Die Casinos waren ständiger Zankapfel zwischen Republik, Sazka und Novomatic.

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Das türkise Finanzministerium schmiedete ab dem Frühjahr 2018 Gesetzespläne für eine bislang beispiellose Liberalisierung der Glücksspielbranche in Österreich – und band die FPÖ in ihre Überlegungen erst sehr spät ein. Das zeigen bislang unbekannte Dokumente, die STANDARD, "Profil" und ORF-"ZiB 2" vorliegen. Die Geschichte hat zwei Stränge: Einer davon beruht auf Fakten, einer auf Indizien.

Unbestreitbar ist, dass das Finanzministerium ab dem Sommer 2018 an einer Liberalisierung des Glücksspiels arbeitete. Obwohl der blaue Staatssekretär Hubert Fuchs als politisch zuständig galt, wurde sein Team außen vor gelassen. Erst 2019, als die Pläne schon fortgeschritten sind, wird das Staatssekretariat eingebunden. Das ist vor allem deswegen bemerkenswert, weil schon im Frühjahr 2018 eine Glücksspielnovelle zurückgezogen wurde, weil sich die FPÖ nicht ausreichend informiert gefühlt hatte.

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Unklar ist, warum die türkise Ministeriumsspitze so gehandelt hat. Den Projektauftrag vergab offiziell der damalige Finanzminister Hartwig Löger (ÖVP), den "Projektlenkungsausschuss" leitete der damalige ÖVP-nahe Sektionschef Eduard Müller. In Gespräche über die Zukunft der Casinos Austria AG (Casag) war Kabinettschef und Generalsekretär Thomas Schmid, jetzt als Öbag-Chef Eigentümervertreter bei der Casag, eingebunden. Er gilt als wichtiger türkiser Akteur hinter den Kulissen.

"Kompetenzwirrwarr"

Was waren die Ziele des Finanzministeriums? Man wollte eine "Bereinigung der Kompetenzvielfalt", Wettgebühren ins Glücksspielgesetz überführen und eine "Abklärung hinsichtlich der Ausschreibung der restlichen Spielbankkonzessionen". Im November 2018 war die Projektgruppe schon weiter. Nun ist die Rede davon, dass es beim Online-Glücksspiel "Bundeskonzessionen" – also mehr als eine Konzession – geben soll, die versteigert werden könnten. Auch beim kleinen Glücksspiel sollte es Bundeskonzessionen geben.

Beides sind Forderungen der Novomatic: Bis heute hält die Casag-Tochter Win2Day die einzige Onlinelizenz, als Miteigentümerin lieferte die Novomatic Spiele dafür. Eigene Angebote wären lukrativer. Das kleine Glücksspiel, ein Kerngeschäft der Novomatic, fällt hingegen in die Zuständigkeit der Länder. Deshalb wurden die berüchtigten Automatenlokale nach jahrelangem Streit in Wien verboten – ein herber Rückschlag für die Novomatic. Außerdem wurde überlegt, die verbliebenen drei Lizenzen für Casinos auszuschreiben. Ermittler vermuten eigentlich, dass genau diese drei Gesetzesänderungen Teil eines "Deals" zwischen FPÖ und Novomatic gewesen sein könnten: Die Novomatic bringt den blauen Bezirksrat und Strache-Bekannten Peter Sidlo in den Vorstand der Casinos und unterstützt blaue Vereine, im Gegenzug gibt es Gesetzesänderungen. Beide bestreiten das, für alle Genannten gilt die Unschuldsvermutung.

"Ohne Lögers Zutun"

Nun tauchen aber genau diese Punkte in bislang geheimen Gesetzesplänen eines türkisen Ministeriums auf. Die Beamten argumentieren in ihrem Entwurf, dass der Onlinemarkt von illegalen Anbietern dominiert werde. Mit der Novelle sollen die Einnahmen in den legalen Markt "kanalisiert" werden. Das bedeutet erhöhte Steuereinnahmen. Auch die bundesweite Freigabe des kleinen Glücksspiels, also bestimmter Automaten, würde Geld bringen. Diese Form des Glücksspiels ist jedoch besonders suchtfördernd.

Lögers Anwalt sagt auf Anfrage: Soweit die Beamten an Gesetzesänderungen gearbeitet hätten, sei dies in Umsetzung des Regierungsprogramms und ohne Lögers Zutun geschehen. Löger ist Beschuldigter in den Casinos-Ermittlungen. Dort wurden auch die fürs Glücksspiel zuständigen Beamten einvernommen. Sie betonten, dass es vor 2027 zu keiner Ausschreibung von Lizenzen gekommen wäre. Das Gesetz für die Zukunft der Branche hätte jedoch schon im Frühjahr 2019 beschlossen werden sollen.

Ein Versprechen an Tschechien

Hat das türkise Finanzministerium die Novelle geschrieben, um mehr Steuereinnahmen zu erhalten – oder um sich die Novomatic gewogen zu machen? Ein handschriftlicher Zettel, der bei einem Novomatic-Manager beschlagnahmt wurde, zeigt, dass dieser über Preise für Online-Lizenzen und Spielbanken spekuliert hat. Bekannt ist außerdem, dass Schmid in seiner Zeit als Lögers Generalsekretär interne Dokumente an die Novomatic schickte. Löger sagt dazu, er habe nie mit der Novomatic über Lizenzen gesprochen.

Die Novomatic sagt über ihren Rechtsanwalt, dass ihr "weder die Reformpläne zum Glücksspielgesetz vorab bekannt waren noch ihr Lizenzen oder Vorteile versprochen worden sind". Es habe keinen Deal mit der Politik gegeben. Auch der Anwalt des einstigen Novomatic-CEO Harald Neumann schlägt in diese Kerbe. Neumann habe zwar gegenüber Politikern Probleme im Glücksspielbereich thematisiert, was auch seine Aufgabe als Manager sei, etwaige Wünsche aber nie an Gegenleistungen geknüpft. Auf Neumanns Handy fanden Ermittler folgende Notiz aus dem Jahr 2018: "Casag Anteil verkaufen (Online und Kasino Lizenz)" und: "Österreich eine Kasinolizenz plus Online ... in Arbeit."

"Neue Regierung, neue Meinung"

Stichwort Casag: Hier könnte ein Motiv für die Gesetzespläne zu finden sein. Das Finanzministerium musste im Streit um die Kontrolle der Casinos Austria auf die Novomatic setzen. Das zeigt eine Besprechung vom 3. Mai 2018, die zwischen Schmid, Neumann und Sazka-Vertreter Stepan Dlouhy stattfand. Die Sazka, größter privater Aktionär der Casag, bestand darauf, dort das "Day-to-Day-Management" zu leiten und die Kontrolle über den Konzern zu erlangen. Schmid replizierte, das Ministerium wolle ebenfalls Kontrolle. "Das heißt, dass die Interessen von Sazka und Finanzministerium in Widerspruch zueinander stehen", so Dlouhy. Damit würden frühere Abmachungen gebrochen.

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Schmids Antwort: "Neue Regierung, neue Meinungen." Dann drohte Dlouhy, dass die Sazka die Kontrolle im Casag-Aufsichtsrat übernehmen werde – mit Schützenhilfe der Novomatic, mit der man ein "Shareholder Agreement" habe. Hier schaltete sich erstmals Neumann ein: Wenn Sazka das wolle, wäre das ein "Bruch des Shareholder Agreement", weil es der Casag schaden würde. Dadurch kommt es zum Bruch zwischen den beiden größten privaten Casag-Eigentümern. Warum war die Sazka so wütend? In einem Interview für eine interne Untersuchung der Casinos-Affäre sagte Novomatic-Chef Neumann, der frühere Finanzminister Hans Jörg Schelling (ÖVP) habe den Tschechen den Verkauf von 13 Prozent der Casag-Anteile versprochen. Damit hätte die Sazka die Kontrolle über die Casinos erlangt. Die türkis-blaue Regierung soll das abgesagt haben. Schelling bestreitet einen solchen Deal auf Anfrage vehement: "Es gab nie eine Zusage, ich kann die Aussagen von Neumann in keiner Weise nachvollziehen. Wir wollten immer einen österreichischen Kernaktionär." Er will nun rechtliche Schritte gegen Neumann prüfen.

Lögers Anwalt sagt, diesem sei es in Gesprächen nur um den Erfolg der Casag und damit die Interessen der Republik gegangen. Letzten Endes sah es trotz allem kurz nach Frieden in der Casag aus: Die Sazka blockierte den neuen, im Frühling 2019 bestellten Vorstand nicht. Dieser bestand aus Bettina Glatz-Kremsner, einst ÖVP-Vizeparteiobfrau, dem blauen Bezirksrat Sidlo und dem Sazka-Kandidaten Martin Skopek. Dann tauchte eine anonyme Anzeige auf; befeuert vom Ibiza-Video nahmen die Ermittlungen rasch an Fahrt auf. Dazu kam ein U-Ausschuss. Die Arbeiten am neuen Gesetz wurden mit dem Ende für Türkis-Blau offenbar eingestellt. Strahlender Sieger der Affäre: die tschechische Sazka. Vor drei Wochen übernahm sie endlich die gewünschte Mehrheit an der Casag. Verkäufer der Anteile: die Novomatic. (Fabian Schmid, 10.7.2020)