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Die durch die Corona-Pandemie ausgelöste Wirtschaftskrise dürfte ganz anders bekämpft werden als die letzte Krise 2008. Davon geht die deutsche Ökonomin Claudia Kemfert aus, die am Deutschen Institut für Wirtschaftsforschung (DIW) die Abteilung für Energie, Verkehr und Umwelt leitet. Denn heute gebe es eine breite Allianz für Klimaschutz. Abwrackprämien seien damals selbstverständlich gewesen, heute gebe es großen Gegenwind. Wie sich die Politik jetzt aus der Krise rausinvestieren kann – und gleichzeitig der Planet gerettet werden kann.

Wind- und Solarenergie wurden in den vergangenen 15 Jahren radikal billiger.
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STANDARD: Wie lassen sich Konjunkturprogramme für Klimapolitik nutzen?

Kemfert: Am besten indem man gleich auf verschiedenen Ebenen ansetzt: Im Verkehr sollte man in den Öffentlichen Nahverkehr (ÖPNV) investieren, um ihn wieder attraktiver und billiger zu machen. Und es braucht Investitionen in den Schienenverkehr und in Ladeinfrastruktur. Auch in anderen Sektoren gibt es eine stramme Aufgabenliste: Schließlich schiebt die Industrie schon lange einen Investitionsstau vor sich her, den man jetzt auflösen kann, indem man gemeinsam mit den Unternehmen kluge Investitionsallianzen bildet – etwa für klimaschonende Stahlherstellung oder die Batterieproduktion.

STANDARD: Auch staatliche Hilfen sind ein großes Thema.

Kemfert: Staatliche Hilfen müssen streng an Klimaschutz gekoppelt sein. In Deutschland hilft der Staat der Luftfahrtbranche. Das muss man, so wie Frankreich, mit der Auflage verbinden, Emissionen zu senken. Wir brauchen keine konjunkturellen Strohfeuer, sondern vor allem eine entschlossene Dekarbonisierung. Alle Programme müssen in Klimaschutz und Nachhaltigkeit einzahlen.

STANDARD: In der letzten Wirtschaftskrise gab es die Abwrackprämie.

Kemfert: Eine solche Abwrackprämie lag jetzt in Deutschland kurzfristig wieder auf dem Tisch. Dabei wissen wir, dass sie ökonomisch und ökologisch unsinnig und sozial ungerecht ist. Sie hat auch damals der Automobilbranche nicht geholfen, zumindest nicht der deutschen. In den Folgejahren gab es erhebliche Umsatzeinbußen. Die Emissionen im Straßenverkehr sind gestiegen, auch die Stickoxid- und Feinstaubprobleme in den Großstädten. Diesen Fehler will auch die Mehrheit der Bevölkerung nicht wiederholen. Die Menschen wollen in künftige Geschäftsmodelle investieren, nicht in vergangene.

STANDARD: Was halten Sie von einer Prämie nur für E-Autos?

Kemfert: Eine E-Autoprämie gibt es ja bereits. Sie ist wirkungslos, solange gleichzeitig konventionelle Antriebe subventioniert werden – etwa durch die reduzierte Dieselsteuer, Dienstwagen- Privilegien, Pendlerpauschalen oder eine KFZ-Steuer ohne ausreichenden CO2-Bezug. Für einen Umstieg auf nachhaltige Mobilität braucht es viele Maßnahmen: Eine davon wäre eine ökologische Steuerreform, welche fossile Energien verteuert und klimaschonende verbilligt. Auch sinnvoll wäre eine temporäre CO2-Steuer von mindestens 80 Euro pro Tonne CO2 und eine streckenabhängige Klima-Maut. Zudem ist eine Elektroauto-Quote für neu zugelassene Fahrzeuge von 25 Prozent ab 2025 sinnvoll, die Ladeinfrastruktur muss deutlich schneller ausgebaut werden. Und außerdem brauchen wir strengere Emissionsgrenzwerte in Europa. Es ist ein breiter Mix an Maßnahmen nötig und möglich.

STANDARD: Den Liter Diesel kriegt man derzeit für 95 Cent. Eine CO2-Steuer würde man derzeit wenig spüren. Gleichzeitig haben viele ihre Jobs verloren. Ist jetzt der richtige Zeitpunkt?

Kemfert: Eine temporäre CO2-Steuer macht auch jetzt durchaus Sinn. 80 Euro pro Tonne CO2 sind etwa 20 Cent pro Liter Benzin, wenn der Ölpreis sehr niedrig ist. Das ist in etwa der Betrag der jetzigen Preisreduktion. Macht man das aber, ohne die soziale Gerechtigkeit im Blick zu haben, führt das zu Verwerfungen. Die lassen sich vermeiden, indem man die Steuer durch Pro-Kopf-Klimaprämien kompensiert oder über nachhaltige Mobilitätsprämien, die zum Beispiel für ein ÖPNV- Jahresticket, eine Bahncard oder ein Lastenfahrrad genutzt werden können, aber nicht für Diesel- oder Benzinfahrzeuge. Die Mehrkosten von Heizöl ließen sich durch mehr Effizienz auffangen, deswegen sollte man die energetische Gebäudesanierung stärker fördern.

STANDARD: Österreichs Klimaministerin will auf einer Million Dächern PV-Anlagen installieren. Ist das als Konjunkturprogramm sinnvoll?

Kemfert: Absolut. So bleibt die Wertschöpfung im Land. Wir wissen aus der vergangenen Finanzkrise, dass gerade solche Programme sehr wirksam waren, weil sie konjunkturell nachhaltig stabilisieren. Genauso ist es bei der Sanierung von Gebäuden, um Energie zu sparen, und beim Umstieg etwa auf Wärmepumpen oder Pellet-Heizungen. Kombiniert mit einer nachhaltigen Verkehrswende hin zu elektrischer Mobilität auf Schiene und Straße, wird die heimische Konjunktur gestärkt und es werden Arbeitsplätze und Wertschöpfung geschaffen.

STANDARD: Jetzt in der Corona-Krise muss alles schnell gehen. Da leihen Politiker ihre Ohren oft Lobbys. Übertünchen sie die Klimabewegung?

Kemfert: Derzeit werden reflexhaft Forderungen an die Politik herangetragen, meist geht es um die Bewahrung nicht zukunftsfähiger Geschäftsmodelle. Doch seit Fridays for Future breite Bevölkerungsschichten vereinen konnte, die zu Recht mehr Klimaschutz fordern, ist die Politik sensibilisiert und folge nicht jeder Lobby-Empfehlung. Die Abwrackprämie wurde breit kritisiert, und ich kann nur hoffen, dass die Politik vernünftig genug ist, sowohl der eigenen Wählerschaft wie auch dem Rat vieler Ökonomen zuzuhören und diese in jeder Hinsicht unsinnige Kaufprämie nicht zu gewähren.

STANDARD: Wird diese Wirtschaftskrise als Chance für eine nachhaltige Transformation genutzt – oder läuft Corona dem Klima den Rang ab?

Kemfert: Ich bin optimistisch. Die Chance, die Wirtschaftshilfen für eine nachhaltige Umstrukturierung zu verwenden, ist groß. Anders als vor zehn Jahren wünscht sich heute eine große Mehrheit der Menschen Klimaschutz –trotz und teilweise gerade wegen der Coronakrise. Der Wiederaufbau aus der Krise heraus, sollte uns nicht gleich wieder in die nächste Krise führen. Die Klimakrise steht schon vor der Tür. Wir spüren inzwischen alle, dass der Klimawandel auch bei uns angekommen ist.

STANDARD: Vor 15 Jahren war man mit einer PV-Anlage am Dach ein Öko. Heute macht das, Klima hin oder her, einfach nur aus Kostengründen Sinn, oder?

Kemfert: Ja, absolut. Die Stromproduktion aus erneuerbaren Energien ist grundsätzlich viel preiswerter als früher und heute schon preiswerter als fossiler Strom. Wenn man den selbst produzierten Strom – ohne ihn ins Netz einzuspeisen – auch selbst nutzen kann, etwa für das E-Auto oder die Wärmepumpe, spart das enorm Geld. Die Erneuerbaren sind seit 15 Jahren im Aufwind, auch dank der deutschen Förderungen. Die Kosten sind massiv gesunken und das global. In Entwicklungsländer ermöglichen die billigen Solaranlagen vielen erstmals Zugang zu Strom. Dadurch lassen sich viele Konflikte um Öl künftig vermeiden. Indirekt ist die Energiewende also auch ein Friedensprojekt.

STANDARD: Für einen Großteil des Klimaproblems gibt es technische Antworten, die die Politik nur umsetzen müsste. Für welche noch nicht?

Kemfert: Technische Antworten gibt es allemal genug. Sie liegen auf dem Tisch, kommen aber oftmals aus ökonomischen Gründen noch nicht zum Einsatz. Beispiel Schwerindustrie: Klimaschonende Stahlherstellung benötigt Öko-Wasserstoff, der ist kostbar. Hier wären gezielte Förderungen hilfreich, um den Markt anzuschieben und den Unternehmen beim Umstieg helfen. Bei der Vollversorgung mit erneuerbaren Energien können neben Öko-Wasserstoff auch andere Speichertechnologien wie Batterien oder "Power-to-Gas", also Gas-Stromspeicher, dienen. Solche Technologien müssten gezielt gefördert werden. Ideen gibt es also genug; es fehlt allein an entschlossenem politischen Handeln.

Wenn Ihnen der Beitrag gefallen hat, melden Sie sich für den Newsletter an. Ich schreibe Ihnen, wenn im Rahmen der Serie ein neuer erscheint. (Andreas Sator, 24.5.2020)