Ursula von der Leyens Wiederaufbauplan verteilt das Risiko zwischen den EU-Ländern neu – politische Kompromissbereitschaft ist gefordert. Im Gastkommentar erläutern die Wifö-Ökonomen Thomas Leoni und Atanas Pekanov, warum mangels eingeschränktem geldpolitischem Instrumentarium fiskalpolitische Antworten auf die Krise gefragt sind.

Der 750 Milliarden Euro schwere Aufbauplan der Europäischen Kommission soll die fiskalpolitischen Reaktionen auf die Corona-Krise in stark betroffenen Mitgliedsstaaten unterstützen, einem weiteren Anstieg der Ungleichgewichte in der EU entgegenwirken und auch das Fundament der Währungsunion stärken. Wird das vielversprechende Wirtschaftsprogramm "Next Generation EU" seinem ambitionierten Namen gerecht?

Kommissionspräsidentin von der Leyen spricht von "Europas Moment": 750 Milliarden Euro in Form von Zuschüssen und Krediten sollen der Wirtschaft in den EU-Ländern wieder auf die Sprünge helfen.
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Die Covid-19-Krise verschärft die strukturellen Probleme und Ungleichgewichte innerhalb des Euroraums und gefährdet den europäischen Integrationsprozess. Die Politik steht nicht nur vor der Aufgabe, die Wirtschaft aus der Rezession zu führen, sondern soll auch den Zusammenhalt der gemeinsamen Währung sicherstellen. Der Euro befindet sich auf einem fragilen Fundament: Er ist eine "staatenlose" Währung, die nur mit einem geldpolitischen, aber keinem fiskalpolitischen Standbein ausgestattet ist. Zweifel an der Tragfähigkeit dieser minimalistischen Architektur gab es schon vor der Einführung der gemeinsamen Währung. Es wurde klar darauf hingewiesen, dass der Verlust von Wechselkursschwankungen als Instrument der Stabilisierung andere, kompensierende Makroinstrumente – insbesondere eine gemeinsame Fiskalpolitik – erforderlich machen würde.

Schwachstellen des Euro

Diese Einwände wurden aber nicht berücksichtigt, wofür es mehrere Erklärungen gibt. Eine gemeinsame Fiskalpolitik erfordert ein hohes Maß an politischer Kompromissbereitschaft. Zudem wurde Fiskalpolitik als wenig effektiv eingestuft, eine Einschätzung, die im Lichte der neuesten Erkenntnisse, gerade im Kontext einer Währungsunion sowie während Rezessionen, zweifelhaft ist. Es wurde auch angenommen, dass die Unterschiede zwischen den Mitgliedsländern über die Zeit hinweg abnehmen und der Euroraum von sich aus zu einem optimalen Währungsraum werden würde. Heute setzen aber gerade die ungleichen Entwicklungen – die mangelnde Konvergenz der Einkommen und die Divergenz der Konjunkturzyklen – die Währungsunion unter Druck.

Die Finanzkrise offenbarte die Fragilität der gemeinsamen Währung. Nur das Eingreifen der EZB konnte das Auseinanderbrechen des Euro verhindern. Mario Draghis Ausspruch "whatever it takes" beinhaltete auch die Botschaft, dass hinter dem Euro ein starkes, unumkehrbares politisches Projekt steht. Diese Botschaft trug dazu bei, der Staatsschuldenkrise ein Ende zu bereiten. In den darauffolgenden Jahren wurden Schritte gesetzt, um die Schwachstellen im Eurogebäude zu sanieren. Die Reformen blieben jedoch unvollständig, da Mechanismen zur Krisenbewältigung nicht in ausreichendem Maße etabliert waren und die ungleiche wirtschaftliche Entwicklung der Mitgliedsländer nicht verhindert werden konnten

Der Euroraum ist somit schlecht vorbereitet in die Corona-Krise gerutscht. Die EU-Kommission geht von einer "tiefen und ungleichen Rezession" aus. Gerade strauchelnde Volkswirtschaften wie Italien und Griechenland sind besonders hart getroffen. Aufgrund der Unterschiede in Hinblick auf den (nicht) vorhandenen Spielraum für die fiskalpolitische Krisenbekämpfung fallen auch die Gegenmaßnahmen in den einzelnen Ländern unterschiedlich hoch aus. Diese asymmetrischen Auswirkungen haben an den Finanzmärkten bereits für Unruhe gesorgt. Bisher konnte das neue Ankaufsprogramm der EZB die Situation beruhigen. Auch im Lichte des jüngsten Urteils des deutschen Bundesverfassungsgerichts ist aber fraglich, inwiefern die EZB diese Maßnahme weiter ausdehnen könnte.

Fiskalpolitische Antworten

Da das geldpolitische Instrumentarium eingeschränkt ist, scheint die Einführung fiskalpolitischer Antworten auf die Krise unumgänglich. Unabhängig von der konkreten Ausgestaltung sollte der anvisierte Wiederaufbaufonds bestimmte Kriterien erfüllen. Er muss ausreichend groß sein, um eine spürbare Wirkung entfalten zu können, sowie die Einbringung zusätzlicher Mittel vorsehen – also nicht nur einen kleinen Topf an öffentlichen Geldern mit optimistischen Multiplikatorannahmen. Um den hochverschuldeten und von der Krise besonders stark getroffenen Ländern konjunkturpolitisch helfen zu können und sie auch dabei zu unterstützen, langfristig notwendige Reformen durchzuführen, müssen nicht rückzahlbare Zuschüsse und Transfers ebenfalls Teil der Lösung sein. Der Fonds sollte zudem von einem Konsens getragen sein, was mit den Mitteln prioritär finanziert werden soll.

Die Kommission hat wesentliche Bestandteile der deutsch-französischen Initiative aufgegriffen und ein umfassendes Konzept für einen Aufbauplan vorgelegt: Sie nimmt auf den Finanzmärkten Darlehen auf und verteilt die Mittel dann mit einem Fokus auf Zielsetzungen wie Digitalisierung und Umwelt – und erfüllt die angesprochenen Kriterien.

Der Aufbauplan entspricht einer neuen Form von Risikoaufteilung zwischen den EU-Ländern und erfordert gerade auch aus österreichischer Sicht ein hohes Ausmaß an politischer Kompromissbereitschaft. Bei der Bewertung des Kommissionsvorschlags sollte Österreich aber berücksichtigen, dass es als kleines, exportorientiertes Land eng mit den EU-Volkswirtschaften verflochten ist. Ein Zerfall des Euro würde die österreichische Wirtschaft, vom politischen Fallout abgesehen, hart treffen. "Next Generation EU" ist daher eine Chance, die Corona-Krise gemeinsam statt einsam – und damit nachhaltig – zu meistern. (Thomas Leoni, Atanas Pekanov, 29.5.2020)