Statt Gärtner wurde er Gastronom. Mit 53 dachte er, das Gröbste hinter sich zu haben, dann kam Corona. Berndt Querfeld hält Kurzarbeit für die teuerste Lösung für seine Branche und erwartet ein Sterben der österreichischen Kaffee- und Gasthäuser. Er selbst habe vom Staat bisher keinen Euro bekommen.

Berndt Querfeld: "In die U-Bahn drängen sich die Leute. Airlines fliegen nur, wenn sie alle Sitze belegen dürfen. Veranstaltungen mit 100 Leuten werden möglich. Nur uns räumt man die Lokale aus."
Foto: Regine Hendrich

STANDARD: Die Corona-Krise hat die Gastronomie zwei Monate lang lahmgelegt. Was haben die Wiener am meisten vermisst? Nudeln, Reis und Erdäpfel wohl eher nicht.

Querfeld: Backhendln, Würstel mit Gulaschsaft. Die ersten Gäste aßen überproportional Eier Benedict. Das macht man sich nicht daheim.

STANDARD: Sie schlossen im März zehn Cafés und Restaurants. Wie legen Wirte eine Vollbremsung hin?

Querfeld: Unter Tränen. Wir haben am Freitag, dem 13., damit gerechnet, dass der Kanzler die Gastronomie sperrt. Dann hieß es: Dienstag, 15 Uhr, ist Schluss. In den Tagen vor dem Shutdown lief das Geschäft gar nicht schlecht. Aber es fühlte sich an wie die letzten Stunden auf der Titanic. Saisonbetriebe wissen, wie man Betriebe ein- und ausschaltet. Ich finde nicht einmal den Schalter. Das Landtmann ist wie ein Bahnhof, der niemals zusperrt und nachts gereinigt wird. Wir haben Licht im Keller, bis heute weiß kein Mensch, wo man das abdreht. Es brennt immer. Das ewige Licht. Das Essen haben wir verschenkt. Unsere Reinigungskräfte gingen mit 47 Liter Obers und 50 Kilo Joghurt heim.

STANDARD: Haben Sie Mitarbeiter gekündigt?

Querfeld: Viele hofften, dass nach Ostern alles gut wird. Uns war jedoch klar, dass es Monate dauern kann. Meine Leute unterschrieben erst Aussetzungsverträge mit Wiedereinstellungsgarantie. Mit der Kurzarbeit fanden wir dann eine bessere soziale Lösung. Für Unternehmer aber war sie die finanziell schlechteste.

STANDARD: Weil es für Gastronomen wochenlang keine Arbeit gab?

Querfeld: Sie ist eine versteckte Arbeitslosigkeit, ein Arbeitnehmerprogramm, an dem sich Unternehmer erheblich beteiligen. Was soll sie geschlossenen Betrieben bringen? Seit dem Neustart arbeiten meine Leute ein Fünftel bis ein Drittel ihres bisherigen Pensums, denn das Geschäft läuft wesentlich schlechter als erhofft. 350 Mitarbeiter bedeuten eine Million Euro Personalkosten im Monat. Geld für die Kurzarbeit fließt erst später. Wir haben einen Kredit aufgenommen, um sie zu bezahlen. Dafür bürgen wir selbst, nicht der Staat. Bis heute gibt es keine Regel, wie man sie abrechnet. Wir steckten zehn Tage Arbeit in fünf Einreichungen, um dann alle Zettel zu zerreißen, weil sie das Papier nicht wert sind.

Der Gastronomiegutschein für die Wiener in Höhe von 50 Euro pro Haushalt gilt auch für Süßes. Den Wirten bleiben davon als Gewinn 2,5 Euro.
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STANDARD: Jedem soll geholfen werden, koste es, was es wolle, versprach die Politik.

Querfeld: Wir haben keinen Euro bekommen. Die Pakete sind tolle Luftballons, vielleicht gut gemeint, aber zerplatzt. Sich verschulden, Steuern stunden – ist das ein Strukturprogramm? Ein Hohn in Zeiten wie diesen sind die Abschaffung der Sektsteuer und die Absetzbarkeit von Geschäftsessen. Alle Getränke von 20 auf zehn Prozent Mehrwertsteuer zu reduzieren: Das hätte jeder großartig gefunden. Aber hier war die EU Spielverderber. Jetzt gilt die Senkung nur für Alkoholfreies. Das ist gut für Kaffeesieder, aber katastrophal für Bierwirte. Das jüngste Gastronomiepaket bringt jedem Unternehmen für die nächsten sieben Monate stolze 7000 Euro. Meine schlechteste Kraft bekommt mehr.

STANDARD: Den Wienern winken Gastrogutscheine. Helfen Ihnen diese?

Querfeld: Wenn alle bei uns eingelöst werden. Es bringt Leute in die Gastronomie. Essen werden aber die Wiener, nicht die Wirte. Von den 50 Euro der Stadt für jeden Haushalt bleiben uns 2,5 Euro Gewinn. Der Rest ist für das geneigte Wahlvolk. Wäre ich in der Politik, könnte mir das auch einfallen.

Die Kellner lächeln unter den Masken, sagt Berndt Querfeld. Jeder Arbeitstag sei ein gewonnener Tag.
Foto: Christian Schachinger

STANDARD: Sie wollten einst in die Politik. Was hätten Sie in der Krise denn anders gemacht?

Querfeld: Manchmal hat man Glück. Ich möchte jetzt nicht entscheiden müssen. Uns wäre aber allein mit der Wahrheit geholfen. Gibt es keine Kohle, gibt es keine. Aber haltet, was ihr versprecht, und lasst uns nicht im Kreis rennen. Meine besten Freunde glauben, dass von den Milliarden, die fließen, ich zumindest eine in der Tasche habe. Meine Mitarbeiter meinen, dass für die Wirtschaft alles getan wird und nur sie übrigbleiben. Doch ich kenne keinen Unternehmer, der bisher nur annähernd unbürokratisch, rasch oder überhaupt etwas erhalten hätte. Viele lachen, wenn ich ihnen sage. Ich hab wenigstens eine Gartenhütte mit 38 Quadratmetern, wo ich schlafen kann, wenn mein Haus weg ist. Was glauben Sie, was sich da derzeit abspielt und wie lang wir das durchhalten?

STANDARD: Wie lange halten Sie durch?

Querfeld: Ich bin kein Jammerer. Wir haben ein gesundes Unternehmen, mit Top-Bankenrating und hoher Eigenkapitalquote. Trotzdem bin ich mir nicht sicher, ob meine Familie das wirtschaftlich durchsteht. Das Café Museum wieder zuzusperren war kein Aktionismus. 1000 Euro Umsatz am Tag, Mitarbeiter, die herumstehen, und Verpächter, die ihr Geld wollen – das kann man sich nicht lang anschauen. Das Café war am Tag des Neustarts um acht Uhr früh im Fernsehen live auf Sendung, doch der erste Gast kam erst um halb neun. Normalerweise wird um dreiviertel acht angeklopft. Spätestens da hätten wir wissen müssen, dass es in die Hosen geht. 100.000 Euro Betriebsergebnis im Monat zu verlieren ist leicht. Bei zehn Standorten summiert sich das schnell auf drei Millionen. Das Café Hofburg ist wunderschön gelegen. Doch keiner geht hin. Keine Mittagsmenüs, kein Aperol nach der Arbeit, 123 Euro Umsatz die Woche. Sie können das Bergrestaurant eines Skigebiets aufsperren und gratis Candle-Light-Dinner veranstalten. Ohne Schnee haben Sie ein Problem, auch wenn die Seilbahn fährt.

STANDARD: Wird Österreich zu einem Friedhof der Wirtshäuser?

Querfeld: Dessen bin ich mir gewiss. Man glaubt, von der Intensiv- in die Bettenstation verlegt worden zu sein, und kommt drauf, ab der Phase des Aufsperrens kränker zu sein als je zuvor. Ich will nicht wissen, wie es Betrieben geht, die nicht kreditwürdig sind. Die Gastronomie hat ein Betriebsergebnis zwischen drei und sieben Prozent im Jahr. 40 Prozent dessen, was Sie konsumieren, sind Personalkosten. Ein Kellner, der den Kaffee selber kocht und das Häferl abwäscht, lastet sich aus. Haben Kellner, Abwäscher und Kaffeekoch aber längere Stehzeiten, wird es eng.

STANDARD: Wie verlaufen die Gespräche mit den Hauseigentümern?

Querfeld: Wir führen sehr interessante Diskussionen. War das Landtmann etwa je geschlossen? Nein, es gab ein Betretungsverbot. Das ist rechtlich eine andere Geschichte. Manche meinen, man hätte derweil ja ein Lieferservice und Catering betreiben können. Wir sollten uns endlich wieder damit beschäftigen, wie wir unser Geschäft wieder in Gang bringen könnten. Stattdessen schlagen wir uns mit Anwälten herum. So viel verlorene Energie.

Das Betreten eines Lokals ist nur mit Maske erlaubt. Auf die Toilette gehen und das Lokal verlassen darf man ohne.
Foto: Christian Schachinger

STANDARD: Was halten Sie von den Corona-Regeln für Gäste?

Querfeld: Das Betreten eines Lokals ist nur mit Maske erlaubt. Aufs Klo gehen und das Lokal verlassen darf man ohne. Was ist das für eine Verordnung? Das wäre die Selbstheilungskraft der Melange. In die U-Bahn dürfen sich die Leute in der Rushhour drängen, weil den Verkehrsbetrieben ein höherer Takt unzumutbar ist. Airlines fliegen nur, wenn sie alle Sitze belegen dürfen. Ab Juni sind Veranstaltungen mit 100 Leuten möglich. Nur uns räumt man die Lokale aus. Das passt nicht zusammen. Vielleicht waren viele Maßnahmen medizinisch gesehen ja richtig. Die zehntausenden Toten habe ich jedoch nicht gesehen. Mein Eindruck ist, die Politik weiß nun nicht, wie sie da aufrechten Hauptes wieder rauskommt. Also schwingt sie die Keule der zweiten Infektionswelle.

STANDARD: Wie geht es Ihren maskierten Kellnern?

Querfeld: Die Krise trifft Jobs im Service mit geringem Grundeinkommen und hohem Trinkgeldanteil besonders hart. Jeder Arbeitstag ist ein gewonnener Tag. Daher lächeln sie unter den Masken. Früher wäre es unter der Würde eines Landtmann-Mitarbeiters gewesen, in unserem Bootshaus zu arbeiten. Aber dort sitzen jetzt unsere Gäste, dort machen wir Geschäft. Und ich dachte, wir verlieren Mitarbeiter in der Kurzarbeit. Von 349 kamen jedoch 348 zu uns zurück.

STANDARD: Gibt es als Solidarität zur Gastronomie einen Trend zum Zweit- und Drittkaffee?

Querfeld: Leitungswasser hatten sie jetzt eh daheim, das brauchen sie von uns nicht mehr. Nein, im Ernst: Es gibt Gäste, die bewusst für uns eine Flasche Champagner trinken. Wer kommt, der konsumiert auch gerne. Es kommen nur leider viel zu wenige.

STANDARD: Hat sich mittlerweile der Sturm im Glas um kostenpflichtiges Leitungswasser gelegt?

Querfeld: Leute, die das aufregt, wird es immer aufregen. Vielen ist aber bewusst, dass Konsumation nicht endlos gratis sein kann. Obwohl, das kann sich bei der nächsten Hitzewelle wieder ändern.

STANDARD: Die FPÖ hat die Aufhebung des Rauchverbots in der Gastronomie gefordert – als ein Rezept gegen die Krise. Ist das vernünftig?

Querfeld: Das ist gestrig.

Berndt Querfeld: "Viele lachen, wenn ich ihnen sage: Ich hab wenigstens eine Gartenhütte mit 38 Quadratmetern, wo ich schlafen kann, wenn mein Haus weg ist. Was glauben Sie, wie lang wir das durchhalten?"
Foto: Regine Hendrich

STANDARD: Wird mehr konsumiert, seit weniger geraucht wird?

Querfeld: Ja, der Speisenanteil ist gestiegen.

STANDARD: Auch rund um die Sonntagsöffnung im Handel gab es neue Vorstöße. Hätten die Wirte was davon?

Querfeld: Ich bin ein Verfechter der Sonntagsöffnung. Ihre Kehrseite: Wer einkauft, konsumiert nicht. Wer sonntags in Parndorf shoppt, vergnügt sich nicht im Prater. Zudem ist es wahrscheinlich, dass man sonntags seine Familie halbwegs versammelt. Das hat seinen Wert. Ich würde gern allen Touristen dieser Welt ihr Geld abnehmen. Wer nach Wien kommt, soll sonntags einkaufen dürfen. Warum aber ein Möbelhaus am Stadtrand aufsperren sollte, verstehe ich nicht. Hier Grenzen zu ziehen – damit tut sich Kitzbühel halt leichter als Wien.

STANDARD: In welchen Kaffeehäusern verbrachten Sie Ihre Jugend?

Querfeld: Im Cafe Raimann in der Schönbrunner Straße und im Dommayer. Eine schräge Zeit. Ich wurde mit den Freundinnen meiner älteren Schwestern groß. Ab und zu fiel ein Stück Liebe ab.

STANDARD: Sie führen Ihre Betriebe heute mit Gattin, Mutter, Schwester und Nichte. Wer hat das Sagen?

Querfeld: Wir sind ein frauendominiertes Unternehmen, und ich hänge an der langen Leine. Ich wurde einstimmig zum Sprecher gewählt und habe die Rolle des Zukunftsministers inne. Eine gute Freundin hat einmal gesagt: der Berndt und seine Weiber. Sie hat recht. Ich bin ein Alphatier, neben mir haben nur wenige Männer Platz. Ich brauche Arbeitsbienen um mich und ein sparsames Korrektiv. Wir waren immer sehr großzügig. Aber seit der Krise segnen wir jede Rechnung ab, die 100 Euro übersteigt. Es gibt keinen Spielraum mehr.

STANDARD: Ihre Mutter ist der Weisenrat?

Querfeld: Meine Mutter wird heuer 80. Sie war bis Corona voll mit dabei, nur jetzt nimmt sie sich als Risikogruppe ein wenig heraus. Mein Vater war erfolgreicher Elektrohändler. Zum Höhepunkt seines Strebens als sehr wohlhabender Selfmade-Man legte er einen Ausgleich hin und hat alles verloren. Er begann von vorne, im Landtmann. Meine Mutter hat uns vier Kinder großgezogen, war in der Schank, der Küche, hat die Abrechnungen gemacht, hart gearbeitet – und bis heute den Safeschlüssel nicht mehr losgelassen. Mein Vater hat sich derweil überlegt, wie Gäste hereinkommen. Unser Unternehmen ist bis heute völlig unstrategisch und zufällig gewachsen. Wir führen es aus Leidenschaft, um neue Projekte zu verwirklichen und Freude daran zu haben, nicht um Geld damit zu verdienen. Fürs Bootshaus an der Alten Donau etwa, das uns gar nicht gehört, haben wir 1,2 Millionen Euro budgetiert. Ein Pachtbetrieb. Geworden sind es drei Millionen. Wie sich das rechnet? Ganz ehrlich: keine Ahnung.

2023 wird das Landtmann 150 Jahre alt. Berndt Querfeld: "Das will ich als Cafetier mit meiner Mutter gemeinsam feiern, das wird uns gelingen müssen."
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STANDARD: Sie selbst wollten aber eigentlich Gärtner werden ...

Querfeld: Die Gärtnerei ist meine Berufung, meine Seele. Ich stand einst um drei Uhr früh auf und verkaufte drei, vier Mal die Woche Blumen am Großmarkt Inzersdorf. Vormittags ging es auf die Uni, danach ins Landtmann, wo ich das Kassen- und Wareneingangsbuch schrieb. Als ich um eine Datenleitung bei der Post ansuchte, hat mich mein Vater enterbt. Geld verdient habe ich mit Blumen, fertig studiert nicht. Die Uni ging sich zeitlich nicht mehr aus, was mir Jahre der schlaflosen Nächte bereitete. Ab und zu reut mich der fehlende Abschluss noch heute, obwohl: Seit Corona bin ich halberter Jusstudent. Jetzt bin ich 53 und dachte, das Gröbste habe ich hinter mir, es erwarten mich nur noch die schönen Dinge des Lebens. Stattdessen kam die Krise und mit ihr die Zäsur. 2023 wird das Landtmann 150 Jahre alt. Das will ich als Cafetier mit meiner Mutter gemeinsam feiern, das wird uns gelingen müssen. (Verena Kainrath, 30.5.2020)