Bewusst schöne Programme ins Hirn schleusen, rät Psychologe Johann Beran.

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STANDARD: Wir nehmen derzeit Bilder von Sterbenden im Fernsehen, in sozialen Medien wahr, Menschen mit Atemmasken auf den Straßen werden mehr, wer mal kurz hinausgeht, sieht leere Plätze. Was macht das mit uns?

Beran: Wir haben fünf Sinne: Sehen, Hören, Schmecken, Tasten und Riechen. Der Riechsinn ist der Einzige, der direkt und ohne Umwege eins zu eins im Gehirn verarbeitet wird. Menschen müssen Gefahren auch im Schlaf sofort und ungefiltert wahrnehmen können, das ist evolutionsbiologisch nützlich. Und wir kennen es alle, etwas nicht riechen zu können, das ist ein sehr starkes Gefühl. Außer dem Riechen werden alle anderen Sinnenswahrnehmungen im Gehirn beim Eintreffen dort zuerst mit Erinnerungen und sonstigen Informationen von früher vermischt. Das passiert schnell und unbewusst. Dann gelangen diese Videos auf einer Art innerem Bildschirm ins Bewusste. Dem Unbewussten ist der größere Verarbeitungsteil unseres Hirns zugeordnet. Entscheidungen werden auch dort getroffen – wie, das ist noch nicht gut erforscht.

STANDARD: Also hat jeder seine Wirklichkeit?

Beran: So gesehen: ja. Unser Hirn zeigt uns nicht die Wirklichkeit, sondern eine Realität, die aus unseren dazugebastelten Informationen und Emotionen gefertigt ist. Wir machen uns unser eigenes Bild.

STANDARD: Wie genau?

Beran: Vielleicht haben Sie ja "Star Trek" gesehen und erinnern sich an die Holodecks im Raumschiff Enterprise. Wir sind nicht in einem Holodeck, aber wir haben eines im Gehirn. Meistens läuft das Programm dort eigenständig und unbewusst ab. Dem sind wir aber nicht nur ausgeliefert, wir können auch bewusst eigene Programme – diesmal bewusst – einspielen. Bei vielen Informationen zu Gefahren ist das Gehirn als Holodeckprogramm permanent mit den Informationen, deren Echos und dem daraus resultierenden Gedankenkreis beschäftigt. Anfangs unbewusst, es schwappt aber auf das Bewusstsein über.

STANDARD: Wir lernen und optimieren unsere Angst?

Beran: Ja, je öfter wir Kriseninformationen aufnehmen, desto besser lernt das Gehirn "Achtung, angstmachende Information" und addiert all diese Informationen plus die damit verknüpfte Emotion. Jedes Gehirn ist in erster Linie emotional organisiert, das heißt, jede Information wird über Emotionen verrechnet.

STANDARD: Wie kann dieses dauernde Angstlernen unterbrochen werden, wie geht der Trick mit dem neuen Programm im Holodeck?

Beran: Da gibt es eine einfache Möglichkeit, die vielleicht zunächst komisch klingt, aber hochwirksam ist: Nach einer schwierigen Situation oder wieder vielen Corona-Infos oder einem schwierigen Kundengespräch – machen Sie nicht einfach weiter, sondern gehen Sie kurz in einen nicht einsehbaren Raum. In diesem laufen Sie am Stand oder im Raum herum. Kurz und intensiv, bis zum Keuchen. Dabei stellen Sie sich vor, wie Sie von dieser letzten Situation weglaufen, sich davon entfernen, bis sie ganz weit hinten in der Ferne verschwindet. Das geht sich in ein bis zwei Minuten aus. Wichtig sind die starken, deutlichen Vorstellungen dazu – sie signalisieren dem Hirn: Ich muss nicht dort bleiben, ich verlasse diese Situation. Und am besten laufen Sie gedanklich an einen Ort, an dem Sie sich sehr wohl fühlen – geht mit Fotos am Handy leichter. Dann kurz und intensiv, und länger ausatmen als einatmen. Ein Lied summen ist dabei auch empfehlenswert. Allerdings muss die Organisation das auch mittragen. (Karin Bauer, 4.3.2020)