Unter Verschluss: der vieldiskutierte Einreisestopp-Erlass für Asylwerber aus dem Innenressort von Karl Nehammer (ÖVP).

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Während sich die Regierung uneins ist, ob Corona-Maßnahmen repariert gehören, sollten sie verfassungswidrig sein, liegt im Innenressort ein Erlass unter Verschluss, der das Asylrecht massiv einschränkt. Juristen halten ihn für rechtlich bedenklich. Die Rede ist vom De-facto-Einreisestopp für Asylwerber, die während der Krise nicht ohne Gesundheitszeugnis in Österreich einreisen dürfen. Das Ressort von Karl Nehammer (ÖVP) hat diesen Umstand bisher aber nur mündlich kommuniziert. Dem STANDARD liegt der Erlass, der für Verwirrung sorgt, vor. Die NGO Asylkoordination will eine Sachverhaltsdarstellung bei der Staatsanwaltschaft Wien gegen das Innenministerium einbringen.

Verfassungsjurist Funk: "Nicht astrein"

Auch Juristen sind skeptisch. Der Erlass sei in der Praxis durchaus gültig, sagt der Verfassungsrechtsexperte Bernd-Christian Funk. Zwar handle es sich "um keine verbindliche Weisung", sondern "um eine Rechtsmeinung des Innenministeriums" – so stehe es im ersten Satz. Jedoch: "Auch so eine Rechtsmeinung läuft auf eine Anweisung der Landespolizeidirektionen hinaus", zwar auf indirekte Art, aber doch. Die Vorgangsweise sei wohl "bewusst gewählt" – und sie sei "nicht astrein".

Offen bleibe im Lichte des Erlasses, wie Grenzpolizisten mit Asylantragstellern an der Grenze umgehen sollen. Der Satz, wonach "der Grundsatz des Non-Refoulement des Art 3 der Europäischen Menschenrechtskonvention hiervon selbstverständlich unberührt bleibe" – dass also niemand abgewiesen werden dürfe, dem daraus Gefahr für Leib und Leben erwachse –, stehe wie ein Fremdkörper in dem Text. Menschenrechtsexperte Manfred Nowak fügt an: "Auch die Prüfung dieses Grundsatzes erfordert die Einreise der betreffenden Person und ein Minimum eines rechtsstaatlichen Verfahrens."

Die Message des Erlasses laute: "Wenn ihr als Asylsuchende nach Österreich reinwollt, müsst ihr ein Gesundheitszeugnis mitbringen", erklärt Funk. Das komme einer Absage ans Asylrecht gleich. Im Grunde müsste höchstgerichtlich geklärt werden, ob ein solches Vorgehen in einer Pandemie "verhältnismäßig und angemessen" sei. "Zu einer solchen Überprüfung wird es nur schwer kommen, dazu bräuchte es einen ablehnenden Einreisebescheid, den man bekämpfen kann." Dass derlei Bescheide in der Praxis ausgestellt werden, bezweifelt Funk.

Unionsrechtliche Zweifel

Nowak meint, dass das Asylrecht in der Krise nicht ausgesetzt werden könne. Auch der Bezug des Erlasses auf den EU-Vertrag hinsichtlich einer Wahrung der öffentlichen Ordnung und der inneren Sicherheit reiche dafür aus seiner Sicht nicht aus. Der Asylantrag von Geflüchteten müsse in jedem Fall gehört und die Personen gegebenenfalls in Quarantäne genommen werden.

Auch der Verfassungsrechtler Peter Bußjäger sieht den Erlass sehr kritisch. "Ich habe meine Zweifel, ob dieser wirklich mit dem Unionsrecht vereinbar ist." Das Innenressort sage per Erlass praktisch, dass durch die Corona-Verordnungen das andere Recht nicht mehr gilt. "So einfach kann man es sich nicht machen", sagt Bußjäger.

Asylkoordination vermutet "Anstiftung zum Amtsmissbrauch"

Die Asylkoordination hat derweil eine Sachverhaltsdarstellung gegen das Ressort aufgesetzt. "Nur so können wir möglichst schnell die Einhaltung völkerrechtlicher Verpflichtungen durch die österreichischen Behörden sicherstellen", sagt der Sprecher der NGO, Lukas Gahleitner. Es bestehe der Verdacht "der Anstiftung zum Amtsmissbrauch", da sich der Erlass etwa an die Landespolizeidirektionen richte, heißt es in der Sachverhaltsdarstellung. Die NGO argumentiert, dass das Asylgesetz bis zur Erledigung eines Verfahrens keine Zurückweisung zulasse. Rechtlich sei es möglich, Asylwerber während des Ausnahmezustands in eine zweiwöchige Quarantäne zu nehmen. Das würde Österreich aus Sicht der Asylkoordination nicht überfordern. Nehammer sagte am 27. März, dass es derzeit maximal zwölf Asylanträge pro Tag gebe.

Gesundheitsministerium kündigt Klarstellung an

Auf das Sozial- und Gesundheitsministerium geht die grundsätzliche Verordnung zurück, dass Menschen aus Nachbarländern ohne gültiges Gesundheitszeugnis bis auf wenige Ausnahmen nicht einreisen dürfen. In einer Stellungnahme von dort heißt es, dass Asylanträge unabhängig von der Verordnung "angenommen werden und bearbeitet werden müssen". Solche Fälle habe es bisher in der Corona-Krise nicht gegeben. Die Einreiseverordnung, die am 30. April außer Kraft tritt, wird laut einem Sprecher des Ressorts in den nächsten Tagen novelliert. Im Zuge dessen soll es auch "eine entsprechende Klarstellung" zum Thema Asylwerber geben. (Irene Brickner, Jan Michael Marchart, 21.4.2020)