Nein, gut hat Peter Huber da nicht ausgesehen. Glücklich auch nicht. Und wie ein Sieger? Keine Spur. Als Peter Huber mir auf der Strandpromenade von Calella entgegenkam, war er ein Häuflein Elend. Niedergeschlagen, mutlos und verzweifelt sah er aus. Und auch drein. Er wusste das. Schlimmer noch: Peter Huber wusste, dass es nicht vorbei war. Noch lange nicht.

Es war der 6. Oktober des Vorjahres. Und Huber war am Ende der ersten von drei Laufrunden beim Ironman in Barcelona.

Foto: thomas rottenberg

Hinter dem Oberösterreicher lagen an diesem Tag bereits 3,8 Kilometer im Wasser, 180 Kilometer auf dem Rad und zehn, vielleicht elf Kilometer auf der Laufstrecke. So weit kommt – auch wenn hier an diesem Tag fast 4.000 Menschen unterwegs waren – kaum jemand. Aber stolz oder glücklich war Huber trotzdem nicht: Da lagen noch 32 k vor ihm. Nicht nur vor seinen müden Beinen, sondern dort, wo es noch mehr wehtut: im Kopf. Vor dem geistigen Auge.

Ich kenne dieses Gefühl. Denn ich war auch schon dort, wo Peter an diesem Tag, in diesem Moment war: am Ende. Dieser Moment, dieser Ort, ist das Gegenteil von unschlagbar. Das Gegenteil von "you want – you can – you will". Das Gegenteil eines Sieges, eines "Siegermomentes". Das hier, das ist "besiegt".

Oder?

Foto: thomas rottenberg

Nein. Ist es nicht. Denn Peter Huber kam durch. Kam an. Hörte das, was an diesem Abend zwar auch tausende andere hörten, was aber diesen Augenblick zu seinem Augenblick machte. Sein Name, seine Ziellinie. Sein Siegermoment. "Peter Huber, Austria – You are an Ironman."

Und auch wenn das offizielle Zielfoto, dieser Wimpernschlag, wenn man plötzlich wieder lachen und strahlen kann, das ist, was später am öftesten hergezeigt wird, zählen in Wirklichkeit die Bilder davor viel mehr: der Weg. Das Nichtaufgeben, wenn alles "Lass es!" schreit. Die Mühe der schier endlosen Ebene. Der Kraftakt von Kopf und Willen. Eben das "You want – you can – you will".

Wenn man den Zielbogen sieht, das Tosen der Zuschauer hört, die Elektrizität in der Luft spürt, sind die letzten paar Meter leicht. Aber vorher kommt der tiefste Punkt. Das schwarze Loch. Hier nicht aufzugeben ist das, was zählt. Ist das, wovon Huber immer spricht: der wahre Siegermoment.

Foto: privat

Peter Huber hat darüber ein Buch geschrieben. Über das Loch – und wie man es umgeht. Oder wie man damit umgeht. Wie man sich selbst schon vorher am Schopf packt – und sich eben nicht bloß wieder aus Loch oder Sumpf zieht, sondern möglichst gar nicht ins Straucheln kommt: "Potenzialentfaltung und Burnout-Prävention im Vertrieb" heißt es reichlich sperrig – und ist soeben im Springer-Verlag erschienen.

Das Buch ist kein "Sportbuch" im eigentlichen Sinn. Auch wenn darin auch Sportler zu Wort kommen (etwa Race-Across-America-Sieger Christoph Strasser) und es ständig um Sport geht. Dennoch geht es hier nicht um Trainingslehre, Ernährung oder die Autobiografie eines Extremsportlers, sondern um eine Frage. Um die Umsetzbarkeit der Metapher Sport in den Alltag.

Foto: Springer Verlag

Peter Huber ist 45 Jahre alt. Er ist kein Profisportler, sondern Übersetzer. Er verwendet Sport – bei ihm eben Ausdauersport, Triathlon – als Gleichnis. Als Vergleich – oder als Frage: Was machen Leistungssportler und -sportlerinnen richtig – und so viele Menschen im Arbeitsalltag falsch? Wieso funktioniert Training vor allem über Motivation, beinharte, aber doch aufs Positive fokussierte Analyse durch Coachs – der Job aber oft über Druck und Angst und das ganz bewusste Spiel mit Versagensängsten durch Vorgesetzte? Kurz: Wieso bewundern wir, wie sich Athletinnen und Athleten von den Mühen der Ebene, von Durststrecken und Rückschlägen nicht kleinkriegen lassen – und machen im Job dann genau das Gegenteil?

Und Huber fragt weiter: Ist es möglich, dieses verschwitzte, oft zerknitterte Sportdenken in die gebügelte, geglättete und gestärkte White-Collar-Welt zu transferieren?

Foto: Ingrid Amon

Dass Peter Huber sich da auf das Universum der Verkäufer und Vertriebsmenschen konzentriert, ist kein Zufall. Schließlich kommt er genau da her. Sein CV sieht aus wie strahlende Ironman-Ziel- und Medaillenfotos: Alles wirkt schwerelos, leicht, spielerisch. Was Huber sich vornahm, gelang. Was er anpackte, funktionierte. Mit einem Lächeln – ohne Knitterstellen oder Schweißflecken auf dem Hemd.

Nur stimmte das nicht. "Überfordert fühlte ich mich vom ersten Tag an", sagt er. Heute. Aber weil da über 20 Jahre nie jemand war, den interessierte, was hinter der Siegerfassade des immer perfekt "liefernden" High-Potentials passierte, zerbrach er. Schlitterte in Burnout und Depression. Doch die Fassade war makellos. Hielt lange. Bis das Kartenhaus in sich zusammenbrach.

Foto: Ingrid Amon

Die "Rettung", erzählt Huber, war – vergleichsweise – banal: ein Kraulkurs. "Meine Zwillingsschwester Martina hat mir im Mai 2015 (dieses Bild ist allerdings aus 2019) von einem Kurs erzählt, den sie gerade machte, und mich überredet, mitzukommen." Huber war ein Couchpotato. Hatte von Schwimmen keinen Tau: Auf alten Videos sieht man einen Menschen, der trotz intensiver Arm- und Beinbewegungen fast stillsteht. Wie das funktioniert, kann niemand mehr sagen, der irgendwann "richtig" schwimmen lernte: Es geht fast allen so.

Foto: privat

Dass er drei Jahre später, 2018, den Ironman in Klagenfurt und 2019 (hier im Bild) in Barcelona angehen würde, hätte Peter Huber damals nie für möglich gehalten. Aber bereits die erste Stunde des Schwimmkurses, sagt er, änderte sein Leben von Grund auf: "Ich musste sprichwörtlich ins kalte Wasser springen. Doch schon nach den ersten Zügen spürte ich, was es bedeutet, ganz bei mir zu sein. Vom Alltag abzutauchen, sich mit dem eigenen Ich auseinanderzusetzen, sich Schwächen einzugestehen." Es ging nicht nur ums Schwimmen. Sondern darum, "im Erwachsenenalter wieder etwas von Grund auf zu erlernen".

Einen Monat später kaufte Peter Huber ein Rennrad.

Foto: thomas rottenberg

Der Clou, das Erfolgsgeheimnis, sagt Huber, sei aber eben das, was im betreuten Sport selbstverständlich ist und im Berufsleben so fehlt: die fördernde, motivierende und aufbauende Betreuung. Das Nichtruntermachen. Der ganzheitliche Blick, der auch soziales, momentanes wie langfristiges Drumherum einbezieht. Das Zulassen und Akzeptieren von schlechten Tagen und Lernen aus Durchhängern. Bei ihm, erzählt Peter Huber, waren es Robert Fritz (rechts) und Michael Koller von der Wiener Sportordination, die ihm sportlich, medizinisch und mental aus dem Burnout-Loch heraushalfen.

Foto: ©NBD Managment GMBH

Die beiden waren es auch, die Huber dann auf die Idee brachten, nicht nur sein Buch zu schreiben, sondern gemeinsam auch eine Art Servicecenter aufzubauen: das "Leistungszentrum für Potenzialentfaltung und Burnout-Prävention".

Auch das stellte Huber vorige Woche vor, als er sein Buch und sein "Siegerprinzip" präsentierte: "Mir begegnen viele Menschen, die an der Grenze zum Burnout stehen, sich der Hilflosigkeit ausgeliefert fühlen oder innerlich gekündigt haben. Viele Ansätze aus dem Sport sind auch in der beruflichen Entwicklung anwendbar und führen zu mehr Erfolg – aber auch weniger Stress," erklärt er dazu.

Foto: thomas rottenberg

Dass das recht banal klingt, weiß Peter Huber natürlich selbst.

Nur: Wenn es eh jeder weiß, wenn es eh so einfach ist – wieso lebt es dann kaum jemand?

(Anmerkung: Peter Huber war einer jener Ironman-Starter- und -Starterinnen, die ich im Vorjahr nach Barcelona begleitet habe.)

(Thomas Rottenberg, 3.6.2020)

Peter Huber: "Potenzialentfaltung und Burnout-Prävention im Vertrieb"; Wien, 2020, Springer-Gabler-Verlag, 269 Seiten, 35,83 Euro

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Foto: thomas rottenberg