Ich habe lange von meinem Mut gelebt. Ich war immer ein bisschen risikofreudiger als andere. Man hat mir nachgesagt, dass ich nicht so eine feine Technik hätte. Aber ich war furchtlos. Und ich hatte einen robusten Körper. So konnte ich vieles ausgleichen. Vieles, aber nicht alles. Und schon gar nicht auf Dauer. Es hat mich geschmissen, das brennt sich ins Unterbewusstsein. Egal, ob man sich verletzt oder nicht. Jeder Sturz hinterlässt Spuren, jeder Sturz hat eine Ursache. Ich habe die Ursachen gesucht und auch gefunden. Oft bei mir selbst.

"Ein Skifahrer braucht Selbstvertrauen. Aber mit jedem Ausfall tauchen Fragen auf. Warum mache ich Fehler, warum passiert mir das?"
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Ich habe Fehler gemacht, an meiner Technik gezweifelt. Ein Skifahrer braucht Selbstvertrauen. Aber mit jedem Ausfall tauchen Fragen auf. Warum mache ich Fehler, warum passiert mir das? Diese Gedanken bremsen dich, es ist ein schleichender Prozess. Wenn es dich bei einem Sprung schmeißt, wird es beim nächsten nicht einfacher. Nach vier Ausfällen in der vergangenen Saison wollte ich technisch zulegen. Das ist mir gelungen. Dabei blieb der Speed auf der Strecke. Ich war plötzlich langsamer, ich konnte nicht mehr mithalten.

Als Bursch war für mich jedes Rennen im Fernsehen Pflicht. Ich bin nach Kitzbühel gefahren, um mir die Abfahrt anzusehen. Ich war begeistert. Nicht nur von Hermann Maier und Stephan Eberharter. Jeder im Rennanzug hat mich beeindruckt. Ich hätte mir damals nicht vorstellen können, auf der Streif an den Start zu gehen. Zuerst schaut man rauf, dann schaut man runter. Kitzbühel war mein fünftes Weltcuprennen. Ich fuhr 2012 mit Startnummer 43 auf Platz 39. Oft hatte ich einen guten Lauf und war trotzdem weit von der Spitze entfernt. Der Weltcup ist eine andere Liga. Bis dahin war alles ein Selbstläufer.

Ich war österreichischer Jugendmeister in Abfahrt und Kombination, ich gewann die Abfahrtswertung im Europacup. Es war nur logisch, dass ich irgendwann im Weltcup starten würde. In Garmisch wurde ich 2013 Zehnter, das war eine Bestätigung. Ich dachte, es würde aufwärtsgehen. Aber mehr war nicht drin. Ich war einfach nicht konstant genug. Am Ende der Saison fiel ich aus dem A-Kader. Das war frustrierend. Ich wollte oben fahren, ich wollte zu den großen Events. Da dachte ich zum ersten Mal ans Aufhören.

"Ich hätte mir damals nicht vorstellen können, auf der Streif an den Start zu gehen. Zuerst schaut man rauf, dann schaut man runter."
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Die einen glauben an dich, die anderen nicht. Aber kein Trainer würde einem Aktiven offen sagen, dass es nicht ganz reicht. Das ist auch besser so. Manchmal braucht es keine Worte, man spürt es ohnehin. Als Skifahrer darf man den Glauben nicht verlieren, sonst kann man nicht weiterarbeiten. Wir hatten gute Maßstäbe im Team. Vincent Kriechmayr, Max Franz, Mothl Mayer. Im Training konnte ich oft mithalten, im Rennen nicht. Der Mothl hat mich immer beeindruckt. Er konnte zum richtigen Zeitpunkt seine Performance abrufen, er hat eiskalt geliefert.

Der Unterschied zwischen mir und dem Mothl? Wenn ich das wüsste. Wir sind lange auf einem Niveau gefahren. Irgendwann hat er drei, vier Schritte gemacht. Und ich habe keinen mehr gemacht. Ich kann es nicht erklären, ich kann es nicht analysieren. Das weiß der Herr im Himmel, aber ich kann es nicht sagen. Ich habe viel mitgebracht, aber irgendwas hat gefehlt. Talent hatte ich auch. Vielleicht war er hungriger, vielleicht wollte er es mehr als ich. Vielleicht ging es für mich am Anfang zu leicht. Ich mache mir keine Vorwürfe, ich habe bis zuletzt mein Bestes gegeben.

Im Dezember habe ich den Glauben verloren. Den Glauben, dass ich es ganz nach oben schaffen könnte. Nachdem sich zwei Läufer verletzt hatten, nahm ich die Chance noch einmal an. Aber es reicht einfach nicht mehr. Es fehlt einfach zu viel nach vorne. Ich habe es eingesehen. Ich will diesen Weg nicht mehr gehen. Das ist die richtige Entscheidung, der Abschied fällt mir nicht schwer. Ich bin Realist, es hätte keinen Sinn mehr gehabt. Ich habe den ganzen Zirkus gesehen, ich habe alles erlebt. Ich war immer gerne mit dem Team unterwegs. Die Erfolge hätten mehr sein können, die Erfahrungen nicht.

"Den Leistungsdruck haben jetzt andere. Das ist schon befreiend. Ich muss jetzt nicht mehr um meinen Startplatz kämpfen."
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Was ich mitnehmen kann? Das Verarbeiten der kleinen Dramen. Sich immer wieder pushen, immer wieder ans Limit gehen. Alles probieren, alles geben, aber auch akzeptieren, wenn etwas nicht sein soll. Ich war fast zehn Jahre im Weltcup und habe den Durchbruch nicht geschafft. Das war nicht immer leicht für mich. Aber hey, ich bin ziemlich verletzungsfrei durchgekommen. Ein abgerissenes Innenband, ein paar Prellungen, es hätte schlimmer kommen können. Und immerhin, ich konnte sechs Siege im Europacup feiern und war 2013 österreichischer Meister in der Abfahrt.

Man sieht jetzt, wie schnell der Sport zur Nebensache verkommt. Faszinierend, wie schnell sich der Blickwinkel ändern kann. Alles wird relativiert. Der Sport bleibt trotzdem wichtig. Wir brauchen Ablenkung, wir brauchen Bewegung. Und wenn es wieder Skirennen gibt, werde ich den Fernseher aufdrehen. Ich kenne ja alle. Und ich bin nicht so frustriert, dass ich sagen muss, ich schaue mir keinen Skisport mehr an. Aber den Leistungsdruck haben jetzt andere. Das ist schon befreiend. Ich muss jetzt nicht mehr um meinen Startplatz kämpfen.

Es fällt vieles ab, es tauchen neue Fragen auf. Was mache ich aus mir? Wie geht es weiter? Ich werde meine Polizeiausbildung fertig machen und den Hof meiner Eltern übernehmen. Es ist ein kleiner Hof, ich möchte ihn weiterführen. Es ist ein neuer Lebensabschnitt. Wir haben ein paar Schafe und Rotwild. Rotwild ist nicht so arbeitsintensiv. Man muss keine Klauen schneiden, und es gibt keine Zwischenzeiten. Ich freue mich darauf. (Zugehört und aufgezeichnet hat: Philip Bauer, 31.3.2020)