Fatma Akay-Türker war seit Jänner 2019 als Frauensprecherin das einzige weibliche Mitglied des Obersten Rates der Islamischen Glaubensgemeinschaft in Österreich (IGGÖ). Nun ist sie zurückgetreten.

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Die Islamische Glaubensgemeinschaft in Österreich (IGGÖ) ist ihre Frauensprecherin los. Fatma Akay-Türker trat am 6. Juni von ihrer Funktion im Obersten Rat der IGGÖ zurück. Aber nicht nur das, die promovierte Philosophin wird auch nicht mehr als Islamlehrerin für die IGGÖ tätig sein. Auf Twitter bedauerte sie: "IGGÖ hat nun keine Frau mehr im Obersten Rat. Denn ich war die einzige Frau."

Im STANDARD-Interview erklärt Akay-Türker ihre Beweggründe und übt scharfe Kritik an der IGGÖ und deren Positionen. Muslimische Frauen bekämen nicht genug Anerkennung und würden auf ihre traditionelle Rolle reduziert. "In der IGGÖ wurde die Abwertung der Frau institutionalisiert." Die IGGÖ würde so tun, als hätten die muslimischen Frauen "nur das Kopftuchproblem". Akay-Türker kritisiert die "männerdominierte Theologie", die die Islamische Glaubensgemeinschaft in Österreich vertrete: "Das Koranbild der klassischen Lehre kann die Probleme der Frauen nicht lösen." Der IGGÖ fehle die "Fähigkeit zur kritischen Reflexion der islamischen Theologie". Reformen, die sie anstoßen wollte, waren nicht möglich, "Stillstand bewahren" sei IGGÖ-Programm. Sie, die seit Jänner 2019 die Funktion der IGGÖ-Frauenbeauftragten innehatte, habe bis jetzt nie als Frauensprecherin über Frauen in der Öffentlichkeit sprechen dürfen, sagt Akay-Türker. Jetzt tut sie es.

STANDARD: Sie haben am Samstag via Twitter bekanntgegeben, dass Sie von Ihrer Funktion als Frauenbeauftragte der Islamischen Glaubensgemeinschaft in Österreich (IGGÖ) zurücktreten. Warum? Was war der Grund für diesen Rücktritt?

Akay-Türker: Ich hatte das Angebot im Obersten Rat akzeptiert, um die Interessen der muslimischen Frauen zu vertreten und interne Verhältnisse reformieren zu können, weil muslimische Frauen unter sehr schweren Verhältnissen und einer Zwangstheologie in ihrer Entfaltung gehindert werden. Nach kurzer Zeit habe ich festgestellt, dass die Interessen der muslimischen Frauen kaum wahrgenommen werden. Ich konnte mit diesem abwertenden Verhalten nicht umgehen, dass die muslimischen Frauen in verschiedenen Moscheen nur im Hintergrund einen Platz haben und keine ausreichende Anerkennung finden. Ich wollte gerade dieses Bild verändern, aber leider hat man bei der Glaubensgemeinschaft dieses traditionelle Bild nicht infrage gestellt, sondern institutionalisiert.

STANDARD: Sie waren die einzige Frau im Obersten Rat der IGGÖ – der ist jetzt wieder rein männlich besetzt. Wurden Sie als Frau hinausgemobbt? Fühlen Sie sich diskriminiert?

Akay-Türker: Ich wurde nicht gemobbt, da ich die einzige Frau im Obersten Rat war. Das eigentliche Problem bestand darin, dass man die Belange der Frauen in Österreich nicht ernst genommen hat. Sie glauben, dass die muslimischen Frauen in Österreich nur das Kopftuchproblem haben, sonst nichts.

STANDARD: Welches Frauenbild vertritt die IGGÖ beziehungsweise der Oberste Rat oder die Männer, die darin sitzen?

Akay-Türker: Die IGGÖ vertritt ein traditionelles Bild der traditionell islamischen Theologie, die wir unbedingt hinterfragen sollten, weil dieses Bild nicht der Botschaft des Korans entspricht.

STANDARD: Widerspricht es Ihrem Frauenbild? Wie sieht Ihr Frauenbild, Ihre Vorstellung eines muslimischen Frauenbildes oder Frauenlebens aus?

Akay-Türker: Als eine ausgebildete intellektuelle muslimische Frau und sowohl nach meinen langjährigen Recherchen über den Koran als auch aus den Kenntnissen aus dem islamisch-theologischen Studium kann ich sagen, dass aus dem Koran absolut keine Benachteiligung oder Hindernisse für Frauen abzuleiten sind. Man hat leider eine männerdominierte Theologie entwickelt, die weder dem Koran noch dem gesunden Menschenverstand entspricht. Der IGGÖ fehlt aber leider die Fähigkeit zur kritischen Reflexion der islamischen Theologie. Wenn wir in Richtung der islamischen Reformtheologie keine Akzente setzen können, wird den muslimischen Frauen nicht gelingen, ihrer Stellung in der klassischen Theologie zu hinterfragen.

STANDARD: Gab es inhaltliche Kollisionen zwischen Ihren Positionen als Frauensprecherin der IGGÖ und dem Präsidenten der IGGÖ oder den Herren im Obersten Rat? Wenn ja, in welchen Bereichen?

Akay-Türker: Ja, ich war der Meinung, dass wir den Koran von von Männern bestimmten Interpretationen befreien müssen. Jedes Mal wurde ich gewarnt, dass dies unter der Zuständigkeit des Beratungsrates liegt. Aber im Beratungsrat sind auch nur zwei Frauen unter den 20 Männern.

STANDARD: Sie sind gleichzeitg auch als Islamlehrerin an einem Gymnasium zurückgetreten. Warum das?

Akay-Türker: Wenn ich weiterhin als Religionslehrerin tätig bleibe, darf ich nicht in Freiheit reden, die Verhältnisse nicht hinterfragen. Sehr viele Kolleginnen und Kollegen leiden darunter, dass ihre kritischen Haltungen keine Anerkennung finden. Ich wollte nicht Teil dieser schweigenden Mehrheit bleiben.

STANDARD: Gab es Vorgaben oder Richtlinien der IGGÖ oder des Schulamtes der IGGÖ, die Sie dazu veranlassten, auch Ihren "Zivilberuf" als Islamlehrerin aufzugeben?

Akay-Türker: Nein, das war meine freie Entscheidung, denn meine Freiheit ist mir wichtiger, als unter dem Druck der IGGÖ einen Beruf auszuüben.

STANDARD: Die Leiterin des Schulamtes der IGGÖ, Carla Amina Baghajati, war Ihre Vorgängerin als Frauenbeauftragte der IGGÖ, sie hat diese Funktion erst im Jänner 2019 an Sie übergeben – stehen Sie für eine andere islamische Frauenpolitik als Frau Baghajati?

Akay-Türker: Leider muss man auch die Arbeit der bisherigen Frauenbeauftragten kritisch hinterfragen, weil sie bis jetzt keine Strukturen aufgebaut haben. Was wir in der Öffentlichkeit wahrnehmen, entspricht nicht der Wirklichkeit unter den inneren Verhältnissen. Die IGGÖ hat die Abwertung der Frauen institutionalisiert.

STANDARD: Was ist Ihnen als islamische Frauenpolitikerin oder Religionsvertreterin wichtig? Für welches Frauenbild kämpfen Sie?

Akay-Türker: Für mich sind die Demokratie, Freiheit, Hinterfragung der festgefahrenen theologischen Strukturen und Gleichbehandlung der Menschen von großer Bedeutung. In einer von Männern dominierten Welt kämpfe ich für das Mitspracherecht und Gleichberechtigung der Frauen, gegen alle Art der Diskriminierung und Sexualisierung der Frauen.

STANDARD: Hatten Sie genug Unterstützung von IGGÖ-Präsident Ümit Vural, oder waren Sie Einzelkämpferin? Oder würden Sie sogar Gegenspielerinnen und Gegenspieler benennen?

Akay-Türker: Ich war Einzelkämpferin. In der IGGÖ geht es nicht darum, etwas zu erneuern, sondern darum, nur den Stillstand zu bewahren.

STANDARD: Gibt es Positionen, die Sie vertreten haben, die aber in der IGGÖ als umstritten gegolten haben?

Akay-Türker: Ich sagte, dass die Stellen im Koran in Bezug auf Frauen neu gedeutet werden müssen. Dies hatte keine Akzeptanz bei den Männern. Das Koranbild der klassischen Lehre kann die Probleme der Frauen nicht lösen.

STANDARD: Was hätten Sie als islamische Frauenbeauftragte gern umgesetzt, konnten es aber nicht umsetzen – weil die männlich dominierte IGGÖ dagegen war?

Akay-Türker: Ich wollte die Vertretung der Frauen institutionalisieren und eine bundesweite Partizipation muslimischer Frauen ermöglichen. Ich wollte den Anteil der Frauen in den Leitungen stärken, dass die Frauen nicht nur Küchenarbeit der Moscheen erledigen. Mein Wunsch war auch, in Zusammenarbeit mit Theologinnen, Pädagoginnen, Islamlehrerinnen, Juristinnen, Soziologinnen, Studentinnen und Frauen aus dem Gesundheitswesen den Koran von der Männerherrschaft zu befreien und diese Ideen zu veröffentlichen. Das entsprach leider nicht den Erwartungen der IGGÖ. Bis jetzt durfte ich nicht als Frauensprecherin über die Frauen in der Öffentlichkeit sprechen. Im März bat ich den Obersten Rat, endlich die Aufgaben der Frauenbeauftragten deutlich zu definieren, damit ich weiß, was ich zu tun habe. Auf diese Aufforderung wurde nicht einmal reagiert, das bewegte mich auch zu diesem Rücktritt.

STANDARD: Wie würden Sie Ihre Position als muslimische Frau, als islamische Lehrerin, als Muslimin in Österreich definieren? Wofür stehen Sie aus religiöser, aber auch gesellschaftspolitischer Sicht?

Akay-Türker: Ich möchte, dass Belange der Frauen in den Gemeinden ernst genommen und Frauen als gleichwertige Mitglieder der Gesellschaft beachtet werden. Denn ich habe ein Motto: Gott hat Menschen erschaffen und spricht die Menschen nicht nach Geschlecht, sondern nach ihrer Persönlichkeit an.

STANDARD: Sind Sie liberaler als die IGGÖ-Offiziellen?

Akay-Türker: Ich will mich nicht politisch einordnen lassen. Es geht mir um die Frauenrechte und Geschlechtergerechtigkeit. Wenn sie jedoch mit liberal die Offenheit meinen, dann bin ich ein liberaler Mensch.

STANDARD: Haben Sie eine Abschiedsbotschaft an die IGGÖ? Was soll Ihr "Erbe" in der IGGÖ, im Obersten Rat sein? Gibt es eine Grundsatzkritik an der IGGÖ von Ihnen?

Akay-Türker: Religion ist nicht nur Männersache! Die Frauen haben genauso Recht auf würdevolle, faire und anständige Behandlung. Wenn die Frauen ihre von Gott gegebenen Rechte verlangen, werden sie sofort als Feministin tituliert, herabwürdigt und attackiert. Es reicht! Ich möchte nicht mehr, dass die Frauen eingeschüchtert werden. Denn wenn es so weitergeht, wenn wir unsere Strukturen nicht hinterfragen, haben wir keine Chance auf Zukunft, da die Frauen, Mädchen und Jugendlichen sich vom Islam immer mehr entfernen.

STANDARD: Sind Sie mit der Politik der IGGÖ insgesamt zufrieden, oder gibt es Dinge oder Positionen, die Sie ganz anders angehen würden?

Akay-Türker: In der IGGÖ wünsche ich mir mehr interne Kritik und Unterstützung der Meinungsvielfalt – vor allem von Frauen. Wenn man die IGGÖ retten will, sollte ein innerer Diskurs ermöglicht werden, wo nicht nur Vereinsleute, sondern alle Muslime involviert sind. Die Frauenquote sollte sowohl im Obersten Rat als auch im Schurarat der IGGÖ erhöht werden. Auch das habe ich angedeutet, es wurde aber nicht berücksichtigt. (Lisa Nimmervoll, 9.6.2020)