Einen konventionellen Krieg, dessen Schauplatz das österreichische Bundesgebiet sein könnte, werde es in absehbarer Zeit nicht geben – daher brauche sich das Bundesheer auf einen solchen Verteidigungsfall auch nicht vorzubereiten. Auch einen systemischen Terrorismus, der auf einen Bürgerkrieg und letztlich auf einen Staatszerfall abzielt, braucht man hierzulande nicht zu fürchten. Das ist die Grundüberlegung, mit der das Kabinett von Verteidigungsministerin Klaudia Tanner (ÖVP) die größte Reorganisation in der Geschichte der österreichischen Landesverteidigung einleitet.

Das Bundesheer bekommt nicht die Mittel, die die Militärs jahrelang gefordert haben – stattdessen werden die Aufgaben des Heeres so zusammengestrichen, dass sie mit dem beschränkten Budget gerade noch erfüllt werden können.
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In dieser Woche werden die höchsten Offiziere des Landes über das Konzept unter dem Arbeitstitel "Unser Heer" informiert. Sie werden in scharfem Kontrast zu den Überlegungen von Tanners Amtsvorgänger Thomas Starlinger darüber informiert, dass sich "Unser Heer" künftig darauf zu beschränken hat, Assistenzen zu leisten und die Funktionsfähigkeit der Republik in Ausnahmesituationen zu gewährleisten.

Starlinger hat im Vorjahr vorgerechnet, dass das Bundesheer in diesem Jahr 17 Milliarden Euro an zusätzlichen Budgetmitteln brauchen wird, um seine Aufgaben zu erfüllen. Tanner dagegen streicht Aufgaben und fährt ein Sparprogramm: In den nächsten Jahren erreichen relativ viele Kadersoldaten das Pensionsalter – wenn man einen Teil der dadurch frei werdenden Posten nicht nachbesetzt, dürften die Personalkosten deutlich sinken. Das wiederum ist nur möglich, wenn man die Strukturen strafft.

Das Bundesheer soll mit weniger Soldaten und weniger Waffen auskommen. Zudem soll sich der Fokus von Landesverteidigung auf Assistenzeinsätze und der Abwehr von Cyber-Angriffen sowie Hilfe bei Naturkatastrophen verlegen.


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Die Vorgaben, die im Programm der Verteidigungsministerin gemacht werden, sehen vor, dass zwei Führungsebenen wegfallen. Die Führung der Streitkräfte soll durch das Ministerium direkt erfolgen – in der erst aus dem Vorjahr stammenden Heeresgliederung gibt es das Kommando Streitkräfte (mit Standorten in Salzburg und Graz) und das erst 2019 geschaffene Kommando Streitkräftebasis für alle Logistikaufgaben und die Cybersicherheit in Wien; beide sollen direkt ins Ministerium integriert werden. Die bisherige Brigadestruktur wird aufgegeben, wodurch auch bei der Truppe eine Führungsebene wegfällt: Die einzelnen Bataillone werden künftig direkt dem jeweiligen Militärkommando unterstellt.

Fähigkeiten der Truppe werden reduziert

Als Grundprinzip gilt, dass die einzelnen Garnisonsstandorte erhalten werden sollen: Wo derzeit Truppen stationiert sind, sollen sie auch bleiben. Allerdings nicht immer mit denselben Aufgaben. Denn unter Berufung auf das Regierungsprogramm werden die Fähigkeiten der Truppe heruntergeschraubt. Das heißt:

· Schwere Waffensysteme – Kampfpanzer und Artillerie – sollen weiter reduziert werden. Einige Panzer werden zu Ausbildungszwecken erhalten und sollten allenfalls im Inland eingesetzt werden, etwa wenn sich ein Terrorkommando irgendwo verschanzen sollte.

· Aufgewertet und auch personell besser ausgestattet werden soll die Cyber-Defence, also die Verteidigung der IT-Infrastruktur.

· Die ABC-Abwehr – zum Schutz bei atomaren, biotoxischen und chemieverursachten Katastrophen – soll weiter ausgebaut werden, ebenso die Pioniertruppe. Diese ist vor allem bei Naturkatastrophen gefordert, und sie genießt gemäß einer aktuellen Demox-Studie höchste Anerkennung in der Bevölkerung: "In Bezug auf die Aufgaben des österreichischen Bundesheeres (ÖBH) beurteilen rund drei Viertel (77 Prozent) der Befragten den Katastrophenschutz als ‚sehr wichtig‘ und weitere 16 Prozent als ‚eher wichtig‘. Während Assistenzeinsätze zur Aufrechterhaltung der Sicherheit im Inneren (44 Prozent) und die militärische Landesverteidigung (41 Prozent) von gut vier von zehn Befragten als ‚sehr wichtig‘ gesehen werden, trifft dies auf Auslandseinsätze im Rahmen internationaler Missionen nur in deutlich geringerem Umfang (18 Prozent) zu."

· Die Masse der Truppe soll aber auf rein infanteristischen Einsatz umgestellt werden. Und dabei soll dem Milizsystem – wie von der Verfassung gefordert – Rechnung getragen werden. Allerdings setzt die Ministerin dabei darauf, dass die nebenberuflich in der Miliz beorderten Soldaten sich freiwillig melden – durch Einsparungen bei den Berufssoldaten würde Geld frei, um den Milizsoldaten attraktive Prämien zahlen zu können.

Nationaler Sicherheitsrat gefordert

Bei den Wehrsprechern der anderen Parteien stoßen die Pläne im Kabinett von Tanner auf heftige Kritik: Robert Laimer von der SPÖ vermisst "sicherheitspolitische Substanz" – ohne ein Konzept für eine Landesverteidigung stelle sich die Frage, wie verfassungskonform die Vorhaben der Ministerin seien. Deswegen hält er ihre Pläne für "einen Fall für den Nationalen Sicherheitsrat". Die SPÖ stehe "zu hundert Prozent zur Neutralität", und allein schon deswegen brauche es einen entsprechenden Aufgabenbereich sowie genug Ausstattung für das Bundesheer.

Douglas Hoyos von den Neos spricht sogar von "einer echten Schweinerei": Zwar sei auch er für Strukturreformen, aber Tanner nütze die Corona-Krise, argwöhnt er, um das Heer abzuschaffen und es am Parlament vorbei zu einem Technischen Hilfswerk umzufunktionieren. Auch er ortet einen Verstoß gegen die Verfassung und will den Sicherheitsrat befassen.

Ähnlich FPÖ-Wehrsprecher Reinhard Bösch: All das passiere, weil Tanner "keine Ahnung von den Notwendigkeiten" des Bundesheeres habe, ihr gehe es allein darum, "den Politauftrag" des türkisen Kanzlers zu erfüllen, und der laute: Das Militär sei den Budgetnöten anzupassen – und das, obwohl unweit von Österreich in der Ukraine ein Krieg tobe, in dem Artillerie, Panzer und Maschinengewehre eingesetzt würden. Dazu sei der Terrorismus "weitweit im Vormarsch".

Der Grüne David Stögmüller will Tanners Plänen zunächst "prüfen", aber auch er verweist auf die Neutralität als "hohes Gut", für das es "ein gut ausgestattetes Heer" brauche. (Conrad Seidl, Nina Weißensteiner, 24.6.2020)