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Der Schädel eines Paranthropus robustus, der auf den Namen "Eurydike" getauft wurde. In einer neuen Studie interessierten sich Forscher aber viel mehr für den Bewegungsapparat dieser Spezies.
Foto: Reuters/Mike Hutchings

Wien – Der Affe stieg vom Baum, richtete sich auf, um besser sehen und gehen zu können, und siehe da: er ward ein Mensch. So einfach hat man sich das früher vorgestellt, doch in Wahrheit dürften die Anfänge unserer Gattung um einiges komplizierter verlaufen sein als gedacht.

Der Stammbusch des Menschen

Das beginnt schon bei einem anderen Baum, nämlich dem menschlichen Stammbaum. Während man einst dachte, dass eine direkte Abstammungslinie von den frühen Primaten bis zum Homo sapiens führt, ist man in jüngerer Vergangenheit zur Erkenntnis gelangt, dass der Weg zu uns einige Kurven nahm.

Arten, die sich schon voneinander getrennt hatten, vermischten sich über längere Zeiträume hinweg mehrfach. Das galt sowohl für die Zeit, als sich die Gattung Homo eher zögerlich von ihrem nächsten Verwandten, dem Schimpansen, trennte (vor acht bis vier Millionen Jahren), als auch sehr viel später, als sich der Homo sapiens mit Neandertalern und Denisova-Menschen paarte. Aufgrund der zahlreichen Querverbindungen sprechen Forscher heute gerne von einem "Stammbusch".

Vom Klettern zum Gehen und wieder zurück

Und der aufrechte Gang, der scheint auch nicht ganz so unmittelbar mit der Menschwerdung verbunden zu sein, wie man sich das früher ausgemalt hat. Als die Artenvielfalt der Menschenaffen respektive Menschenartigen noch höher war als heute, gab es eine Reihe von Spezies, die sich nicht so recht in das einfache Bild von der geraden Entwicklungslinie zum zweibeinigen Bodenbewohner einfügen wollen. So gibt es in der Anatomie von Rudapithecus, der vor zehn Millionen Jahren im heutigen Ungarn lebte, Hinweise darauf, dass er vorwiegend in Bäumen lebte, ihm am Boden aber der aufrechte Gang leichter gefallen sein muss als das Laufen auf vier Beinen.

Nun hat ein Forscherteam mit österreichischer Beteiligung im Fachjournal "Proceedings of the National Academy of Sciences" (PNAS) Ergebnisse vorgelegt, dass für Vormenschen, die wesentlich später lebten als Rudapithecus, Ähnliches gegolten haben dürfte: Sie sollen zwar auf zwei Beinen gelaufen sein – waren aber keine reinen Bodenbewohner, sondern kehrten immer wieder auf die Bäume zurück.

Die untersuchten Spezies

Das Team um Matthew Skinner von der Universität Kent untersuchte bei zwei Skeletten aus Südafrika die Innenstruktur der oberen Enden der Oberschenkelknochen, die Teil des Hüftgelenks sind. Einer der Funde ist älter als zwei Millionen Jahre (2 bis 2,8 Millionen Jahre), der andere vermutlich 1,5 Millionen Jahre alt, erklärte Dieter Pahr, der am Department für Anatomie und Biomechanik der Karl Landsteiner Privatuniversität für Gesundheitswissenschaften in Krems und am Institut für Leichtbau und Struktur-Biomechanik der Technischen Universität Wien forscht.

Die Überreste der beiden Vormenschen wurden vor mehr als 60 Jahren in den Sterkfontein-Höhlen in Südafrika gefunden, gehören im "Stammbusch" der Menschheit aber unterschiedlichen Entwicklungslinien an. Aus der Großgruppe der Australopithecinen ist zwar letztlich auch die Gattung Homo entstanden. Bei den beiden nun untersuchten Individuen dürfte es sich aber zumindest in einem Fall um den Angehörigen einer Schwesterlinie handeln.

Das Individuum STW522, das vor über zwei Millionen Jahren lebte, gehörte zur Spezies Australopithecus africanus. Bei dem jüngeren Fund mit der Bezeichnung STW311 ist die Zuordnung unklar. Entweder war es ein Paranthropus robustus, der sich durch sehr große Mahlzähne, einen großen Kiefer und kräftige Backenknochen auszeichnete, weil er oft fasrige Pflanzenteile und Wurzeln aß. Es könnte aber sogar ein früher "echter" Mensch wie Homo habilis oder Homo erectus sein, so die Forscher.

Die Hüftgelenke von StW311 (oben) und StW522.
Illustration: Leoni Georgiou

Die äußere Form des Hüftgelenks-Teils des Oberschenkels zeige eindeutig, dass beide Arten gut auf zwei Beinen gehen konnten, berichten die Forscher. Wie sie sich zu Lebzeiten aber wirklich fortbewegten, könne man besser aus der Innenstruktur der Knochen ablesen. Dort sind die Trabekel, kleine Balken aus Knochengewebe, und die bauen sich während des ganzen Lebens je nach der Belastung um – ein guter Indikator für die am meisten gebrauchte Fortbewegungsart also.

Die Forscher verglichen nun die Anordnung der Trabekel bei den beiden Fossilien mit jener bei Schimpansen, Bonobos und Gorillas, die sowohl auf allen vieren laufen als auch klettern, sowie bei Orang-Utans, die ihr Leben größtenteils kletternd, klammernd und hängend in den Bäumen verbringen, und natürlich auch bei modernen Menschen. Ironischerweise allerdings nicht bei den allermodernsten: Die Forscher griffen lieber auf einige hundert Jahre alte Skelette zurück, weil die Menschen damals körperlich etwas aktiver waren als heute.

Scheinbar paradoxe Ergebnisse

Das Ergebnis des Vergleichs: STW522, also der ältere Fund, zeigt laut Pahr eine innere Struktur wie bei einem modernen Menschen. Klettern wie ein Affe war bei Australopithecus africanus also nicht das übliche Aktivitätsmuster. Dafür zeige der Knochen des Frühmenschen STW311, der wahrscheinlich eine halbe Million Jahre nach STW522 gelebt hat, eine innere Dichteanordnung, die ähnlich wie bei einem heutigen Menschenaffen eine Kombination von Klettern und Gehen vermuten lässt.

Und welcher Schluss wäre daraus nun zu ziehen? Der, dass die Vorfahren des Menschen nicht irgendwann einmal von den Bäumen heruntergestiegen und dann bei einem bodenständigen Leben geblieben sind. Stattdessen zog es sie entweder immer wieder in die Bäume – oder die Zweifüßigkeit (Bipedie) ist gleich mehrmals entstanden. Das Bild von diesem entscheidenden Schritt in der menschlichen Evolution ist damit noch komplexer geworden. (jdo, APA, 31. 3. 2020)