Ich habe keine Ahnung, wie das bei Ihnen ist. Weil ja jeder Mensch anders gestrickt ist. Aber ich, ich brauche Menschen – und das nicht nur virtuell. Online-Yoga macht mich depressiv. Also richtig depressiv.

Stabi-, Core- und Dehnungsvideos? Vergessen Sie es. Die habe ich schon früher höchstens als Tutorial verwendet – aber jeder Versuch, da live mitzumachen, scheiterte nach 15 Sekunden. Kläglich. Nicht an der Bewegung oder den Abläufen, sondern im Kopf.

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Schon als Kind habe ich mich gefragt, wie viele Menschen wohl tatsächlich bei TV-Skigymnastik oder Ähnlichem mitmachen. Und auch wenn Philipp Jelinek bei "Fit mit Philipp" im Frühstücksfernsehen Traumquoten einfährt, das angeblich tatsächlich mitturnende Publikum Jelineks Worten zufolge "zwischen fünf und 105 Jahre alt ist" und das Format den Lockdown wohl überleben dürfte: Definitely not my piece of Honigkuchen.

Aber wenn es Menschen gibt, bei denen beim Wiederausspielen der Radiogymnastik-Anweisungen der legendären Ilse Buck auf Ö1 mehr als jene Muskeln aktiv sind, die die Mundwinkel nach oben ziehen: Gut! Super! Gratuliere! Aber: Sorry, ich kann das nicht.

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Mit das Gute am Laufen – aber auch am Radfahren oder dem Schwimmen – ist ja, dass das kein Mannschaftssport ist. Dass man es sogar in einer Zeit der verordneten Vereinzelung machen kann. Dass man Einsamkeit da nicht erst künstlich und mit ein paar Verrenkungen und Verbrämungen zur Qualität, zum Asset erklären muss, um nicht an ihr zu ersticken. Weil das Solo nicht nur sportliche, sondern auch meditative Qualitäten hat. Und … Aber was erzähle ich da: All das haben wir in den letzten Wochen ja ohnehin ausführlichst ge- und erlebt.

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Trotzdem: Der Mensch ist ein "zoon politikon", ein – wie meine Lateinprofessorin nicht müde wurde, die aristotelische Definition des Begriffes für uns Puberteln herunterzubrechen – "organisiertes und glückliches Herdentier. Alleine sind wir nur allein – und sonst nix."

Und auch wenn das weit hergeholt klingt: Dass viele Kinder sich mit imaginären Freunden umgeben, dass James Stewart (und nach ihm Legionen von Schauspielern) sich mit seinem Kumpel-Karnickel Harvey durchs Leben schlug, dass Pumuckl, Karlsson vom Dach & Kollegen fast jeden von uns irgendwann begleiten oder begleitet haben, hat – auch – ein bisserl damit zu tun, dass niemand gerne ständig alleine ist. Dass es guttut, Freunde zu haben. Sogar dann, wenn man sie erfinden muss.

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Darum macht es mir auch nichts aus, dass ich jetzt eben mit einem Babyelefanten zwischen mir und meinen Teamkollegen trainieren muss: Die unsichtbaren Dickhäuter haben uns in den letzten Wochen ja ohnehin auf Schritt und Tritt begleitet – und irgendwie habe ich meinen mittlerweile sogar recht liebgewonnen.

Und meiner ist jetzt mindestens so glücklich wie ich, endlich wieder mit Artgenossen Schmäh führen zu können. Dass da ständig Menschen zwischen ihnen herumkoffern, nehmen mein Babyelefant und die meiner Freunde da liebend gerne in Kauf.

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Anders gesagt: Natürlich habe ich gewusst, wie sehr mir das Training in der Gruppe abgegangen ist. Aber wie schlimm es war, all die anderen Spinner (und Spinnerinnen) nicht zu sehen, nicht mit ihnen gemeinsam zu schwitzen, zu fluchen und zu lachen, habe ich erst wirklich gemerkt, als es vergangene Woche dann endlich vorbei war. Als wir endlich wieder den Coach dafür verfluchen konnten, dass er uns zum Einstand gleich mal "15 x 400" auftrug – also 15-mal die Runde auf der Bahn voll: Sterben mit Anlauf eben.

Gibt es etwas Schöneres?

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Es war übrigens der Tag, an dem ich zum ersten Mal im Freien eine Maske aufsetzte. Freiwillig. Nicht wegen eines Virus, über dessen Infektiosität im Freien und in sehr losen Menschengruppen man zumindest diskutieren könnte – sondern wegen der Mücken: Was da an diesem Tag am späten Nachmittag in der Luft unterwegs war, war echt heftig.

Aber das nur nebenbei.

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Die "echten" Auflagen? Jo mei. Hält man halt den Abstand genauer ein. Und wenn man ohnehin mit dem Rad an- und abreist, ist das mit den gesperrten Duschen auch nicht wirklich schlimm. Und wenn es voll wird, etwa weil Eliteathletinnen und -athleten halt auch hin und wieder ein bissi trainieren wollen, sind wir ja schon früher auf die PHA, die Hauptallee, ausgewichen. Zumindest zum Aufwärmen. Etliche Eliteläuferinnen und- läufer im Übrigen oft genug auch: Das ist angesichts der katastrophalen Ressourcen in der heimischen Leichtathletik eine Frage von Respekt gegenüber den anderen – und des Hausverstandes.

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Wobei genau da ja mein Verstehen der Logik dahinter ein bisserl aussetzt: Wieso auf Sportplätzen andere Abstandsregeln gelten als 50 Meter weiter – auf der Hauptallee oder den Wiesen ringsum –, erschließt sich mir nicht. Ebenso wenig wie das (mittlerweile nicht mehr aktuelle) absolute Verbot von exakt den gleichen Bewegungs-, Mobilisierung- oder Konditionsübungen auf Fußballplätzen die auf Sportplätzen mit zwei Meter Abstand erlaubt waren – und auf der Wiese draußen nur einen Meter Abstand brauchen. Plakativ gesagt: Am angsterfüllten Pensionisten, also dem Angehörigen der Risikogruppe, auf der Straße darf ich knapper vorbeilaufen als am 30-jährigen Vereinskollegen im reinen Biotop für Sportler.

Aber ich nehme zur Kenntnis: Das Virus versteht das alles und hält sich dran. Es fällt ja auch in Schanigärten erst ab 23 Uhr über uns her. Dann aber so richtig.

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Egal. Die Freude, sich – zwischen Babyelefanten – wieder die Kante geben zu dürfen, überwiegt. Ganz gewaltig – und nicht nur bei mir: "Wenn ich morgen endlich wieder auf die Bahn darf, werde ich sie küssen", kündigte einer meiner Buddies an. "Euch darf ich zwar nicht mal die Hand geben, aber das, was wirklich zählt, ist erlaubt." Niemand vor Ort fand das seltsam.

Foto: thomas rottenberg

Minuten später war hatten wir dann aber eh alle weder Zeit, geschweige denn Luft, uns über solche Dinge noch den Kopf zu zerbrechen: Die "Laktatparty" begann.

Da rennt man. Und überlässt das Denken und Erklären dann besser anderen. Etwa dem Trainer. Auch wenn es darum geht, etwas über den sportlichen (und nicht bloß sozialen) Sinn des Gemeinschaftstrainings zu sagen. Am Wort ist also bei den nächsten zwei Bildern der Mann, dem ich sogar Geld dafür gebe, dass er mich und andere quält: Harald Fritz.

Foto: thomas rottenberg

"Das gemeinsame Erleben (egal ob Sport, Kultur oder was auch immer) macht vieles für uns wertvoller. Für afrikanische Profisportler ist ein Training (und zwar eigentlich jedes) alleine kaum vorstellbar. Einerseits ist 'die Gruppe' ein viel wichtigerer Teil ihres sozialen Lebens. Training besteht nicht nur aus dem Belastungsblock, sondern auch aus dem 'Vorher' und dem 'Nachher': Schmäh führen, Rat suchen, Erfahrungen austauschen. Beim Training selbst ist es dann das Messen aneinander (jedes Training ist ein kleiner Wettkampf) und sich damit Pushen – aber auch das gegenseitige Helfen und der Zuspruch, wenn mal ein schlechter Tag ist. Diese Komponenten sind eine wesentliche Zutat im Rezept um das 'Geheimnis' des Erfolgs der afrikanischen Läufer."

Foto: thomas rottenberg

"Bei uns westlichen Hobbyläufern ist Gruppentraining eher die Ausnahme und konzentriert sich auf die fordernden/unangenehmen Einheiten, etwa Intervalltrainings oder Long Jogs. Beim Intervalltraining ist es oft einfacher, bis zum Schluss alles zu geben, wenn man nicht alleine ist. Wo man vielleicht nach acht Wiederholungen aufgehört hätte, zieht man die zwölf geforderten gemeinsam leichter durch. Hier gilt das Gleiche wie bei den Afrikanern: Wenn ich mich an einer etwas stärkeren Gruppe orientiere, kann ich davon profitieren. Beim Long Jog dagegen geht es eher um die soziale Komponente. Wobei Gruppentraining gerade hier 'gefährlich' sein kann, da viele sich einem Gruppentempo anschließen, das zu hoch ist – und es dann kein Long Jog, sondern eher ein Tempodauerlauf wird. Und das ist meistens nicht Sinn dieser Einheit."

Foto: Steinacher

Freilich gilt das auch in anderen Disziplinen und Elementen. Im Wasser etwa: Solange die Schwimmbäder noch geschlossen sind oder das Abwickeln eines strukturierten Schwimmbetriebs an den Klippen der verfügbaren Ressourcen und dem Organisationsaufwand scheitert, ist Freiwasserschwimmen die einzige realistische Option: Babyelefanten sind gute Schwimmer – um die muss man sich im Wasser wahrlich keine Sorgen machen.

Und für Dickhäuter – also mit Neoprenanzug – ist das Wasser der Neuen Donau seit einigen Wochen auch für längere Einheiten schon warm genug.

Foto: thomas rottenberg

"Endlich wieder schwimmen!" war deshalb das, was als Begrüßung anstelle von Handschütteln oder Umarmungen beim ersten gemeinsamen Plantschen kam. Denn auch wenn die meisten schon solo – sei es im Pool daheim mit Gummileine, auf dem Trockenen mit Gummiseilen oder in irgendeinem Gewässer – die Saison eröffnet hatten: In der Gruppe macht es mehr Spaß – und bringt auch mehr. Wegen der Challenge. Wegen der Aufgaben vom Mann am Ufer. Wegen der Struktur. Aber vor allem, weil da endlich wieder echte Menschen sind.

Foto: thomas rottenberg

Ein kleiner Nachtrag zum Freiwasserschwimmen:

Ich habe auch heuer schon Leute ohne Neoprenanzug im Wasser gesehen. Respekt! Aber das waren alles gute, sichere Schwimmer – und mehr als einmal hin und her ist niemand "nackt" geschwommen.

Aber auch mit Neo würde ich ungeübten und mit "frischen" Temperaturen nicht vertrauten Schwimmerinnen und Schwimmern dringend davon abraten, alleine und ohne Sicherungsboje die Uferbereiche zu verlassen.

Foto: thomas rottenberg

Im Freiwasser gibt es keinen Bademeister oder sonst wen, der aufpasst. Und ein kleiner (Kälte-)Krampf kann jeden überraschen. Der geht meist rasch wieder weg. In der Mitte der Rinne (also 80 Meter vom Ufer entfernt) ist das mit Neo und Sicherheitsboje auch alleine nur ein bissi lästig. In der Gruppe fällt es auf, wenn einer zurückbleibt, und irgendwer mit Boje ist immer in der Nähe. Aber alleine, ungeübt, ohne Ausrüstung?

Keine gute Idee: Der neben Ihnen schwimmende Babyelefant wird Sie nämlich nicht rausholen. (Thomas Rottenberg, 27.5.2020)

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