Heute ist also ein Office-Tag, das zeigt der gemeinsame Firmenkalender. Der Laptop wird also aus dem heimischen Arbeitszimmer mitgenommen und dann im Büro an einem der freien Arbeitsplätze abgestellt. Gleich in der Früh findet in der Kaffeeküche das erste informelle Meeting des Tages statt, eigentlich ist es nur ein kleiner Plausch, schließlich sieht man sich nicht mehr jeden Tag. Die große Besprechung am Nachmittag ist eine Videokonferenz, damit auch jene Kollegen teilnehmen können, die sich heute für Homeoffice entschieden haben. So oder so ähnlich wird der Arbeitsalltag der Zukunft aussehen, wenn wir das beherzigen, was wir gerade in der Corona-Krise lernen.

Die Situation ist extrem, aber lehrreich

"Das, was wir gerade erleben, ist natürlich eine Extremsituation, in die wir unerwartet hineingestoßen wurden", sagt die Arbeitspsychologin Veronika Jakl. Viele, die jetzt im Homeoffice arbeiten, müssen auch nebenbei Kinder betreuen und haben vielleicht zu Hause nicht die richtige technische Ausstattung.

Aber selbst wenn Webcam, Mikrofon, die richtige Software und eine reibungslose Internetverbindung vorhanden sind: Damit ist gerade einmal die "absolute Grundvoraussetzung" für das Remote-Arbeiten erfüllt, sagt Inga Höltmann, Expertin für New Work und Kulturwandel in Unternehmen. Viel schwieriger ist es, neue Bedingungen für all jene Situationen zu schaffen, die im Büro ganz nebenbei stattfinden können, aber wichtig sind. "Das Soziale wird man bewusst initiieren müssen", so die Arbeitspsychologin Jakl. Gemeinsames Kaffeetrinken oder Mittagessen diene nicht nur der Kontaktpflege zwischen Mitarbeitern, sondern schaffe wichtige informelle Kanäle. Chats und andere Plattformen könnten die Kaffeeküche aber ersetzen.

Die Work-Life-Balance kann im Homeoffice schon mal aus dem Gleichgewicht kommen.
Illustration: Fatih Aydogdu

Die digitale Kaffeeküche musst erst gebaut werden

Höltmann sieht vor allem die Führungskräfte in der Pflicht, Mitarbeiter im Homeoffice mit Führungsarbeit zu begleiten und für sie diese Kanäle einzurichten. Ansonsten könnte ein Informationsvakuum entstehen, das schnell mit Gerüchten befüllt wird. Diese solle man aber nicht durch Überwachung und Kontrolle verhindern. Laut Höltmann sei es wichtig, dem Team Kanäle zu geben, in denen sich Chefs auch einmal her aushalten und "wo es auch einmal okay ist, ein Foto von seinem Mittagessen reinzuposten".

Homeoffice ist für viele momentan der neue, alternativlose Alltag. "Bisher war es eher so, dass die Arbeitnehmer betteln mussten, um im Homeoffice arbeiten zu dürfen", sagt Jakl. Doch jetzt lernen zumindest manche Arbeitgeber die Vorteile dieses Arbeitsmodells kennen. Das könnte dazu führen, dass in Zukunft von vornherein nur noch Arbeitsplätze für 60 Prozent der Beschäftigten geplant werden, prognostiziert die Arbeitspsychologin.

"Trotz ungünstiger Rahmenbedingungen können viele nach einigen Wochen schon sagen, ob diese Art zu arbeiten etwas für sie ist oder nicht", sagt Jakl.

Wäre es da nicht naheliegend, dass sich Unternehmer die aufwendige Infrastruktur des materiellen Büros sparen? Neben der Miete müssten Firmen schließlich nicht mehr für Hardware, Reinigungskosten oder Parkplätze und Kantinen aufkommen.

"Das Büro abzuschaffen sollte nicht das Ziel sein", sagt die Arbeitsexpertin Höltmann. Sie hofft, dass man zur Erkenntnis kommt, "dass wir verschiedene Arbeitsorte für verschiedene Arten der Arbeit" brauchen. Als Begegnungs- und Austauschort könnte das Büro weiterhin gute Dienste leisten, während sich Mitarbeiter für hochkonzentriertes Arbeiten an einen Ort ihrer Wahl zurückziehen können.

Arbeitszeit als Lebenszeit schätzen lernen

Homeoffice sollte auf jeden Fall auf freiwilliger Basis bleiben, findet die Arbeitspsychologin Jakl. Optimal wäre es, wenn man den Arbeitnehmern die freie Wahl lässt, wann und wo sie arbeiten. Dafür müssen Führungskräfte "Führung auf Distanz" lernen, sagt Jakl. In Zukunft werden die Unternehmen andere Zielvorgaben festlegen und mehr Vertrauen in ihre Mitarbeiter haben müssen – die reine Anwesenheit von Mitarbeitern wird als Parameter für geleistete Arbeit nicht mehr so viel zählen.

Auch darin liegt für Höltmann eine Chance. Dass die meisten Menschen nach Stunden angestellt und bezahlt werden, wird sich so schnell nicht ändern. "Wir könnten aber lernen, Arbeitszeit wieder als Lebenszeit wertzuschätzen." Teams könnten sich pro Woche etwa drei große Aufgaben stellen, die bis zum Ende der Woche realistisch umsetzbar sind. Sollten sie doch unerledigt bleiben, könnte man die eigene Arbeitsweise hinterfragen – nicht nur aus einem Effizienzgedanken her aus, sondern auch hinsichtlich dessen, ob die freie Zeit gut genutzt wurde.

Seperate Arbeitszimmer sind für dauerhafte Heimarbeit ein Muss.
Foto: imago images/Westend61

Das persönliche Leben wird sich ändern

Damit die Arbeit im Homeoffice nicht zum rastlosen Mix aus Arbeit und Freizeit werde, sei es wichtig, sich selbst eine Struktur aufzuerlegen, um danach "gesund von ihr abzuweichen" und gegebenenfalls nachzubessern. Start eines Arbeitstags könnte etwa ein tägliches Teammeeting sein, in dem gemeinsam die Ziele für den Tag besprochen werden. Mindestens gleich wichtig sei eine Routine, wann man Pausen oder Feierabend macht, so Höltmann. Aktuelle Untersuchungen zeigen etwa, dass Menschen im Homeoffice viel seltener Pausen machen.

Natürlich wird sich auch das Privatleben dadurch ändern. Wir werden zunächst unsere Wohnformen anpassen müssen. Separate Arbeitszimmer sind ein Muss, wenn die Arbeit ins Haus oder in die Wohnung einzieht. Das wirft natürlich auch die Kostenfrage und die Frage nach einem neuen Arbeitsrecht auf. "Wenn der Arbeitgeber Homeoffice will, muss er anders als bisher auch für die gute Ergonomie sorgen", sagt Jakl. (Olivera Stajić, Philip Pramer, 10.4.2020)