Bei der Lehrergewerkschaft bereitet man sich schon vor. Denn Bildungsminister Heinz Faßmann will sich am Freitag vom Nationalrat weitreichende Kompetenzen absegnen lassen. Das reicht bis hin zu Eingriffen in die Ferienregelungen. Beim Besuch des STANDARD im Ministerium wird versichert, von der neuen Macht nur ganz sparsam Gebrauch zu machen, etwa um Sommer-Lernprogramme für all jene Schülerinnen und Schüler anbieten zu können, die beim E-Learning verlorengingen. Und noch etwas: Schularbeiten soll es vorerst keine geben. Ein Gespräch unter Wahrung aller Hygienevorschriften mit meterlangem Abstand.

STANDARD: Ausgehend vom Offensichtlichen, nämlich dass aktuell niemand sagen kann, ob und wann die Schulen wieder regulär aufsperren: Wie kommen die Schülerinnen und Schüler im Worst Case heuer zu einem Abschluss?

Faßmann: Ich bin nicht so pessimistisch. Sollte Ihr Worst-Case-Szenario dennoch eintreten, werden die bisherigen Leistungen herangezogen. Immerhin sind bereits drei Viertel des Schuljahres abgelaufen, wir haben also eine solide Grundlage. In besonderen Fällen werden wir bestimmt so etwas wie Prüfungen machen können.

STANDARD: Also wenn die Leistung bis zum Stichtag nicht ausreichend war, gibt es eine telefonische Prüfung oder eine Videokonferenz?

Faßmann: Oder vielleicht auch eine Prüfung, bei der man Hygieneregeln einhalten muss.

Bei der Rückkehr zur "neuen Realität" sollen Sommer-Lernprogramme jenen Schülerinnen und Schülern helfen, die mit dem jetzt praktizierten Distance-Learning nicht erreicht werden.
Foto: Regine Hendrich

STANDARD: Sie gehen davon aus, dass es im April keinen Schulunterricht geben wird. Wäre es nicht für alle Beteiligten einfacher, wenn man ein konkreteres Zieldatum in weiterer Zukunft nennt?

Faßmann: Helfen Sie mir bei der Bestimmung dieses Zieldatums! Wenn das gut argumentiert ist, schließe ich mich gerne an.

STANDARD: Der Gesundheitsminister nennt den Mai als Peak.

Faßmann: Das sind alles nur ganz grobe Modellrechnungen. Diesen prognostizierten Höhepunkt haben wir nur, wenn nichts passiert. Aber es passiert ja etwas.

STANDARD: Viele Lehrkräfte rechnen nicht mehr damit, dass sie ihre Schülerinnen und Schüler vor dem Sommer wiedersehen.

Faßmann: Wir überlegen uns eher, wie es zur schrittweisen Rückkehr in die sogenannte neue Normalität kommen kann. Etwa dass man die Maturaklassen "privilegiert" behandelt. Dann gibt es Matura mit Maske. Ähnliches ist für die Abschlussklassen an der Schnittstelle Sekundarstufe eins, Sekundarstufe zwei geplant. Oder für diejenigen, die gerade die Berufsschule beenden. Hier geht es auch um ganz wesentliche biografische Entwicklungen. Da kann man nicht sagen: Das geht uns nichts an, wir schließen den Laden.

STANDARD: Was halten Sie von Unterricht im Schichtbetrieb?

Faßmann: Klingt vernünftig. Wir müssen aber sicherstellen, dass nicht zu einer bestimmten Zeit hundert Prozent der Schülerinnen und Schüler versammelt sind. Die Schule kann also länger offenhalten, oder die einen kommen am Vormittag, die anderen am Nachmittag. Auch ein tageweises Abwechseln ist eine Möglichkeit.

Hier geht es auch um ganz wesentliche biografische Entwicklungen.Da kann man nicht sagen: Das geht uns nichts an, wir schließen den Laden.

STANDARD: Derzeit liegt die Hauptlast bei den Eltern.

Faßmann: Auch die Lehrkräfte haben derzeit ordentlich viel zu tun. Kollektives Unterrichten und Feedbackgeben ist ja viel schneller erledigt, als jeden einzelnen Schüler sehr stark individualisiert über Mails zu erreichen. Bei vielleicht 80 Schülern pro Tag und Fachlehrer kommt man da ganz schön dran. Die Eltern natürlich auch. Deshalb ist auch mein Appell: Nicht stressen lassen! Der Lehrplan lässt Freiräume.

STANDARD: Beim Distance-Learning haben Sie es in die Hände der Unterrichtenden gelegt, ob sie weiter wiederholen und vertiefen oder neues Wissen erarbeiten. Heißt das, eine Klasse kommt mit dem Lehrplan durch, die andere nicht?

Faßmann: Wie die Gewichtung der Lerninhalte aussieht, obliegt den Pädagoginnen und Pädagogen. In manchen Fächern muss man im nächsten Schuljahr den Anschluss wieder suchen – etwa in Mathematik.

STANDARD: Denken Sie an Förderprogramme für jene Kinder, bei denen wichtige Lehrinhalte nicht ausreichend vermittelt werden konnten?

Faßmann: Ich werde die Schulleitungen beauftragen, dass sie solche Förderprogramme anbieten. Gezielt auch für jene, die schlechtere Voraussetzungen haben, aus einem sozioökonomischen Umfeld kommen, in dem Distance-Learning nicht so gut funktioniert. Es geht darum, die Lernerträge des vergangenen Jahres noch einmal zu sichern und zu wiederholen, bevor man Anfang September in die nächste Klasse einsteigt.

STANDARD: Man kann also jetzt schon sagen: Zwei Monate Ferien sind nicht in Stein gemeißelt?

Faßmann: Diese Zeit muss gut genutzt werden! Das können bei Bedarf auch Lehramtsstudierende übernehmen.

STANDARD: Soll das auf Freiwilligkeit der Lehrerschaft beruhen?

Faßmann: Es ist noch zu früh, um hier Konkretes sagen zu können.

Bildungsminister Heinz Faßmann weiß, dass er mit Distance-Learning nicht alle Schüler erreicht. Schulsozialarbeiter sollen sich aktiv um diese Familien kümmern.
Foto: Regine Hendrich

STANDARD: Dürfen die Jugendlichen, die sich jetzt für eine Lehrstelle bewerben, ein weiteres Schuljahr anhängen, bevor sie beim AMS landen?

Faßmann: Da ist die Milch noch nicht verschüttet. Gerade angehende Berufsschüler brauchen einen Abschluss. Damit können sie dann auf Lehrstellensuche gehen.

STANDARD: Die Aussicht auf einen Lehrplatz ist allerdings wohl eher trist?

Faßmann: Mir ist das ein bisschen zu pessimistisch. Ich kann die ökonomische Entwicklung nicht vorhersehen. Aber ich hoffe, dass die Konjunktur wieder anspringen wird und auch so etwas wie eine ökonomische Normalität einzieht, wenn die Corona-Krise überwunden ist.

STANDARD: Was ist mit den vielen Schülerinnen und Schülern, die keinen Kontakt zur Schule halten? Wie sollen Psychologen, Sozialarbeiter und Co die erreichen?

Faßmann: Sie sollen an jenen Standorten, wo es eine Häufung dieser Fälle gibt, die Eltern durchtelefonieren: Was ist los? Woran fehlt es? Wir wollen nicht warten, bis sich die Leute von selbst melden, da wartet man wohl zu lange.

STANDARD: Manchmal werden Sie dabei auf Grenzen der Bereitschaft bei den Eltern stoßen. Was ist dann – Strafen?

Faßmann: Nein! In der Situation will ich nicht noch mehr Druck in das System hineinbringen.

STANDARD: Sie wollen auch bei der technischen Ausrüstung helfen. Das kann wohl nur ein Teil der Lösung sein.

Faßmann: Es gab Gespräche mit Unternehmen, die ältere, nicht mehr benötigte Geräte zur Verfügung stellen wollen. Es gibt auch Schulen, die Computer verleihen. Aber klar, all das kann Schule als sozialen Ort nicht ersetzen.

STANDARD: Zu den Maturanten: Da soll Ihr Plan erst nach Ostern stehen. Eigentlich eine Zumutung für alle Maturanten, oder?

Faßmann: Ja. Das sehe ich auch so, aber ich habe in der derzeitigen Situation keine andere Alternative.

STANDARD: Doch. Sie könnten die Matura ja zum Beispiel auf August verschieben.

Faßmann: Ich halte an der Woche ab 18. Mai fest, das ist durchaus realistisch. Ich versuche, so gut es geht, die Normalität bei den Terminen aufrechtzuerhalten. Bringen wir doch das Schuljahr gut über die Runden. (Peter Mayr, Karin Riss, 1.4.2020)