungspolitik und Forschung spielen wird.

Im Regierungsprogramm heißt es, dass eine "unabhängige staatlich legitimierte" Beobachtungsstelle geschaffen werden soll. Das Dokumentationsarchiv des österreichischen Widerstandes (DÖW) wird als Vorbild genannt.

"Ich glaube, dass man sich da unsere Seriosität und politische Unvoreingenommenheit zum Vorbild genommen hat", sagt der wissenschaftliche Leiter des DÖW, Gerhard Baumgartner. "Ansonsten sehe ich keine wirkliche Ähnlichkeit, sondern einen wesentlichen Unterschied."

Die Gefahr: "Sloganlieferant"

Das DÖW sei 1963 auf eine Initiative von ehemaligen Widerstandskämpfern entstanden, weil zu Zeiten des Kalten Krieges ehemalige Nationalsozialisten in Österreich "aus ihren Löchern krochen" und politisch rehabilitiert wieder in höchsten Kreisen verkehrt hätten. "Man hatte das Gefühl, dass die österreichische Demokratie in Gefahr ist", sagt Baumgartner. "Die Dokumentationsstelle wurde gegründet, damit nicht in Vergessenheit gerät, wie viele Tausend Menschen im österreichischen Widerstand gestorben sind."

Die Dokumentationsstelle mit Schwerpunkt politischer Islam entstehe hingegen völlig anders, nämlich direkt aus dem Bundeskanzleramt heraus. Das DÖW wurde 1983 zwar in eine Stiftung umgewandelt, an der sich der Bund, die Stadt Wien und zu einem kleinen Teil auch das Land Niederösterreich beteiligen. "Aber die führenden Kräfte kommen bis heute aus Opferverbänden", sagt Baumgartner.

Dass eine Dokumentationsstelle wie jene zum politischen Islam die wesentlichen gesellschaftlichen Gruppen abbildet und nicht nur die Parteien, ist für den Historiker essenziell. Zur DÖW-Gründung seien dies etwa Widerständische aus dem linkssozialistischen und kommunistischen Milieu genauso wie Christlich-Soziale und Klerikalkonservative gewesen. Heute werde der Stiftungsrat des DÖW mehr von ÖVP- als von SPÖ-Nahen vertreten, sagt Baumgartner. "Es handelt sich bewusst um kein linkes Projekt."

Was die Dokumentationsstelle zum politischen Islam aus Baumgartners Sicht braucht, "ist eine in Beton gegossene Absicherung der Unabhängigkeit vom Tagesgeschäft der Politik". Ansonsten sei wissenschaftliche Arbeit nicht möglich, und die Stelle verkomme zum "Sloganlieferanten". Dafür sei das Thema zu heiß und zu gefährlich. Präventiv wirken könnte aus Baumgartners Sicht ein langfristiger Fördervertrag, das sei "ein Garant" dafür, dass die Stelle nicht vom politischen Alltag abhängig werde.

Die Vorteile des Staatlichen

In die Konzeption der neuen Dokumentationsstelle eingebunden wurde das DÖW offiziell nie. Es gab Gespräche, dabei ging es aber bislang nicht um eine Mitarbeit oder Kooperation, sagt Baumgartner. Sollte dies im Raum stehen, müsste er dies auch mit dem Stiftungsrat besprechen.

Wiederum direkt an das Familienministerium angedockt ist die 1998 gegründete Bundesstelle für Sektenfragen, für die die Psychotherapeutin Ulrike Schiesser arbeitet. Gegründet wurde sie als "selbstständige Anstalt des öffentlichen Rechts" und ist eine "konfessionell unabhängige und weisungsfreie Einrichtung".

Es sei auch so, "dass niemand dreinredet", sagt Schiesser. Der Unterschied ist, dass in der Bundessektenstelle Psychotherapeuten und Psychologen beratend arbeiten. Das habe den Vorteil, dass Schiesser und Co ihre Informationen "direkt aus dem Feld" bekommen und Entwicklungen wie die Staatsverweigerer oft früher aufschlagen als in der Wissenschaft, weil sich das Umfeld eines Betroffenen Hilfe sucht. "Ein Religionswissenschafter kommt nie an die Menschen heran, die in einer Gruppe negative Erfahrungen gemacht haben", sagt Schiesser. Das Staatliche der Bundessektenstelle werde von Anrufern auch geschätzt. Bei der Aufklärungsarbeit von Verschwörungstheorien etwa habe der Staat Gewicht, erklärt Schiesser, ebenso für den Fall, wenn das Jugendamt kontaktiert werden muss, tue man sich leichter als Vereine. (Jan Michael Marchart, 11.7.2020)