"Stopp Corona" soll dabei helfen, Covid-19 einzudämmen.

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Eine Handy-App, mit der der Kontakt zu einer infizierten Person nachgewiesen werden soll, um Bürger vorsorglich in Quarantäne zu schicken und die Verbreitung des Coronavirus einzudämmen: Dieses Konzept beschäftigt seit Eintreten der Corona-Krise Regierungen weltweit. Europaweit gibt es zahlreiche mehr oder wenige invasive Maßnahmen, die zum Einsatz kommen.

Hierzulande hat das Rote Kreuz die App "Stopp Corona" entwickeln lassen, mit der eine Art digitales Kontakttagebuch geführt werden kann. Am Donnerstag sollen neue Features folgen, unter anderem thematisiert wurde eine automatisierte Kontaktaufnahme sowie die Möglichkeit, Verdachtsfälle zu melden. Bisher mussten Nutzer einander manuell digital "die Hände schütteln".

Politisch wird immer lauter über eine Verpflichtung diskutiert: Während die Grünen betonen, dass Freiwilligkeit der Weg sei, den man gehen möchte, dachte etwa Nationalratspräsident Wolfgang Sobotka (ÖVP) über eine verpflichtende Einführung öffentlich nach, verwarf diese nach massiver Kritik aber wieder. Für Kanzler Sebastian Kurz (ÖVP) waren etwa Bedingungen wie Einschränkungen in der Reisefreiheit denkbar. Doch wie sinnvoll ist Contact-Tracing, also das Nachweisen eines Kontakts mit einer erkrankten Person, mithilfe von technischen Hilfsmitteln beim Coronavirus überhaupt?

Problematik Zeit

"Es fällt mir schwer, mir vorzustellen, wie das hundertprozentig funktionieren kann", sagt Eva Schernhammer, Leiterin der Abteilung für Epidemiologie an der Medizinischen Universität Wien. Ein solches Vorgehen würde das Virus aus ihrer Sicht in einer Situation, in der es bereits ausgebrochen ist, nicht eindämmen. Eventuell könne es mit Glück funktionieren, wenn man den ersten Fall in einem Land vorliegen hat und zurückverfolgt. Die Problematik ergebe sich vor allem aufgrund der Eigenschaften des Coronavirus: "Das Hauptproblem ist die Zeitverschiebung zwischen dem Zeitpunkt, ab wann man andere mit Covid-19 infizieren könnte, und dem Auftreten erster Symptome", sagt sie zum STANDARD. Denn Infizierte können schon ansteckend sein, bevor erste Symptome auftreten.

Angenommen, man würde ein bis zwei Tage zurückgehen und die Kontakte des Patienten null ausforschen, bevor er Symptome zeigte, so würde dieser in einer Normalsituation mit zahlreichen Menschen in Kontakt kommen. "An einem normalen Arbeitstag mit zum Beispiel Straßenbahn und U6 im Frühverkehr auf dem Weg ins Büro kommt diese Person unter Umständen mit mindestens 50 anderen in engen Kontakt. Im Supermarkt mit weiteren zehn, im Kindergarten beim Abholen mit weiteren fünf. Im Fitnessstudio dann nochmals mit 20" – und so weiter.

Keine Sicherheit

Unter der Annahme, eine Person würde mit ungefähr 150 Leuten in Kontakt treten, und diese kämen täglich ebenfalls mit rund 150 Menschen in Kontakt, müsste man bei einem einzigen Verdachtsfall schon 22.500 Menschen isolieren – "und selbst dann gäbe es noch keine hundertprozentige Sicherheit", so Schernhammer.

Kann eine App im Kampf gegen Corona helfen? Der Datenschutzbeauftragte des Roten Kreuzes, Christof Tschohl, diskutierte darüber mit dem Public-Health-Experten Martin Sprenger. Digital würde sich Contact-Tracking deutlich beschleunigen lassen, so die beiden.
DER STANDARD

"Denn all diese Personen müssten ja eigentlich auch nochmals backgetract werden, da sie ja möglicherweise auch schon wieder jemanden angesteckt hatten", sagt Schernhammer. Der Schneeballeffekt sei aus ihrer Sicht bei Covid-19 schwierig zu kontrollieren. Jedoch gebe es große Unsicherheiten zur Inkubationszeit und wie lange man vor dem Ausbruch von Symptomen in der Lage ist, andere zu infizieren. "Solange wir das nicht genau wissen, bleiben große Unsicherheiten, die sich durch Tracking nicht so einfach überwinden lassen."

Zeitliche Mindestwerte?

Gerald Gartlehner, Leiter des Departments für Evidenzbasierte Medizin und Evaluation an der Donau-Uni Krems, findet hingegen Contact-Tracing via App sinnvoll: "Derzeit wird das mühsam über persönliche Interviews gemacht, und man weiß, dass man eigentlich nur einen Bruchteil jener Personen, die in Quarantäne sein sollten, dadurch erreicht", sagt er. Vorraussetzung sei, dass man technisch mit den Handydaten feststellen kann, wie lang jemand mit einer Person in Kontakt war und ob dabei ein gewisser Schwellenwert überschritten wurde.

Um das von Schernhammer beschriebene Szenario zu vermeiden, müssten zeitliche Mindestwerte bestimmt werden. Beispielsweise würde ein Kontakt nur aufgezeichnet werden, wenn er länger als 15 Minuten besteht. "Im Prinzip geht es um Wahrscheinlichkeiten – bei längerem Kontakt ist die Wahrscheinlichkeit einer Weitergabe einer Infektion höher als bei kurzem Kontakt in der U-Bahn", sagt Gartlehner zum STANDARD. Auch "Stopp Corona" setzt bisher auf den Richtwert von 15 Minuten und eine Distanz von zwei Metern.

Ebenfalls müsste eine große Zahl an Usern freiwillig eine App verwenden. Solange es keine Verpflichtung gibt, ist die Software des Roten Kreuzes jedenfalls rechtlich unproblematisch, wie zuletzt etwa der Rechtsinformatiker Nikolaus Forgó auf STANDARD-Anfrage erklärte. Ansonsten müsste eine rechtliche Grundlage erst geschaffen werden. (Muzayen Al-Youssef, 9.4.2020)