Unermüdlich im Kampf um Anerkennung und Rehabilitiation: Wehrmachtsdeserteur Richard Wadani auf dem Ballhausplatz, ...

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... wo seit Herbst 2014 ein Denkmal an Menschen wie ihn erinnert.

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Eine Handvoll Studierende und ein älterer Mann – die Ausgangslage war alles andere als vielversprechend. Dazu noch auf der anderen Seite eine Kultur des Verdrängens und Vergessens, die Ignoranz der staatlichen Struktur.

Dennoch gelingt es am Ende, eine neue Sicht zu etablieren, eine historische Klarstellung zu erzielen. 2009 werden Österreichs Wehrmachtsdeserteure per Beschluss durch das österreichische Parlament vollständig und pauschal rehabilitiert, 2014 bekommen alle Opfer der NS-Militärjustiz ein großes Denkmal auf dem Wiener Ballhausplatz.

Richard Wadani war, wenn man so will, das Gesicht dieser historisch-politischen Aufklärungsarbeit. Es ist bezeichnend, dass seine ersten medialen Auftritte noch anonymisiert wurden, es nur Fotos gab, die ihn nicht völlig der Öffentlichkeit preisgaben. Österreich war noch nicht so weit.

1922 wird er als zweiter Sohn österreichischer Eltern in Prag geboren. Seine Familie muss 1938 – nun als deutsche Staatsbürger – zurück nach Österreich. Den Rat eines Schutzbündlers befolgend, meldet er sich zur Luftwaffe, weil er nicht zur Infanterie eingezogen werden wollte, da die "mitten im Dreck ist". Wadani wird zum Kraftfahrer ausgebildet. 1942 versucht er das erste Mal zu desertieren, er scheitert. Zwei Jahre später gelingt die Flucht, er erlebt als Soldat der tschechischen Armee in Großbritannien das Kriegsende.

Bittere Erfahrung

Die Rückkehr nach Österreich wird zur bitteren Enttäuschung. Ein gefeierter Befreier? Mitnichten. Am Arbeitsamt wird er angepöbelt, wird gefragt, wie er dazu komme, in einer fremden Armee zu dienen. "Viele Tausende sind damals mit Begeisterung in den Krieg gezogen. Die Soldatengeneration, die zurückkam, der sagte man nicht, du hast auf der falschen Seite gekämpft. Dem ist man ausgewichen und hat gesagt: Sie haben ihre Pflicht getan", sagte er in einem STANDARD-Interview. Wadani erlebt Situationen, die ihn verstummen lassen. Der Wehrmachtsdeserteur schweigt – wie praktisch alle seine Kollegen. Österreich war noch nicht so weit.

Wadani engagiert sich politisch bei der KPÖ, mit der er nach der Niederschlagung des Prager Frühlings bricht, arbeitet als Sportlehrer, geht seiner Leidenschaft für das Volleyballspiel nach, bringt es sogar zum Bundestrainer und Bundeskapitän im Volleyballverband. Es bedarf des Weckrufs einiger Studierender – angehender Historiker und Politologen –, die sich Ende der 1990er-Jahre für die Opfer der NS-Militärjustiz zu interessieren beginnen. Deren blutige Bilanz: circa drei Millionen Strafverfahren, 1,3 Millionen Verurteilungen und ungefähr 30.000 verhängte Todesurteile. Zwei Drittel wurden auch vollstreckt – unter diesen Opfern waren rund 1.500 Österreicher. "Ein Soldat kann sterben. Ein Deserteur muss sterben", hatte Adolf Hitler schon in "Mein Kampf" vorgegeben, wie mit Fahnenflüchtigen zu verfahren sei.

Erster Schritt

Im Jahr 2002 wird das Personenkomitee "Gerechtigkeit für die Opfer der NS-Militärjustiz" gegründet. Ganz vorne mit dabei ist Richard Wadani. Die Zeit des Versteckens und Schweigens ist endgültig vorbei. Immer mit an seiner Seite und Rückhalt in all den Jahren ist Ehefrau Sieglinde, mit der er in Wien lebt. Mit seinen Mitstreitern schafft er es, dass das Ehrengrab von NS-Flieger Walter Nowotny diesen Status verliert. Immerhin. Wadani trat für eine Umbettung ein. Im Jahr 2005 ist der erste Schritt zur Rehabilitation mit dem Anerkennungsgesetz geschafft. Ab nun kann man um Opferfürsorge und Pensionsersatzzeiten ansuchen. Wadani ist unzufrieden, wird doch die Opfergruppe der Deserteure im Gesetz nicht namentlich genannt. Seine Sicht auf die Politik: "Die Politiker haben die Hosen voll. Wenn sie wissen, dass die Stimmung gegen die Deserteure ist, dann werden sie sich nicht als Befürworter starkmachen."

Schlampiges Verhältnis

Vier Jahre später folgt die tatsächliche Rehabilitierung. SPÖ, ÖVP und Grüne, die im Parlament zur treibenden Kraft geworden sind, beschließen das Aufhebungs- und Rehabilitierungsgesetz. Rechtlich betrachtet ist Wadani an seinem Ziel angelangt. Jedoch, so fürchtete er, "geistert ein Gesetz kurz durch die Medien, und dann ist der Fall erledigt. Kein Mensch redet mehr darüber", beschreibt er sein großes Trauma. Es werden wieder Jahre ins Land ziehen müssen, bis in Wien im Herbst 2014 ein großes Denkmal auf dem Ballhausplatz eröffnet wird. In Deutschland gibt es seit den 1980er-Jahren zig solcher Gedenkstätten, aber, wie Wadani sagte: "Der Unterschied ist, dass unser Verhältnis zur Geschichte schlampiger ist." Es ist auch ein Stück Gerechtigkeit, dass Wadani die Eröffnung des Denkmals erleben durfte. Das offizielle Österreich war voll der Anerkennung – endlich.

In der Nacht auf Sonntag ist Richard Wadani in Wien verstorben.

Van der Bellen tief betroffen

Bundespräsident Alexander Van der Bellen zeigte sich am Sonntag von Wadanis Tod tief betroffen: "Mit seinem Tod verliert unser Land einen großen Österreicher", erklärte Van der Bellen. "Mut, Zivilcourage und ein unerschütterlicher Gerechtigkeitssinn zeichneten Richard Wadani aus", konstatierte der Bundespräsident. Mit seiner Desertation aus der Wehrmacht habe Wadani einen Beitrag zur Befreiung Österreichs vom Nationalsozialismus geleistet. Van der Bellen hob Wadanis Einsatz für das Deserteursdenkmal hervor, das direkt gegenüber der Präsidentschaftskanzlei steht: "Ich werde, wenn ich in die Hofburg fahre und auf das Denkmal schaue, an Richard Wadani denken."

SPÖ würdigt "aufrechten engagierten Antifaschisten"

Vizekanzler Werner Kogler bezeichnete Wadani als großen Kämpfer für Gerechtigkeit und als aufrechten Antifaschisten. "Richard Wadani war selbst hart geprüftes Opfer der NS-Militärjustiz und hat sich unermüdlich und schließlich erfolgreich für die Rehabilitation von Wehrmachtsdeserteuren eingesetzt", bedauerte Kogler den Tod des bis zuletzt politisch Aktiven.

Betroffen über Wadanis Ableben zeigte sich auch die Zweite Nationalratspräsidentin Doris Bures. "Richard Wadani war ein Mensch, der stets Haltung bewiesen hat. Mit ihm verliert Österreich einen aufrechten engagierten Antifaschisten und einen Kämpfer für die Gerechtigkeit", schrieb die SPÖ-Politikerin in einer Aussendung. (Peter Mayr, 19.4.2020)