In Italien standen die Flaggen den ganzen Dienstag über auf Halbmast – im Gedenken an die inzwischen über 12.000 Toten, die an der Lungenkrankheit Covid-19 gestorben sind. Doch trotz der Trauer ist man in Italien allmählich optimistisch: Der in den letzten Tagen immer deutlicher gewordene positive Trend bei den Fallzahlen hat sich nämlich auch gestern bestätigt. Die Zahl der positiv getesteten Personen stieg zuletzt um 3,9 Prozent auf knapp 105.800. Am 19. März, dem Tag des steilsten Anstiegs, waren die Fallzahlen noch um 14,9 Prozent in die Höhe geschossen.

Auf der Piazza Venezia in Rom wehen am Dienstag die Fahnen am Monument von Vittorio Emanuele II. auf Halbmast – so wie in ganz Italien. Am 25. April hofft man hier, nicht nur den traditionellen Jahrestag der Befreiung von Nationalsozialismus und Faschismus, sondern auch den von der Überwindung der Corona-Epidemie feiern zu können.
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Und: Während die registrierten Neuinfektionen zurückgehen, steigt die Zahl der Patienten, die die Krankheit überstanden haben: Am Dienstag erhöhte sich die Zahl der Genesenen um zwölf Prozent auf über 15.000. Genesen ist gestern unter anderem auch der Präsident der Hauptstadtregion Latium und Chef des sozialdemokratischen PD, Nicola Zingaretti

Bald mehr entlassene Patienten als Neuerkrankte?

"Der starke Rückgang der an Covid-19 erkrankten Patienten belegt, dass unsere Quarantänemaßnahmen nun eine starke Wirkung zeigen", betonte am Montag Franco Locatelli, Präsident des nationalen Sanitätsrats. Markant ist der Rückgang insbesondere in den stark betroffenen Provinzen (Bezirke) Bergamo und Lodi, wo die Zahl der in die Intensivstationen eingelieferten Patienten Tag für Tag deutlich kleiner wird. Die Behörden gehen davon aus, dass in den völlig überlasteten Spitälern der Region Lombardei bereits in den nächsten Tagen die Zahl der entlassenen Patienten diejenige der neu eingelieferten übersteigen wird. "Die Situation ist immer noch dramatisch, aber wir sind auf einem guten Weg", bekräftigte der lombardische Gesundheitsminister Giulio Gallera.

Die Zahl der Toten bleibt in Italien aber nach wie vor hoch: Am Montag sind innerhalb von 24 Stunden 812 Patienten an der Lungenkrankheit Covid-19 verstorben. Am Vortag waren es noch 756 gewesen. Locatelli weist aber darauf hin, dass der bei den Neuansteckungen festgestellte ermutigende Trend dadurch nicht widerlegt werde: Im Durchschnitt vergingen nach der Ansteckung mit dem Virus bis zum Tod des Patienten 23 Tage – die Zahl der Toten hinke also der Zahl der registrierten Neuansteckungen deutlich hinterher und bilde heute die Situation der ersten Märzwoche ab, als die Quarantänemaßnahmen erst gerade eingeführt worden waren. Mit einiger Verzögerung sei zwangsläufig auch bei der Zahl der Todesfälle eine Verringerung zu erwarten.

Gefahr für Süditalien dürfte sich reduzieren

Mit deutlich größerem Optimismus blicken die Behörden inzwischen auch auf die Situation im Süden des Landes. Im Mezzogiorno war zunächst eine Katastrophe biblischen Ausmaßes erwartet worden, weil sich die dortigen Gesundheitssysteme in einem erbarmungswürdigen Zustand befinden.

Um nur ein Beispiel zu nennen: In der Provinz Reggio Calabria mit ihren 500.000 Einwohnern standen zu Beginn der Epidemie nur gerade 13 Intensivbetten zur Verfügung; in der Region Lombardei mit ihren zehn Millionen Einwohnern waren es 750 (heute 1.300). Süditalien wäre einem Ansturm von Covid-19-Patienten, wie ihn die medizinisch weitaus besser ausgestattete Lombardei erlebte, in keiner Weise gewachsen gewesen.

Die große Befürchtung war, dass die zehntausenden Studenten aus Süditalien, die im Norden studieren und die nach Ausbruch der Epidemie aus ihren Universitäten in Mailand und Padua in die Heimat geflüchtet waren, das Virus mitgenommen haben könnten und es dann unkontrolliert verbreiten würden. Die im Vergleich zur Lombardei mit ihren 42.000 Infizierten nach wie vor sehr tiefen Fallzahlen in den südlichen Regionen Kalabrien (647 Infizierte), Kampanien (1.952), Apulien (1.712), Sizilien (1.555), Basilicata (214), Molise (134) sind laut Experten nun aber ein starker Hinweis darauf, dass die von der Regierung am 10. März landesweit verhängten Quarantänemaßnahmen und Restriktionen gerade noch rechtzeitig erfolgten, um die drohende "Kernschmelze" der Spitäler im Süden zu verhindern.

Restriktionen bleiben vorerst

Der enorme Unterschied der Fallzahlen zwischen dem praktisch deindustrialisierten Süden und dem stark globalisierten Wirtschaftsmotor Lombardei mit seinen intensiven Handelsbeziehungen zu China stützt auch die These, wonach das Coronavirus in Norditalien lange vor der Entdeckung des Patienten numero uno am 21. Februar womöglich von einem Geschäftsreisenden eingeschleppt worden sei – und sich danach während bis zu zwei Monaten unbemerkt habe ausbreiten können. Damit wäre die "Durchseuchung" der Lombardei beim Ausbruch der Epidemie schon sehr weit fortgeschritten gewesen – Experten schätzen die Zahl der nicht registrierten Infizierten in der Lombardei auf bis zu fünf Millionen –, während der Erreger den Mezzogiorno noch gar nicht befallen hatte.

Dass die Fallzahlen nun im ganzen Land weniger ansteigen, stimme zwar optimistisch, sei aber noch lange kein Grund, die massiven Restriktionen für die Bürgerinnen und Bürger bereits zu lockern, warnte Locatelli. Der Peak der Epidemie – also der Zeitpunkt, in welchem die Gesamtzahl der angesteckten Personen ihren Höhepunkt erreicht haben wird – sei noch nicht erreicht. Dieses Ziel werde man voraussichtlich in fünf bis zehn Tagen erreicht haben.

Gesundheitsminister Roberto Speranza teilt diese Meinung und stellte klar, dass vor Ostern von einer Aufhebung der Quarantäne keine Rede sein könne. Möglich scheinen indessen erste partielle Lockerungen nach dem italienischen Nationalfeiertag am 25. April. Dieser Tag, der Anniversario della Liberazione, an dem des Sieges über Faschismus und Nationalsozialismus gedacht wird, wäre dann tatsächlich ein weiterer Tag der Befreiung. (Dominik Straub aus Rom, 31.3.2020)