Die Volksanwaltschaft übt Kritik an der Corona-Situation in Altersheimen.

Foto: Hendrich

Wien – Die Volksanwaltschaft hat sich in Österreichs Pflegeheimen umgehört, wie diese durch die Krise gekommen sind. Das Fazit fällt bescheiden aus, Heime und Volksanwaltschaft sprechen von unklarer Information, nicht ausreichender Schutzausrüstung und zahlreichen Corona-Infektionsfällen. Neue Empfehlungen sollen besser durch die zweite Welle bringen – sofern eine kommt.

Schutzausrüstung eher zufällig vorhanden

Schon tags zuvor berichtete der Bundesverband Lebenswelt Heim, dass es bereits zwei Wochen nach dem Lockdown keine oder nur noch wenig Schutzausrüstung gegeben habe. Die Volksanwaltschaft bekräftigt das nun erneut: Selbst Mitte Mai hatten nur 85 Prozent der 166 befragten Heime genügend Schutzausrüstung, außerdem wurden in 14 Prozent der befragen Einrichtungen auch da noch keine Hygieneschulungen durchgeführt.

Auch die ärztliche Betreuung litt während der Pandemie: In einem Fünftel der befragten Heime gab es diese nicht. Unter den Pflegewohnheimen war sie gar in 43 Prozent der Heime "stark eingeschränkt".

Ein Viertel der Heime berichtete von Infektionen

"Sehr überrascht" habe den Volksanwalt Bernhard Achitz, dass 23 Prozent der Heime von Infektionen unter den Bewohnerinnen und Bewohnern und 28 Prozent von Infektionen im Personal berichtet hatten, sagte er am Mittwoch bei der Präsentation der Ergebnisse. Bei Zweiterem sei das Problem vor allem, dass die Tests immer noch mehrere Tage dauern und daher Personal ausfalle – in einer Branche, in der Personal ohnehin Mangelware ist.

Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen seien enorm belastet worden, heißt es in dem Bericht der Volksanwaltschaft: "Teilweise standen dem in Isolationsbereichen tätigen Personal nicht einmal separate Räume zur Verfügung, um durchfeuchtete Masken zu wechseln und Erholungspausen zu machen."

Am Mittwoch berichtete das Ö1-"Morgenjournal" von einem Fall in der Steiermark, wo eine Heimbewohnerin gestorben ist und Angehörige nun Anzeige erstatten wollen. Sie seien nicht informiert worden, dass es Corona-Fälle im Heim gegeben habe, und hätten die Angehörige sonst nach Hause geholt, lautet der Vorwurf. Das scheint eher Ausnahme als Regel zu sein, Achitz sind keine weiteren derartigen Beschwerden bekannt, wie er am Mittwoch betonte.

Ausgangssperre nicht zulässig, Besuchsverbot teils recht streng

Dafür, dass zahlreiche Heime ihre Bewohnerinnen und Bewohner de facto einsperrten und ihnen keine Ausgänge ermöglichten, "gab es ganz klar keine Rechtsgrundlage", so Achitz. Die Volksanwaltschaft prüft nun, in welchen Fällen die Freiheitsbeschränkung zulässig war. Sie passierte, so Achitz, auf unterschiedliche Weisen: Da wurde etwa ein Sicherheitsdienst vor das Heim gestellt, in anderen Fällen gab es Anordnungen der Heimleitung, in einem sogar die Drohung, man werde den Heimvertrag auflösen, wenn die Bewohnerin das Haus verlasse. Die Volksanwaltschaft habe erwirkt, dass die Kündigung zurückgezogen wurde, heißt es am Mittwoch.

Bei Besuchsverboten hätten Empfehlungen des Bundes "zu lange gedauert", sagt Achitz, außerdem seien sie unspezifisch gewesen. So wurde die Verantwortung auf die Heim- oder Pflegedienstleitungen abgewälzt.

Einzelne Länder hatten oder haben Besuchsregelungen per Verordnung erlassen, in Wien trat erst am Mittwoch eine neue Verordnung in Kraft – von nun dürfen etwa zwei statt nur eine Person in ein Heim zu Besuch kommen. In Wien ist man stolz darauf, dass die Regelung recht streng gehalten ist, immerhin habe man damit viele Infektionen vermeiden können, hieß es zuletzt von der Stadt. Volksanwalt Achitz sieht die neue Verordnung kritisch: "Etwas Klarheit würde ich mir wünschen", sagt er, vor allem wenn es um kognitiv eingeschränkte Bewohner oder Bewohnerinnen gehe.

Empfehlungen für zweite Welle

"Nachdem wir die Situation sicher nicht überstanden haben", sagt Achitz, habe die Volksanwaltschaft Empfehlungen für künftige Krisen formuliert. Am wichtigsten seien da Investition, es dürfe keinen "Freifahrtschein" für eine Unterbesetzung während der Pandemie geben, "sonst brennen die ohnehin belasteten Pflegenden weiter aus", heißt es in den Empfehlungen.

Außerdem sollen Bund und Länder besser durch die Pandemie begleiten, sie sollen klare Regeln statt unverbindlicher Empfehlungen aussprechen: "Die Verantwortung darf vom Gesundheitsministerium nicht auf einzelne Einrichtungen abgewälzt werden." Die Behörden hätten außerdem im Pandemiefall dafür zu sorgen, dass die Beschaffung von Schutzausrüstung zentral erfolge.

Weitere Schlagworte sind "Sozialkontakte statt Isolation" und "Bewegungsfreiheit statt Ausgangsverbote". Altersdiskriminierung, wie sie vielfach passiert ist, dürfe nicht mehr vorkommen: Ältere dürften nicht anders behandelt werden als die restliche Bevölkerung.

166 Heime aus dem ganzen Land

166 Alters- und Pflegeheime hat die Volksanwaltschaft zwischen 4. und 15. Mai – also mitten im Lockdown – kontaktiert und befragt. Das sei keine repräsentative Studie, betont Achitz, dennoch könne man Schlüsse daraus ziehen.

Die befragten Heime verteilen sich quer übers Land, auch auf einen Mix aus privaten und öffentlichen Einrichtungen habe man geachtet, so Achitz. Befragt wurde am Telefon, weil auch das Kontrollorgan im Lockdown nicht persönlich in die Heime konnte – es habe dafür "keine nachvollziehbaren Sicherheitskonzepte gegeben", so Achitz. Mittlerweile wurden die Kontrollen wiederaufgenommen.

Behinderteneinrichtungen mit ähnlichen Problemen konfrontiert

Auch wenn die Volksanwaltschaft keine Befragung in Einrichtungen für Menschen mit Behinderungen durchführte, hat sie auch für diese Empfehlungen aufgestellt: Werkstätten müssten künftig auch während der Pandemie offen bleiben, heißt es da. Außerdem solle die persönliche Assistenz ausgebaut worden, so seien Autonomie und Selbstbestimmung auch in Krisenzeiten sichergestellt.

"Es ist unabdingbar, Menschen mit Behinderungen sowie Expertinnen und Experten" in Krisenstäbe einzubeziehen, heißt es. Deren Sichtbarkeit müsse in Gesetzgebung und Medien sichergestellt werden. (Gabriele Scherndl, 1.7.2020)