Im Gastkommentar fordert Attac-Handelsexpertin Alexandra Strickner, Lehren aus der Corona-Krise zu ziehen und Handelsbeziehungen neu zu denken.

Fast alle Länder versuchen angesichts der Corona-Krise verzweifelt Schutzausrüstung, Masken und Medikamente am Weltmarkt einzukaufen. Vieles davon wird heute nur mehr an wenigen Orten in Asien produziert. Zwischenstaatliche Kooperation bei der Produktion und Beschaffung ist derzeit Mangelware. Ein beschämendes Zeugnis. Es gilt das Motto: "Mein Land zuerst!", mitunter auch auf Kosten der anderen. Die anfänglich mangelnde Kooperation zwischen EU Ländern wurde nun ersetzt durch ein EU-Exportverbot für eine Reihe medizinischer Produkte. Das trifft Länder des globalen Südens besonders stark, die diese Waren bislang aus der EU importiert haben.

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Medizinische Produkte sind am Weltmarkt heiß begehrt.
Foto: Reuters / Martin Schutt

Die Corona-Pandemie zeigt: Das neoliberale Weltmarktprojekt ist gescheitert; es gefährdet nicht nur das Klima, es gefährdet Menschenleben. Die EU hat dieses Projekt in den letzten drei Jahrzehnten mit Hilfe von Handels- und Investitionsabkommen im Interesse der EU-Konzerne massiv vorangetrieben. Die Herstellung lebensnotwendiger Güter hat sich so immer mehr in die Hände einiger weniger Konzerne, die in "kostengünstigen" Ländern operieren, verlagert. "Günstig" ist es für die Konzerne dort aufgrund von Niedrigstlöhnen, minimalen Arbeitsrechten, kaum vorhandenen Umweltauflagen oder Steuervorteilen.

Zwei Seiten der Medaille

Die Welthandelsströme und die satten Profite für einige wenige Konzerne sind stetig gewachsen – das ist die eine Seite der Medaille. Die andere Seite: Sozialabbau, die Zerstörung lokaler Versorgungsstrukturen für lebensnotwendige Güter und die Verschärfung der Klimakrise. Es wurde eine verletzliche, instabile Wirtschaftsweise geschaffen; zu Gunsten weniger, auf Kosten vieler.

Noch vor Kurzem haben konservative und neoliberale Politikerinnen und Politiker uns Kritikerinnen und Kritiker von marktradikalen Handelsabkommen, die wir vor genau diesen Auswirkungen gewarnt haben, ignoriert oder delegitimiert. Jetzt, in der Krise, reden sie plötzlich davon, dass kritische Produkte wie Schutzausrüstung und Medikamente, wieder in Europa beziehungsweise im eigenen Land hergestellt werden müssten. Wirtschaftsministerin Margarete Schramböck propagiert das ebenso wie der deutsche Gesundheitsminister Jens Spahn und viele mehr. Wir werden ein Auge darauf haben, dass diesen Worten auch Taten folgen, wenn die Krise überstanden ist.

Solidarität und Kooperation

Denn eines ist klar: Ein Weltmarkt, wo jene mit genug Geld alles kaufen können, während die anderen nicht genug zum Leben haben, ist unethisch, gesellschaftlich ineffizient und langfristig instabil. Ein Weltmarkt, der durch ungezügelten Warentransport tagtäglich die Klimakrise verschärft und die Macht transnationaler Konzerne steigert, schadet uns allen. Wir brauchen mehr denn je eine regionalisierte Wirtschaft der kurzen Wege. Die Produktion lebensnotwendiger Güter muss möglichst lokal beziehungsweise regional – im Sinne der Makroregion Europa oder etwa Asien – organisiert werden. Alle Dienstleistungszweige, die grundlegende lebensnotwendige Bereiche abdecken, müssen aus sämtlichen Handelsabkommen ausgenommen sein. Unsere Wirtschaft des Alltags – die Nahversorgung (Lebensmittel, Banken) und die Infrastrukturen der Daseinsvorsorge (Wasser, Energie, Gesundheit, Bildung, Telekommunikation, Müllabfuhr) müssen gemeinwohlorientiert sowie demokratisch organisiert und kontrolliert sein. Handels- und Investitionsabkommen müssen so umgestaltet werden, dass die Produktion dieser Güter und die Bereitstellung dieser Dienstleistungen nach diesen Grundsätzen möglich wird. Der Welthandel muss dann auf komplementären Produkten und Kooperation basieren. Glokalisierung heißt dieser Ansatz; ein Konzept, das Attac bereits 2010 vorgestellt hat.

Beispiele von neuen Formen internationaler Solidarität und Kooperation gibt es bereits: So schicken jetzt Kuba und China Ärztinnen und Ärzte zur Bewältigung der Krise nach Italien, Nicaragua, Jamaica, Argentinien und Surinam. Schon jetzt kooperieren Städte und Gemeinden weltweit etwa im Bereich der Klimaschutzmaßnahmen oder bei der Aufnahme von Geflüchteten. Und auch viele soziale Bewegungen, Gewerkschaften und zivilgesellschaftliche Initiativen organisieren sich in internationalen Netzwerken, zum Beispiel im Kampf um Klimaschutzmaßnahmen, den Erhalt und Ausbau öffentlicher Dienstleistungen oder für eine andere Handelspolitik.

Neue Spielregeln

Die EU muss daher alle laufenden Verhandlungen für weitere Handels- und Investitionsabkommen neoliberaler Art stoppen. Jetzt ist es Zeit, die Handelsbeziehungen auf Basis eines neuen Wirtschaftskonzepts umzugestalten und dabei das gute Leben für alle in den Mittelpunkt zu stellen.

Wir brauchen jetzt andere Rahmenbedingungen und neue multilaterale Spielregeln für den Handel; wir brauchen Investitionen und Finanzmärkte, die die Produktion lebensnotwendiger Güter und Dienstleistungen in hoher Qualität für alle Menschen, den Klimaschutz und den Schutz unserer Lebensgrundlagen sicherstellen. Wir brauchen eine andere Globalisierung und einen neuen Multilateralismus für ein gutes Leben für alle. (Alexandra Strickner, 3.4.2020)