Shoppen, ins Kaffeehaus gehen, in die Arbeit oder in die Schule: die Lockerungen treiben die Menschen wieder auf die Straße.

Foto: Imago

Nach einer Phase der Freude und Erleichterung, weil sich der Alltag nach den Corona-Lockdown-Lockerungen wieder ein bisschen normaler anfühlt, macht sich unter Menschen mit Anspruch auf Eigenverantwortung ein gewisser Katzenjammer bemerkbar. Man sitzt im Kaffeehaus, das endlich wieder geöffnet hat – und hadert gleichzeitig mit den zahlreichen Expertenwarnungen vor einer zweiten Infektionswelle, etwa durch Lokalbesuche und anderes Business as usual.

Es kann überall passieren

Man schickt die Kinder in die Schule und hört von den jüngsten Corona-Fällen in Vorarlberger und Wiener Lehranstalten. Und man versteht: Das kann überall passieren, wo Menschen jetzt wieder näher zusammenkommen, in allen Schulen, Kindergärten, Fabriken, Büros. Auch wenn die Infektionszahlen in Österreich derzeit niedrig sind: Der eigene Gang in eine 14-Tage-Quarantäne ist möglicherweise nur wenige Tage entfernt. Wäre Schulverweigerung nicht vielleicht doch besser gewesen?

Nun kann niemand im Land behaupten, vor solchen Situationen nicht gewarnt worden zu sein. Nach den ersten strengen Kontaktbeschränkungen werde eine "neue Normalität" kommen, mit neuen Notwendigkeiten und Regeln, wurden Bundeskanzler Sebastian Kurz und andere Regierungsmitglieder seit Beginn der Corona-Krise nicht müde zu wiederholen. Was sie nicht dazusagten: Zuständig dafür, die Lockerungen und ihre Vorgaben lebbar zu übersetzen, sind die Bürgerinnen und Bürger allein.

Druck und Bürden

Das setzt diese unter massiven Druck, zwingt sie zu überlastenden Alltagsentscheidungen, neben den ohnehin schweren ökonomischen und sozialen Bürden durch diese tiefe Krise. Hier die Politiker und Ökonomen mit ihren Lockerungen, dort die Virologen und Epidemiologen mit ihren Warnungen. Das ist eine kognitive Dissonanz, die eine klare Einschätzung der Lage fast unmöglich macht. (Irene Brickner, 25.5.2020)