Das Setting der Abschlussdiskussion der aktuellen Semesterfrage der Uni Wien war Corona-bedingt etwas anders – das Publikum konnte nur virtuell per Livestream dabei sein, vor Ort wurde auf Babyelefanten-Abstand geachtet: Kommunikationswissenschafter Jörg Matthes, STANDARD-Innenpolitikredakteurin Lisa Nimmervoll, Sprachwissenschafterin Ruth Wodak und Politikberater Thomas Hofer (von links nach rechts).

Foto: @derknopfdruecker.com

In der Lockdown-Phase sei der politische Diskurs ins Nationalistische abgedriftet, kritisierte die Sprachwissenschafterin und emeritierte Professorin der Universität Wien und der Lancaster University, Ruth Wodak.

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In der Corona-Krise waren wir "auf die Sprache zurückgeworfen", sagte Jörg Matthes, Vorstand des Instituts für Publizistik und Kommunikationswissenschaft der Uni Wien.

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Das Spiel mit der Angst sei für Politiker höchst verlockend, meinte der Politikberater und Autor Thomas Hofer.

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Dolmetscherin Elke Schaumberger übersetzte das gesamte Gespräch in die Gebärdensprache.

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Im "Studio" der Sky Lounge der Universität Wien.

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Wien – Das Social Distancing habe die Menschen in der Corona-Krise aufgrund des Mangels an physischen Begegnungsmöglichkeiten "auf die Sprache zurückgeworfen". Die Macht der Worte aus Politiker- und Expertenmund sei so stark gewesen wie selten davor – der Warnungen und Entwarnungen ebenso wie der Versprechungen, Beschwörungen und Drohungen.

So fasste Jörg Matthes, Vorstand des Instituts für Publizistik und Kommunikationswissenschaft der Uni Wien, das kommunikativ Besondere der ersten Pandemiewochen in Österreich zusammen. Entstanden sei dadurch ein "ausgeprägt monothematischer Diskurs", den die journalistischen Medien anfänglich mitgetragen hätten, sagte er Montagabend bei der von der Uni Wien und dem STANDARD organisierten Onlinediskussion zur aktuellen Semesterfrage. Diese lautete: "Wie wirkt Sprache?" – und fokussierte aus aktuellem Anlass auf "Sprache in Zeiten von Corona?".

Lockerungen als "kleine Belohnungen"

Zuallererst erneuere sie sich in großem Tempo, sagte die Sprachwissenschafterin und emeritierte Professorin der Universität Wien und der Lancaster University Ruth Wodak: Nicht nur der Begriff Social Distancing gehe uns inzwischen leicht über die Lippen, auch die Figur des Babyelefanten, um dessen Körperlänge die Menschen einander fernbleiben sollen, sei nach einem halben Jahr Coronavirus allen bekannt. "Wir werden hochgefahren und bekommen Lockerungen zuerkannt wie kleine Belohnungen", drückte es die Moderatorin, Innenpolitikredakteurin Lisa Nimmervoll, aus.

In der Lockdownphase habe die Sprache Angst ausgelöst, sagte Wodak. Das wirke nach: Viele Menschen, auch in ihrem Bekanntenkreis, wagten trotz stark gesunkener Erkrankungszahlen weiter nicht, Bekannte zu treffen – aus Furcht, sich anzustecken und zu erkranken.

"Christliche Metaphorik"

Das Mittel der Angst, so Wodak, sei bewusst eingesetzt worden, ebenso wie eine "überraschend starke christliche Metaphorik" und ein Abdriften des Diskurses ins Nationalistische. Dazu hätte es Alternativen gegeben. Doch gezwungen, mit der "großen Unsicherheit" umzugehen, die das Umsichgreifen der Seuche mit sich brachte, hätten Politiker und Behördenvertreter "die Lage in stark betroffenen anderen Staaten" in den Vordergrund gerückt – und die dortigen furchterregenden Zustände.

Überlastete Ambulanzen in Bergamo, Särge in der dortigen Kirche, Militärfahrzeuge, die die Toten abtransportierten. "Man hätte genauso gut positive Entwicklungen wie in Neuseeland oder Griechenland herausstreichen können, um den Menschen ein Ziel zu geben", sagte Wodak.

Als sich Jens Spahn entschuldigte

Auch hätte man später zugeben können, dass in der dramatischen Anfangsphase Fehler passiert seien: "In Deutschland hat sich Gesundheitsminister Jens Spahn für einzelne Maßnahmen entschuldigt. Dass so etwas möglich ist – ich war ganz verblüfft."

Das Spiel mit der Angst sei für Politiker höchst verlockend, denn es eröffne die Möglichkeit, sich als Retter aus der Not darzustellen, warf an dieser Stelle der Politikberater und Autor Thomas Hofer ein. Auch NGO-Vertreter seien gegen derlei Überlegungen nicht gefeit. Internationale Migrationsbewegungen würden als "Flüchtlingswellen" tituliert, die Klimakrise zur Klimakatastrophe, die Erderwärmung zur Erderhitzung erklärt.

Emokratie in der Demokratie

Dadurch, so Hofer, entwickelten sich Demokratien derzeit immer mehr zu "Emokratien". Der Kommunikationswissenschafter Matthes gab ihm recht: "Wir reiten von Angstwelle zu Angstwelle", sagte er.

Dabei seien die Krisenphänomene höchst komplex und stellten auch die Wissenschaftercommunity vor große Herausforderungen. So hätten sich in der Zeit exponentiellen Wachstums der Corona-Erkrankungen die Diskussionsabläufe unter Virologen, Epidemiologen und anderen Fachleuten extrem beschleunigt – auf Kosten der Verständlichkeit für die breite Öffentlichkeit. Wenn Preprint-Studien publiziert würden, ohne dass sie vorher von Fachkollegen reviewt wurden, entstehe der Eindruck eines abgehackten, hektischen Diskurses mit weit mehr Unsicherheiten als sonst. (Irene Brickner, 23.6.2020)